Burbach/Siegen. Seit zweieinhalb Jahren versucht das Landgericht Siegen den Misshandlungen in der Flüchtlingsunterkunft in Burbach auf den Grund zu gehen.
Der Mann auf dem Boden wollte partout nicht mehr ins Siegerland zurückkehren. Dort hatte er eine seiner größten Demütigungen in seinem Leben erlitten, dort war er in einem „Problemzimmer“ der Flüchtlingsunterkunft Burbach eingesperrt und misshandelt worden. Das Bild des gefesselten nordafrikanischen Flüchtlings Marwan R. war im Herbst 2014 um die Welt gegangen. Wie er wehrlos auf dem Boden liegt und den Fuß eines Sicherheitsmannes in den Nacken gedrückt bekommt. Bei dem im November 2018 gestarteten Burbach-Prozess vor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Siegen um die Misshandlungen in der Flüchtlingsunterkunft ist Marwan R. nicht dabei. Er will nichts mehr mit Deutschland zu tun haben. Aber auch ohne seine Zeugenaussage scheint die Hauptverhandlung zweieinhalb Jahre nach dem Start in ihre Schlussphase zu gehen.
Katastrophale Zustände in Burbach
Zeitweise hatte diese Zeitung Kontakt zu Marwan R. Am Telefon schilderte er, wie er „wie ein Tier behandelt“ wurde. Seine Spur verlor sich in Norditalien. Dort war er bei Verwandten untergekommen. „Sehr viele Zeugen, also Opfer der Misshandlungen“, sagt Rechtsanwältin Katharina Batz, „waren in der Hauptverhandlung nicht mehr greifbar – weil sie abgeschoben wurden oder abgetaucht waren.“ Die Juristin aus Kreuztal hat im Burbach-Prozess einen Wachmann verteidigt, der am 14. April zu einer Geldstrafe in Höhe von 1275 Euro verurteilt wurde. Ist man der Wahrheit auf die Spur gekommen? „Man ist den zum Teil katastrophalen Zuständen in der Burbacher Flüchtlingsunterkunft nähergekommen“, sagt sie.
Den Worten von Katharina Batz zufolge ist der Mammutprozess außerhalb des Landgerichts Siegen – der Hüttensaal der Siegerlandhalle wurde zum Sitzungssaal umfunktioniert – auf der Zielgeraden. Von den anfangs 38 Angeklagten sind nur noch fünf übriggeblieben. „Ich gehe davon aus, dass der Prozess in drei Monaten beendet ist.“
Vier Wachleute für 1200 Bewohner
Gerichtssprecherin Silvia Sünnemann zufolge stehen neben dem Verhandlungstag an diesem Mittwoch noch zwei weitere Termine im Mai an. „Voraussichtlich wird es noch in den Sommer hinein Verhandlungstage geben.“ Während einige Verfahren abgetrennt und gegen Geldauflagen eingestellt wurden, zählte man in den zweieinhalb Jahren bislang sechs Freisprüche und 13 Verurteilungen. Darunter waren Bewährungsstrafen wegen Freiheitsberaubung zwischen 8 und 15 Monaten.
Was ist in Burbach schiefgelaufen? Anwältin Katharina Batz muss nicht lange überlegen: „Zeitweise waren bis zu 1200 Bewohner dort“, sagt sie, „und wenn dann ganze vier Wachleute pro Schicht Dienst schoben, konnte das einfach nicht gut gehen.“ In der Flüchtlingsunterkunft waren zum Teil Menschen aus verschiedenen Herkunftsländern und mit unterschiedlichen Glaubensrichtungen auf demselben Flur untergebracht. „Viele von ihnen hatten auf ihrer Flucht Hunger, Kälte und Tod erlebt, waren traumatisiert und hochgradig gestresst in Burbach angekommen“, so die Kreuztaler Anwältin. „Und wenn Menschen, die in ihrem Heimatland Folter erlebt haben, in Burbach in einem ,Problemzimmer‘ Übergriffe erlebten, erlitten sie ein zweites Trauma.“
Fehlende Ausbildung bei denen, die helfen wollten
Das Verfahren habe aber ebenfalls gezeigt, findet Katharina Batz, „dass sich unter den Bewohnern auch Personen befanden, die nicht immer regelkonform handelten“. Sie erinnert sich an die Aussage eines Opfers, das davon gesprochen habe, dass ihm die Security manchmal leidgetan habe – „wenn wir uns unmöglich verhalten haben“.
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Sicherheitsleute und Sozialbetreuer seien auf solche Situationen nicht vorbereitet gewesen: „Sie haben nie gelernt, wie man deeskalierend einwirkt“, sagt Katharina Batz und ergänzt: „Durch die fehlende Grundausbildung waren sie überfordert und haben dann falsch reagiert.“ Hinzu gekommen sei ein „Versagen der Gruppendynamik“: „Die Mitarbeiter, die versucht haben, Menschen nach ihrer Flucht zu helfen, haben es aus Überforderung nicht geschafft, aus der Gruppendynamik auszubrechen.“
Einnahmen waren wichtiger
Rund um den Strafprozess war häufig vom „System Burbach“ die Rede. Katharina Batz erinnert sich an die Aussage ihres Mandanten in der Siegerlandhalle. Er habe davon gesprochen, dass dem Betreiber der Unterkunft – European Homecare – die Einnahmen wichtiger waren als die ordnungsgemäße Erledigung der übertragenen Aufgabe: „Er benutzte das Wort Gier.“
„Die Mitarbeiter wurden allein gelassen“, so das Resümee der Rechtsanwältin aus dem Siegerland: „Natürlich haben sich Angeklagte nicht rechtmäßig verhalten. Aber letztlich sind die, die das System Burbach zumindest zugelassen haben, die für den Job untaugliche Menschen einstellten und dann ihre Aufsichtspflicht verletzten, nicht im ausreichenden Maße zur Verantwortung gezogen worden. Ich spreche von dem Betreiber und den Behörden.“