Bad Berleburg/Schmallenberg/Düsseldorf. Nach unserem Exklusiv-Bericht über das Gutachten zum Wisent-Artenschutzprojekt im Rothaargebirge kommt jetzt Bewegung in die Sache.

Es waren gezielte Schüsse, die Ende April/Anfang Mai auf die vier Jungbullen abgefeuert wurden. Die Wisente aus der freilaufenden Herde im Rothaargebirge waren auf der Stelle tot. „Letal entnommen“, wie es in der Fachsprache heißt. Den Auftrag hatte der Trägerverein der Wisent-Welt-Wittgenstein gegeben, der das Artenschutzprojekt seit 2013 betreibt. Die Tötung der Jungbullen, so der Verein, sei zur Regulation der Population (laut öffentlich-rechtlichem Vertrag nicht mehr als 25 Tiere) und zur Vermeidung von Inzucht notwendig gewesen.

Wird womöglich alle freilaufenden Wisente das gleiche Schicksal wie den Jungbullen ereilen? Die Tötung der Herde ist eines von vier Szenarien, das ein 180 Seiten starkes Gutachten der Tierärztlichen Hochschule Hannover (wir berichteten exklusiv) aufzeigt. Geht es nach dem Willen der Nutzer unserer Internetseite, ist die Tötung der Tiere keine Option (siehe Info am Ende des Artikels).

Beobachtern zufolge ist durch das Gutachten wieder Bewegung in den Wisent-Fall gekommen, auch wenn die Beteiligten aus dem politischen Raum sich derzeit mit offiziellen Äußerungen zurückhalten. Sie reagierten überrascht und teilweise verschnupft darauf, dass diese Zeitung exklusiv über das mit öffentlichen Mitteln finanzierte Wisent-Gutachten berichtet hatte.

Man merkt: Das Wisent-Projekt ist ein sensibles Thema, das sehr emotional diskutiert wird, seitdem zwei Waldbauern aus Schmallenberg-Oberkirchen wegen Schälschäden an deren Buchenbestand, verursacht von den Wisenten, den Klageweg gegen den Trägerverein eingeschlagen haben. Selbst der Bundesgerichtshof (BGH) beschäftigte sich mit den Wildrindern. Es verwies den Rechtsstreit zurück an das Oberlandesgericht (OLG) Hamm. Das will am 15. Juli seine Entscheidung verkünden.

Der Anwalt des Waldbauern

Ob die OLG-Richter das Gutachten aus Hannover nutzen, ist eher unwahrscheinlich. Ein Gerichtssprecher will sich im laufenden Verfahren nicht dazu äußern. „Das Gutachten wurde von uns nicht in den Prozess eingeführt“, sagt Dieter Schulz, Anwalt eines klagenden Waldbauern. Er kann sich auch nicht vorstellen, dass dies von Seiten des Trägervereins passiert: „Deren Projektmanagement kommt offenbar in dem Gutachten nicht gut weg.“ Es gebe noch die eher theoretische Möglichkeit, so Schulz, dass das OLG das Gutachten von sich aus anfordert – „weil es den Inhalt als sehr relevant einstuft“ – und die Parteien wieder in die mündliche Verhandlung eintreten lässt.

Die Umweltministerin

Die BGH-Richter hatten bereits vor zweieinhalb Jahren angemahnt, dass letztlich die Politik über das Wisent-Projekt entscheiden müsse. Auf Anfrage dieser Zeitung sagte NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser lediglich, dass in einer Sitzung der Lenkungsgruppe zum Wisent-Projekt offene Fragen an die Gutachter besprochen worden seien. Sie mahnte erneut an, dass man nun zügig eine Entscheidung treffen müsse. Die CDU-Politikerin, die sich selbst für eine Gatterlösung ausspricht, versucht seit geraumer Zeit, den Weg für einen Kompromiss zu ebnen.

Die Landräte

Auch Karl Schneider, Landrat des Hochsauerlandkreises, lehnt mit Verweis auf noch offene Arbeitsaufträge eine Stellungnahme ab. Seine Position ist seit langem bekannt: Wenn der Kreis Siegen-Wittgenstein die Tiere wolle, müsse er auch Raum und Mittel für ihre Unterbringung zur Verfügung stellen.

Andreas Müller zufolge, Landrat des angesprochenen Kreises, liegt das Gutachten derzeit in einem „Entwurfsstadium“ vor. Wenn es abschließend erarbeitet wurde, müsse man „zeitnah“ zu Beschlüssen kommen. Genauer: „noch in diesem Jahr“. Schließlich tue „die Hängepartie“ niemandem gut.

Einigkeit, so ist zu hören, herrscht aber bei allen Beteiligten darüber, dass eine letale Entnahme nicht infrage kommt. Die jüngste Tötung von vier Jungbullen war nach Angaben des Trägervereins das allerletzte Mittel. Man habe vergeblich versucht, die Tiere an andere Projekte zu vermitteln.

Der Waldbauer

„Wir sagen seit Jahren“, kritisiert Lucas von Fürstenberg von der Interessengemeinschaft Pro Wald, „dass der Trägerverein die Steuerung der Herdengröße nicht im Griff hat.“ Man hätte früher Jungbullen aus der Herde entnehmen müssen, so der Sauerländer Waldbauer. Letztlich gelte dies aber auch für weibliche Kälber. „Was hat das mit Artenschutz zu tun, wenn der Leitbulle seine Töchter deckt und die Gene in der Familie bleiben?“

Die Wisente am Rothaarsteig: Wo sie bislang schon gesehen wurden.
Die Wisente am Rothaarsteig: Wo sie bislang schon gesehen wurden. © funkegrafik nrw | Anda Sinn

Von Fürstenberg sieht die Entscheidung über die Zukunft des Wisent-Projekts in einer entscheidenden Phase: „Es gibt ein Gutachten und in Kürze eine Entscheidung des OLG Hamm. Die Politik kann sich nicht mehr darauf zurückziehen, dass sie diese Punkte abwarten muss.“ Dass die Politik „seit Jahren kein Druck für eine Lösung“ gemacht habe, hat für den Waldbesitzer einen einfachen Grund: „Mit dem Thema Wisente ist kein Beliebtheitspreis zu gewinnen.“

Die Rentkammer

Die Gegenseite will sich, so Johannes Röhl von der Wittgenstein-Berleburg’schen Rentkammer, trotz Bekanntwerden der Inhalte des Gutachtens „nur ungern unter zeitlichen Zugzwang bringen“ lassen. Man werde sich erst nach dem Vorliegen der Endfassung und den „entsprechenden Verlautbarungen der Ministerin“ dazu äußern. „Im Übrigen“, so Röhl, war sowohl für Prinz Richard als auch für Prinz Gustav immer klar, sich einer nach sachlichen Kriterien entstandenen Entscheidung über das Projekt nicht entgegenzustellen.“

Der Trägerverein

Derweil kämpft Bad Berleburgs Bürgermeister Bernd Fuhrmann, 1. Vorsitzender des Trägervereins, weiter für die Wisente. Das Projekt sei als „Beitrag für den Erhalt der Artenvielfalt auf unserem Planeten zu betrachten“, sagt er. Die Folgen des Klimawandels mit Trockenheit und Borkenkäferbefall führten deutlich vor Augen, „dass wir eigentlich gerade ganz andere Schwerpunkte setzen sollten“.

>> INFO: Online-Abstimmung mit eindeutigem Ergebnis

  • Das vom NRW-Umweltministerium und dem Kreis Siegen-Wittgenstein bei der Tierärztlichen Hochschule Hannover in Auftrag gegebene Wisent-Gutachten hat vier Zukunftsszenarien für die frei laufende Wisentherde aufgezeigt.
  • Geht es nach der großen Mehrheit der fast 2800 Teilnehmer an unserer Umfrage (wp.de/wisentabstimmung), sollten die Wisente in die Herrenlosigkeit überführt werden. 62 Prozent sprachen sich dafür aus (Stand: 29. Juni, 17 Uhr). 22 Prozent bevorzugen ein Einfangen zwecks Umsiedlung, 8 Prozent eine Tötung der Tiere und 7 Prozent eine Einzäunung im Gatter.
  • Für eine Überführung in die Herrenlosigkeit wäre laut Gutachten ein „virtueller Zaun“ (GPS-Sender) notwendig. Kosten: 1,4 Millionen Euro in den ersten drei Jahren, jährlicher Folgeaufwand: mindestens 500.000 Euro.
  • Anfangskosten Gatterzaun: 2,6 Millionen Euro. Jährliche Folgekosten: bis zu 300.000 Euro.