Hagen. Die Impfaktionswoche läuft und in der Region sind die Impfbusse unterwegs. Aber noch ist die Impfquote niedrig – und Impfstoff zum Teil übrig.

Seit Montag läuft die von der Politik ausgerufene Impfaktionswoche. Was vor Ort passiert? In Hagen hat das Impfzentrum von Montag bis Freitag geschlossen, dafür fährt der Impfbus. Im Ennepe-Ruhr-Kreis sind keine besonderen Aktionen geplant, heißt es aus dem Kreishaus, denn die gäbe es ja schon die ganze Zeit, zum Beispiel im Juli: Erst impfen, dann Autokino. Musste aber abgesagt werden: Es gab nur zwei Anmeldungen.

Genau dieses Desinteresse ist noch immer das Problem. Nur zwei von drei Bürgern in Westfalen-Lippe sind vollständig geimpft. Zu wenige, um die vierte Welle klein zu halten. Die geringe Nachfrage führt zu zum Teil neuen Problemen.

1. Landet Impfstoff von Hausärzten im Müll? Ja, das kommt vor, gerade in Praxen, die sich üppiger eingedeckt hatten, wie Dr. Tim-Henning Förster, Hausarzt aus Medebach. Er habe eine größere Bestellung aufgegeben, „als schwer an Impfstoff dranzukommen war“, sagt er. Und dann wollte niemand mehr geimpft werden, schon gar nicht mit Astrazeneca. Etwa 40 Dosen musste er entsorgen. Schmerzlich sei das gewesen. Ähnlich erging es Dr. Stefanie Junker mit Praxis in Olpe. Bereits in den Sommerferien seien „größere Mengen“ übrig geblieben, die niemand hätte haben wollen. „Das haben wir nicht kommen sehen.“ Streng nach Bedarf werde jetzt bestellt.

So macht es auch Dr. Thomas Bossecker aus Menden. „Ich habe mich neulich fürchterlich über einen Fernsehbeitrag aufgeregt, in dem die Rede davon war, dass sinngemäß alle Hausärzte große Mengen wegkippen müssen. Das ist bei mir eindeutig nicht der Fall.“ Noch immer fänden sich Patienten für Erstimpfungen, bestätigen die drei Mediziner. Allerdings sei die Zahl der Impfungen im Vergleich zu den Hochzeiten auf etwa ein Drittel geschrumpft.

2. Warum muss Impfstoff, der beim Hausarzt übrig ist, entsorgt werden? „Weil man uns nicht zutraut, dass wir den Kühlschrank geschlossen halten“, sagt Dr. Förster aus Medebach mit nicht zu überhörendem Unterton der Unzufriedenheit. Hintergrund: Die Impfstoffe sind gut gekühlt einige Wochen haltbar. Doch dass die Kühlkette eingehalten wurde, dafür mag ein möglicher Abnehmer keine Gewähr übernehmen. Also verkommt noch haltbarer Impfstoff. „Es gibt genug Länder, die Impfstoff benötigen, aber nicht erhalten“, ärgert sich Förster.

3. Wie viel Impfstoff muss entsorgt werden? Eine Frage, auf die es derzeit offenbar keine Antwort gibt. Der Hausärzteverband Westfalen-Lippe verweist an die Kassenärztliche Vereinigung (KVWL). Dort aber werden nur die Impfungen erfasst, nicht die Nicht-Impfungen. Die Hausärzte erhalten ihre Impfstoffe zwar über die Apotheken, aber die wiederum vom Großhändler, daher ist auch der Apothekerverband überfragt. Eine Datenanalyse, die die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung in Auftrag gegeben hatte, geht davon aus, dass Deutschland bis April 2022 rund 118 Millionen Dosen Impfstoff zu viel haben wird.

4. Was passiert mit dem Impfstoff aus den Impfzentren, wenn diese Ende des Monats schließen? Die Wahrscheinlichkeit, dass am letzten Tag „Impfstoff übrig bleibt, ist sehr groß“, heißt es von der Stadt Hagen. Der Kreis Soest sieht es ähnlich, da „alle auch ohne Termin zu uns kommen können“. Der übrige Impfstoff wird in Hagen und Soest für die sogenannten „Koordinierenden Covid-Impfeinheiten“ (KOCIs) genutzt, die weiterhin niedrigschwellige Angebote sicherstellen.

„Der Impfstoff ist Eigentum des Bundes. Das Land holt übrig gebliebene Dosen ab und organisiert eine Weiterverwendung“, heißt es vom Kreis Siegen-Wittgenstein. Der Märkische Kreis würde gerne den Vorrat „für den mobilen Impfbus nutzen“. Bleibt im Hochsauerlandkreis Impfstoff übrig, wird er „in die niedergelassenen Arztpraxen der KVWL verteilt, wo er weiterverwendet werden kann“. Der Ennepe-Ruhr-Kreis wartet noch auf eine Direktive von der Landespolitik.

5. Wie können noch mehr Menschen überzeugt werden, sich impfen zu lassen? Für Professor Ulf Dittmer, Leiter der Virologie an der Uni-Klinik Essen, ist ein entscheidender Weg, dass die Risiken für Ungeimpfte deutlicher herausgestellt werden: „Wir müssen ganz transparent zeigen, wie viele Menschen liegen mit Covid im Krankenhaus, die geimpft sind und die nicht geimpft sind“, sagt er im Podcast der Funke-Mediengruppe, zu der auch diese Zeitung gehört. „Jeder, der diese Zahlen sieht, sieht sofort, dass es hier einen eklatanten Unterschied gibt. Dass es tatsächlich eine Pandemie der nicht oder nicht vollständig Geimpften ist. Bei uns in Essen sind 15 Prozent der Covid-Patienten geimpft, das heißt: 85 Prozent sind nicht oder nicht vollständig geimpft.“ Es sei wichtig, dass die Menschen diese Zahlen täglich präsentiert bekommen.