Dortmund. Chris Stemann ist als DJ Firestarter weltbekannt. Als Dortmunder Nachtbeauftragter hat er eine neue Mission: die Wiederbelebung der Clubszene.
Die Corona-Krise hat die Disko- und Clubszene in den Städten hart getroffen. Eineinhalb Jahre waren sie geschlossen. Überall werden Lösungen gesucht, um das Nachtleben wieder aus dem Dornröschenschlaf zu wecken. Die Stadt Dortmund hat ihren Prinzen bereits gefunden: Chris Stemann ist seit dem 1. August ihr Nachtbeauftragter. Der als DJ Firestarter und Veranstalter weltweit bekannte 50-Jährige hat in 40 Ländern aufgelegt, es bis zu der Oscarverleihung geschafft und steht nun vor einer seiner schwierigsten Aufgaben. Ein Interview über Erfolg versprechende Formate und Weisheiten eines weit gereisten Westfalen.
Ein Mann, der beruflich die Nacht zum Tage macht, der bei guter Mucke ohne Reue den Sonnenaufgang verpasst und nun hinter dem Schreibtisch in der Stadtverwaltung arbeitet – wie passt das zusammen?
Chris Stemann: Die Entscheidung, mich für diesen Job zu bewerben, ist mir leichtgefallen, weil es bereits vor zehn Jahren, also lange vor der Corona-Krise, bei der Stadtverwaltung ein Umdenken gegeben hat: Club-Betreiber, Veranstalter, Nachtökonomie generell erfahren eine neue Wertschätzung, werden nicht mehr als „Problem“ angesehen, sondern als Akteure, die ihren Beitrag leisten, die Attraktivität Dortmunds als urbaner Lebensort zu steigern. Zuletzt wurde die Vergnügungssteuer für die kommenden Jahre ausgesetzt, nun wird eine Aufhebung der Sperrstunde getestet. Es gibt ein positives Gefühl des Miteinanders. Hinzu kommen mehrere Faktoren. Dazu gehören: Die arbeitsfreie Zeit während des Lockdowns hat mich geerdet – und Dortmund ist meine Heimatstadt. Hier leben und arbeiten meine Freunde und Familie. Es gibt eine Aufbruchstimmung – und an der will ich teilhaben.
Nachtbeauftragter – was hat man sich darunter vorzustellen?
Das heißt übersetzt: Wanderer zwischen den Welten. Ich besetze eine Stelle als Mitarbeiter der Verwaltung und bin die Schnittstelle zwischen Nightlife und Verwaltung. Ich bin Sprachrohr für die Club-Betreiber und Vermittler zwischen verschiedenen Positionen, zwischen Club-Betreibern und Veranstaltern, aber auch Anwohnern, Gästen, dem Ordnungsamt und der Verwaltung. In den ersten Tagen nach meiner Ernennung zum Nachtbeauftragten erreichten mich 680 Mails. Da ist sehr viel Bedarf. An meinem zweiten Arbeitstag war ich mit Dortmunds Oberbürgermeister Thomas Westphal auf den Straßen unterwegs. Nachts habe ich mit Jugendlichen gesprochen, auch vielen aus dem Sauerland, die am Dortmunder U (Zentrum für Kunst und Kreativität) mit Musik den Sonnenaufgang erleben wollten. Urbanes Leben gehört in die Stadt, will man aber mit Anwohnern keinen Ärger haben, muss es moderiert werden. Auch dafür setze ich mich ein.
Welche Vorteile hat es, dass Sie als DJ Firestarter so bekannt sind?
Ich nehme Berührungsängste und baue somit die Hürden auf dem Weg zur Stadtverwaltung ab. Die Club-Betreiber kennen mich, vertrauen mir. Ich bin einer von Ihnen. Die Wirtschaftsförderung ist somit zu einem Ansprechpartner für viele geworden, die diesen Weg vielleicht sonst nicht wählen würden.
Wie angeschlagen ist die Szene?
Viele der Club-Betreiber sind bis heute verunsichert. Mein erstes Ziel ist es, sie durch die Pandemie zu führen. Viele haben geöffnet, aber es fehlt an Personal, das während der Lockdowns in andere Branchen abgewandert ist. Das ist angesichts der Einkommensausfälle, die durch staatliche Hilfen nur teilweise kompensiert wurden, doppelt bitter. Zurzeit gebe ich Hilfestellung bei Lüftungs- und Hygienekonzepten. Je eher diese den Anforderungen entsprechend umgesetzt werden, je schneller läuft der Laden. Ich berate individuell.
Wie sehen ihre Aufgaben im Detail aus?
Die Projektstelle ist auf zwei Jahre ausgerichtet. Die räumliche Planung ist derzeit mein Schwerpunktbereich. Die To-Do’s liegen bei den Akteuren. Wir von der Wirtschaftsförderung stoßen an, vernetzen, unterstützen. Ich koordiniere. Dazu gehören sowohl Trainings, als auch finanzielle Mittel aus dem Projekt „Neue Stärke“, das auf fünf Jahre ausgerichtet ist.
Sprechen wir über Formate. Welche sind Erfolg versprechend?
Im Umfeld Dortmunds leben mehrere 100.000 Studenten. Spätere Fachkräfte, die bleiben oder wegziehen. Je nachdem, ob eine Stadt ihre Bedürfnisse befriedigt. Zur Attraktivität einer Stadt gehört auch ein gelungenes Nachtleben. Zurzeit arbeiten wir an Projekten, die weit über die Stadtgrenzen hinaus Strahlkraft erzeugen sollen. Mehr verrate ich Ihnen noch nicht.
Wie haben Sie die Lockdowns überstanden?
Ich saß oft im Garten und hatte als (teilweise) alleinerziehender Vater einer neunjährigen Tochter Existenzangst. Ich bin nun einmal nicht systemrelevant. Jahre meiner Arbeit waren umsonst. Ich war fünf Jahre lang monatlich in Tokio und habe mit japanischen Fernsehsendern gearbeitet und mich mit Sponsoren getroffen, als Vorbereitung auf die Olympischen Spiele. Als das sportliche Ereignis in Japan ohne Zuschauer startete, saß ich vor dem Fernseher und musste weinen. Da hat mich das Thema einfach eingeholt. Geholfen hat mir in dieser schweren Zeit die Solidarität vieler Menschen. Menschen, die nicht gejammert haben und anderen geholfen haben. Man hat sich gegenseitig aufgerichtet, unterstützt. So wie meine Friseurin, die selbst unter der Schließung ihres Geschäfts litt und mir öfters kostenlos die Haare geschnitten hat. Diese kleinen Gesten sind es, die ich aus der Pandemie mitnehmen möchte.
Welche Ziele haben Sie sich persönlich und als Nachtbeauftragter gesteckt?
Ich war zuvor immer Unternehmer, immer für mich selbst verantwortlich. In guten und in schlechten Zeiten. Nun hatte ich mit 50 mein erstes Einstellungsgespräch. Die Arbeit in der Verwaltung ist neu, aber sie macht mich glücklich. Als Nachtbeauftragter gehe ich der Frage nach, wie sich das Ausgehverhalten in der Pandemie verändert hat. Wir führen zurzeit eine Trendanalyse durch. Heute treffen sich die jungen Leute am Dortmunder U oder an der Möllerbrücke und ziehen später in die Clubs. In den letzten zehn Jahren hatten die monatlich stattfindenden Formate immer größere Probleme, aber speziell an ein Motto gebundene Formate werden immer stärker – Halloween- oder Oktoberfestpartys stehen dafür. Clubbesuche waren auch früher immer wesentlich für das Nachtleben einer Großstadt – und das ist heute noch so. Nur den Rahmen, den muss man der Zeit anpassen.
>>>>> Hintergrund <<<<<
Chris Stemann ist seit Jahrzehnten eine Größe im DJ-Geschäft. Der Dortmunder legte als DJ Firestarter bei der Auslosung der Fußball-EM 2010 in Kapstadt Platten auf, 2009 brachte er außerdem in Hollywood nach der Oscarverleihung die Stars auf der After-Show-Party zum Tanzen. Hongkong, Moskau, Las Vegas – Clubs auf der ganzen Welt buchen Chris Stemann.