Arnsberg. Im Sauerland können Hunderte Notfallpatienten nicht versorgt werden. Mit dem neuen Zentrum in Arnsberg soll sich das ändern. Was dahinter steckt.
Derzeit sind es noch Hunderte, ja sogar einige Tausend Menschen, die im Notfall nicht vor Ort im Sauerland behandelt werden können. „Die müssen dann nach Bochum ins Bergmannsheil oder in die Uni-Klinik Marburg gebracht werden“, sagt Werner Kemper. 100 Kilometer sind das bisweilen – oft auch mehr. Und das meist „landgebunden“ über Straßen. Kemper will das ändern. Bis zu 4000 zusätzliche Patienten will er künftig im Jahr behandeln, die bislang nicht im Hochsauerlandkreis versorgt werden können. Vor allem Unfallopfer, Krebspatienten und Menschen mit Nierenerkrankungen.
Werner Kemper ist Sprecher der Geschäftsführung des Klinikums Hochsauerland. Und damit auch Bauherr bei einem der größten Klinikprojekte, das derzeit in NRW umgesetzt wird. 92 Millionen Euro werden in den Neubau des Notfall- und Intensivzentrums in Arnsberg-Hüsten investiert. Wenn es tatsächlich, wie derzeit geplant, Mitte 2023 in Betrieb geht, dann wird das Klinikum Hochsauerland in einer Liga spielen mit dem Bergmannsheil in Bochum, dem Klinikum Mitte in der Metropole Dortmund oder dem Jung-Stilling-Krankenhaus in Siegen.
Denn dann wird das Klinikum den Anforderungen der „umfassenden Notfallversorgung“ entsprechen. Stufe 3 von 3. Also der höchste Rang in der seit 2019 für ganz Deutschland geltenden Klassifizierung. Dafür entscheidend sind unter anderem eine bestimmte Anzahl medizinischer Disziplinen, die vorgehalten werden muss und eine Mindestzahl an Intensivbetten.
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Auf vier Standorte in Meschede und Arnsberg ist das Klinikum Hochsauerland verteilt – derzeit erreicht nur das St.-Walburga-Krankenhaus in Meschede die Stufe 2, die anderen drei (Marien, Johannes, Karolinen) die Stufe 1 – also Basisnotfallversorgung. Mit dem neuen Notfall- und Intensivzentrum soll im Jahr 2023 dann der gewaltige Sprung nach vorne möglich sein: 13 medizinische Fachrichtungen werden an dem neuen Standort gebündelt arbeiten (wobei auch die anderen Standorte erhalten bleiben sollen), zehn Operationssäle stehen bereit und 50 Intensivbetten.
45 Prozent des Fördertopfes erhalten
Werner Kemper, der Krankenhaus-Manager, hofft, dass dann der Zustand zu Ende geht, der ihn jetzt umtreibt: „Bis zu 150 Mal im Jahr müssen wir derzeit unsere Intensivstationen bei der Rettungs-Leitstelle abmelden – weil wir keine Patienten mehr aufnehmen können.“ Mehr als 20 Prozent der Patienten könnten derzeit nicht im Hochsauerlandkreis behandelt werden, müssten weit weg versorgt werden. „Den Wert wollen wir auf unter zehn Prozent drücken“, sagt Kemper. Profitieren werde aber nicht nur der HSK, sondern auch der Kreis Soest sowie Teile des Märkischen Kreises und des Kreises Paderborn. Auch die seien derzeit unterversorgt mit einer wohnortnahen umfassenden Notfallversorgung der höchsten Stufe.
Eben weil es dieses Defizit in der Region gibt, dürfte wohl auch die Unterstützung durch das Land so groß ausgefallen sein. Einen „absoluten Glücksfall“ nennt Werner Kemper den Umstand, dass das Land im Jahr 2019 gut 28 Millionen Euro an Fördergeldern gebilligt habe. „Stärkung der Versorgungsstrukturen im ländlichen Raum“ hieß der Fördertopf. Das erarbeitete Konzept für das Notfallzentrum und die Neuausrichtung des Klinikums seien damals ohne Abstriche genehmigt worden, so Werner Kemper: „Wir haben 45 Prozent des gesamten Fördertopfs erhalten.“
Eine ähnlich große Investition wie in Arnsberg ist dem NRW-Gesundheitsministerium aktuell in der Region nicht bekannt. Generell, so ein Ministeriumssprecher, gebe es in fast allen Regionen in NRW eine hohe Dichte an Notfall-Versorgern. Insbesondere gebe es oft in direkter Nachbarschaft große Kliniken. Und so können andere Krankenhausstandorte in Südwestfalen nicht einfach auch in die Stufe 3 der „umfassenden Notfallversorgung“ streben wie das Klinikum Hochsauerland. Sie sind von der Krankenhaus-Rahmenplanung des Landes abhängig. Gleichwohl gibt es Bewegung:
- So plant etwa das Allgemeine Krankenhaus in Hagen (AKH) die Zentrale Notaufnahme zu erweitern und damit die angestrebte Höherstufung in die Kategorie 2 zu erreichen. Für die Großstadt Hagen, die derzeit nur Kliniken der Notfallstufe 1 vorweisen kann, wäre das ein Fortschritt. Allerdings liegt Hagen auch in direkter Nachbarschaft zu Dortmund und Bochum mit Häusern der Stufe 3.
- Auch im ländlichen Bad Berleburg im Wittgensteiner Land strebt die dortige Vamed-Klinik an, bald in die Stufe 2 befördert zu werden. Das wäre dann aber auch das maximale Ziel. Durch die Nähe zum Jung-Stilling-Krankenhaus Siegen und der Uni-Klinik Marburg sei man gut versorgt, so ein Sprecher.
- Das sieht auch Dr. Christian Stoffers, Sprecher des Marien-Krankenhauses in Siegen, so: Stufe 3 könne sein Haus aufgrund des geforderten Mix’ an medizinischen Fachrichtungen nicht erfüllen. Das Marien-Krankenhaus sei in Stufe 2 eingeordnet, habe sich aber mehr auf elektive, also planbare, Operationen spezialisiert.
- Im Kreis Olpe hat das St.-Martinus-Hospital mit Stufe 2 den höchsten Notfallgrad. „Für Notfallstufe 3 müssten zusätzlich unter anderem eine Fachabteilung für Neurologie/Neurochirurgie und eine größere Intensivstation vorhanden sein“, so Geschäftsführer Dr. Gereon Blum. Das liege aber nicht im Ermessen des Krankenhauses, sondern müsse vom Land entschieden werden.
- Das städtische Klinikum Soest befindet sich in Stufe 2 des Notfallstufenkonzepts. „Das ist eine bewusste Entscheidung“, so Sprecher Frank Beilenhoff. „Wir sind zusätzlich als regionales Traumazentrum im Traum-Netzwerk NordWest zertifiziert. Um diese Qualität zu erreichen, sind verschiedene Kriterien zu erfüllen. Auf das Erreichte sind wir stolz.“
Wird es genug Pflegekräfte geben?
Kemper fürchtet indes nicht, dass sich die 92-Millionen-Euro-Investition in Arnsberg am Ende nicht lohnen wird: „Der Bedarf ist da.“ Mit 1,5 Prozent mehr Notfallpatienten pro Jahr wird gerechnet. Was ihn vielmehr umtreibt, ist die Frage, ob er auch künftig genug qualifiziertes Personal finden wird. Bei Ärztinnen und Ärzten hat er da weniger Sorgen, obwohl es ohne Mediziner aus dem Ausland auch in Arnsberg schon jetzt und künftig nicht gehen wird.
Seine Sorge gilt vielmehr dem Pflegepersonal: „Da ist der Arbeitsmarkt regional. Wir müssen hier Menschen finden, ausbilden und weiterqualifizieren.“ Einen umfassenden Plan hat das Klinikum Hochsauerland dazu entwickelt. Auch Master-Studiengänge und selbst Promotionen in Pflegewissenschaften sollen möglich sein. Rund acht Millionen Euro werde man in die Ausbildung und Qualifizierung des Personals und in die Digitalisierung von Prozessen zur Arbeitserleichterung investieren, sagt Werner Kemper.
Die sind dem Klinik-Geschäftsführer mindestens genauso wichtig wie die Millionen in das Gebäude des neuen Notfall- und Intensivzentrums.