Hagen. Als er auch im Impfzentrum tätig war, flog er auf: Ein 33-Jähriger, der als falscher Arzt in Hagen tätig gewesen sein soll, ist angeklagt worden.
Die Rettungssanitäter schöpften offenbar nicht den leisesten Verdacht, wenn der vermeintliche Notfallmediziner im Rettungswagen sie aufforderte, bei einem Schwerverletzten einen Zugang zu legen, oder wenn er Medikamente verordnete. Warum auch, der Mann, mit dem sie für den DRK-Kreisverband Hagen zu Einsätzen im gesamten Stadtgebiet unterwegs waren, zeichnete sich durch ein sicheres Auftreten aus und war nicht auf den Mund gefallen.
Sie dürften einigermaßen überrascht gewesen sein, als der angebliche Doktor der Medizin im vergangenen Januar festgenommen wurde. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete der mutmaßliche Hochstapler und falsche Arzt auch im Impfzentrum der Stadt Hagen, wo er mit der Organisation des nichtärztlichen Dienstes beauftragt gewesen sein soll, und führte Coronatests in Schulen durch.
Vorwürfe: Gewerbsmäßiger Betrug und Urkundenfälschung
Bei den Einsätzen des 33-Jährigen als Facharzt für Psychiatrie und Notfallmedizin scheint niemand gesundheitlich zu schaden gekommen sein. Denn die Anklage der Staatsanwaltschaft Hagen, die soeben das Landgericht Hagen erreicht hat, wirft dem kräftig gebauten, im westlichen Münsterland aufgewachsenen Mann gewerbsmäßigen Betrug, Urkundenfälschung und unbefugtes Führen eines akademischen Grades vor. Die angeklagten Taten sollen sich zwischen Juli und Dezember 2020 ereignet haben. Die beiden Anwälte des Beschuldigten reagierten auf eine Anfrage der „Westfalenpost“ nicht.
Der 33-Jährige, der sich derzeit in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Hagen befindet, stand zum Zeitpunkt seiner Aktivitäten in Hagen unter Bewährungsauflagen, resultierend aus einer Verurteilung wegen Betruges im Münsterland im Jahr 2016.
Schaden laut Staatsanwaltschaft: 270.000 Euro
Nach Aussage des Sprechers des Landgerichts Hagen, Bernhard Kuchler, wirft die Anklage dem 33-Jährigen jetzt vor, einen Schaden in Höhe von 270.000 Euro verursacht zu haben. „Die Ermittler haben eine ganze Latte an Rechnungen sichergestellt, die der Beschuldigte beim DRK-Kreisverband Hagen eingereicht hatte.“
Der Westfale, der 2013 erstmals wegen Betruges und Urkundenfälschung verurteilt worden war, ist nicht der erste mutmaßliche Betrüger, der als falscher Arzt aufgeflogen ist. Was ihn von manch anderen „Berufskollegen“ unterscheidet: Er trat stets mit seinem wahren Namen auf.
Zwei Wochen lang Leiter einer Flüchtlingsunterkunft
Das hat ihm mutmaßlich – wie vor sechs Jahren, als er plötzlich nach zwei Wochen sein Amt als Leiter einer Flüchtlingsunterkunft in Selm-Bork im Kreis Unna verlor, das Genick gebrochen. Nach Informationen dieser Zeitung hatte ein ehemaliger politischer Weggefährte des früheren SPD-Mitglieds dessen Namen in einem Medienbericht über das Hagener Impfzentrum gelesen und den Behörden den entscheidenden Tipp gegeben.
Für den DRK-Kreisverband Hagen soll der Westfale zunächst ehrenamtlich tätig gewesen sein. Dann bot er sich offenbar auch für Fahrten in „arztbereiten Rettungswagen“ an. Laut Staatsanwaltschaft in 39 Fällen.
Gefälschte Urkunden vorgelegt
Den Verantwortlichen des DRK soll er nach Überzeugung der Ermittler eine gefälschte Urkunde eines „Masters of Psychology“ einer niederländischen Hochschule, eine gefälschte Approbationsurkunde, einen gefälschten Nachweis für die bestandene Prüfung als Facharzt der Psychiatrie und eine gefälschte Bescheinigung für die Fortbildung zum Notfallmediziner vorgelegt haben. Niemand schöpfte Verdacht. Auch nicht, wenn er als Mitglied des DRK-Rettungsteams Veranstaltungen wie das Bürgerfest „Hagener Lichter“ und Fußballspiele begleitete.
Bei der Stadt Hagen war es offenbar auch nicht anders. Als „Dr. med.“ und vermeintlicher Mitarbeiter des Fachbereichs Gesundheit und Verbraucherschutz schrieb er beispielsweise an „liebe Schülerinnen und Schüler“ und „verehrte Eltern und Lehrkräfte“ einer Hauptschule und erläuterte das Prozedere einer Reihentestung nach einem möglichen „infektionsrelevanten COVID-19-Kontakt“.
Angeblich Büro im Hagener Gesundheitsamt
Auf dem Schreiben findet sich seine Email-Adresse bei der Stadt Hagen. Im dortigen Gesundheitsamt soll er als DRK-Abgesandter auch ein Büro gehabt haben, in dem er unter anderem die Plausibilität von Todesbescheinigungen überprüfte.
„Man hätte nur den Namen des Mannes googeln müssen“, sagt ein Ermittler gegenüber dieser Zeitung, „dann wäre man misstrauisch geworden.“ Alleine schon in Bezug auf sein kurzes Intermezzo als Leiter der Flüchtlingsunterkunft in Selm-Bork, einer sogenannten Landes-Notunterkunft für 1000 Flüchtlinge und 100 Mitarbeiter.
Auch Anklage in Dortmund
Aber: Krisenzeiten seien immer so etwas wie eine Einladung für Betrüger, so der Ermittler: „Die Behörden müssen sehr schnell Personal finden und schauen dann vielleicht nicht ganz so intensiv hin wie nötig.“
Das war womöglich auch in Dortmund das Problem, wo der Westfale bei einer Wohnungslosen-Initiative beschäftigt gewesen sein soll und nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft Dortmund zwischen Oktober 2016 und Februar 2019 unter anderem im Namen der Initiative Waren bestellt und für sich genutzt haben soll. Darüber hinaus soll er drei Personen hohe Geldsummen (zwischen 64.000 und 140.000 Euro) abgeschwatzt haben.
Der Sprecher des Amtsgerichts Dortmund, Michael Tebbe, bestätigte dieser Zeitung, dass die Anklageschrift im vergangenen November zugestellt worden sei. Dem 33-Jährigen werde gewerbsmäßiger Betrug in Tateinheit mit Urkundenfälschung in 37 Fällen vorgeworfen. Der Termin für einen Prozess steht aber noch nicht fest.