Hagen. Die Industrie im Märkischen Kreis schafft so viel Werte wie kaum eine andere NRW-Region. Warum die Sperrung der A-45-Brücke das alles bedroht.

In normalen Zeiten wäre diese Zahl wohl ausschließlich ein Anlass zur Freude. In Zeiten, in denen mit der gesperrten Rahmedetalbrücke bei Lüdenscheid ein Loch in der Verkehrshauptschlagader der Region, der Autobahn 45, klafft, schwingt aber auch die bange Frage mit: Kann solch ein Wert jemals wieder erreicht werden?

Die Zahl, um die es geht, lautet 13,1 Milliarden Euro. So hoch ist der Wert der industriellen Produkte, die im vergangenen Jahr im Märkischen Kreis hergestellt worden sind. Im Vergleich zu 2020 ist er noch einmal um 13,4 Prozent gestiegen. Und er verdeutlicht, welche immense Rolle der Märkische Kreis für den Industriestandort Nordrhein-Westfalen und auch Deutschland spielt.

Im Regierungsbezirk Arnsberg ist das ohnehin der unangefochtene Spitzenwert (siehe Grafik). Aber auch in ganz NRW liegt der Märkische Kreis im Vergleich der 53 Kreise und kreisfreien Städte weit vorn. Nur für den Kreis Gütersloh ermittelten die Fachleute des Statistischen Landesamtes IT.NRW mit 18,1 Milliarden Euro (+1,3 Prozent zum Vorjahr) einen noch höheren Absatzwert. Die Stadt Köln liegt leicht hinter dem MK mit 13,0 Milliarden Euro (+16,7 Prozent) auf Platz 3. Zum Vergleich: Die niedrigsten Produktionswerte erzielten Bonn (0,8 Milliarden Euro) und Bottrop (0,7 Milliarden Euro).

Schaut man dann noch auf die ebenfalls sehr hohen Absatzwerte der Industrieproduktion in den ebenfalls von der A 45 als Verkehrsader so abhängigen Kreise Olpe und Siegen-Wittgenstein, die viel höher liegen als in den Ruhrgebietsstädten- und kreisen, dann festigt sich noch einmal massiv das Bild: Hier in Südwestfalen ist das industrielle Kerngebiet des Landes.

Ändert sich das Gesicht der Region?

Keine ganz neue Erkenntnis, aber Andreas Weber, Sprecher des Märkischen Arbeitgeberverbands (MAV), sagt nachdenklich: „Wir müssen solche Zahlen wahrscheinlich noch viel intensiver herausstellen, damit in der Öffentlichkeit nach der großen Aufmerksamkeit der ersten Zeit keine Gewöhnung an die gesperrte Rahmedetalbrücke entsteht.“ Und Weber erinnert an die Worte von MAV-Präsident Werner Maier-Hunke. Der hatte gesagt, dass die Wirtschaft der Region nicht mehr das Gesicht haben werde, das wir heute kennen, wenn der Neubau der Brücke tatsächlich fünf Jahre dauern würde.

„Wir wissen aus den Rückmeldungen unserer Mitgliedsbetriebe, in welch hohem Maße sie betroffen sind und wie wichtig die Autobahn 45 ist, dass ein sehr, sehr hoher Prozentsatz der Güter über sie transportiert wird“, sagt Andreas Weber. „Deshalb muss der öffentliche Druck auch hoch bleiben. Das ist hier kein Spaß und auch nicht nicht nur das Problem unserer Region. Sondern mit der Bedeutung der heimischen Industrie etwa für die Automobilbranche auch eines für ganz Deutschland.“

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Ein Satz, den wohl auch Andreas Lux, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer unterschreiben würde. Auch er hält die derzeit von den Behörden angepeilten fünf Jahre bis zur Fertigstellung des Brückenneubaus weiter für zu lang.

Die SIHK hatte erst vor wenigen Wochen eine Studie mit vorgestellt, die die immensen Kosten durch die Brückensperrung verdeutlicht: 1,8 Milliarden Euro in den kommenden fünf Jahren – durch den erhöhten Zeitaufwand für Unternehmen und Pendler sowie die sinkende Standortattraktivität. Heruntergerechnet wäre das ein Schaden von einer Millionen Euro pro Tag in den nächsten fünf Jahren für die Region.

Experte: Hohe Absatzwerte möglich

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Trotzdem blickt SIHK-Fachmann Andreas Lux nicht so pessimistisch in die Zukunft. Er hält trotz aller Schwierigkeiten hohe Absatzwerte für die Industrieproduktion wie im vergangenen Jahr weiter für möglich. „Das ist sicherlich sehr branchenabhängig. Es gibt Unternehmen und Händler, die haben Riesenprobleme. Ich will das nicht kleinreden. Aber insgesamt hilft uns derzeit sehr die Mentalität vieler Sauerländer Mittelständler: Das Problem wird erkannt und es wird nach einer Lösung gesucht. Es rumpelt also gewaltig, aber es werden auch neue Wege gefunden.“

Insgesamt zeigten die Unternehmen vor Ort so viel Dynamik, dass die Industrieproduktion generell nicht gefährdet sei – jedenfalls nicht durch die klaffende Lücke in der A 45 (Lux: „Das ist die Lebensader“). Andere Herausforderungen, wie unterbrochene Lieferketten durch den Ukraine-Krieg oder die massive Energiepreissteigerung würden im Zweifel die Industrieunternehmen noch stärker treffen. „Und das sind Probleme, die wir noch weniger beeinflussen können als die A 45“, sagt Andreas Lux.

>> INFO: Platz 2 für Regierungsbezirk Arnsberg

  • 296,9 Milliarden Euro beträgt der Wert der Industriewaren, die im vergangenen Jahr in allen 53 Kreisen und kreisfreien Städten in Nordrhein-Westfalen für den Absatz produziert wurden.
  • 70,8 Milliarden Euro trugen dabei die zwölf Kreise und kreisfreien Städte im Regierungsbezirk Arnsberg bei. Noch stärker war nur der Regierungsbezirk Düsseldorf mit 72,8 Milliarden Euro. Es folgen die Regierungsbezirke Köln (63 Milliarden Euro), Detmold (48,1 Miliarden Euro) und Münster (42,2 Milliarden Euro).
  • 11,4 Prozent betrug NRW-weit die Steigerung beim Wert der hergestellte Industrieprodukte im Vergleich der Jahre 2020 und 2021. Das hohe Plus erklärt sich sicherlich durch die Einschränkungen des ersten Corona-Lockdowns im Jahr 2020. Gegenüber dem Jahr 2019 stieg der Produktionswert etwas moderater um 1,0 Prozent bzw. 2,9 Milliarden. Die Angaben der Statistiker beziehen sich auf Betriebe und Unternehmen mit 20 und mehr Beschäftigten.