Siegen/Brilon/Hagen. In Siegen gibt es Polizei-Einsätze, im Sauerland suchen Jugendliche in der Dorfkneipe Zuflucht. Drei erzählen, wie sie in der Krise feiern.

Es gibt sogar eine wissenschaftliche Begründung für den Drang zum Feiern: „Jungen Menschen fällt es sehr schwer, sozialen Kontakt mit Gleichaltrigen zu vermeiden“, sagt Prof. Ulf Dittmer, der Chefvirologe der Uniklinik Essen. Und es überrascht ihn nicht, dass trotz Corona wieder mehr gefeiert wird, Distanz halten schwieriger wird. „Das ging nur eine gewisse Zeit. Biologisch ist in diesem Alter nun mal genau das Gegenteil vorgesehen.“ Drei junge Menschen aus der Region erzählen von Gelagen in der Stadt, der Dorfkneipe als Zuflucht und der Sehnsucht nach einer Disko-Nacht.

Es war schon nach Mitternacht, als Alexander Steltenkamp und seine Begleitung das Kino in Siegen an dem Samstag verließen. Für die Studenten war es aber auch zu früh, um bereits nach Hause zu gehen: „Wir hatten überlegt, uns noch mit anderen Freunden am Kornmarkt zu treffen und noch ein Bierchen zu trinken“, erzählt der Informatikstudent zwei Wochen später.

Mehr Corona-Infektionen auf Partys? Etwa 400 Menschen feiern in Siegen

Doch was er auf dem Platz in der Oberstadt erlebte, schockierte ihn: Mehr als 400 junge Menschen feierten ausgelassen. „Es war sehr voll und die Stimmung war nicht schön“, sagt er und spricht von einer kleinen Gruppe stark alkoholisierter, teilweise aggressiver Jugendlicher, schätzungsweise 16 bis 18 Jahre alt. „Uns wurde es nach kurzer Zeit zu viel und dann haben wir uns was anderes gesucht.“

An den Wochenenden hat sich der Ort zu einem beliebten Treffpunkt für junge Menschen entwickelt. Der Lärm, Müll und Feiernde, die in Grünanlagen urinieren, sorgen jedoch für Ärger unter den Anwohnern und Ordnungskräften. Vergangenen Samstag eskalierte es schließlich. Die Polizei räumte die Anlage. Die Bilanz: 20 Platzverweise, drei Personen in Gewahrsam und sieben Strafanzeigen wegen Sachbeschädigung, Körperverletzung und Beleidigung. Nun werde der Platz an den Wochenenden ab 23 Uhr gesperrt, so die Stadt Siegen.

Alexander Steltenkamp bedauert das. Durch wenige, die sich daneben benommen hätten, sei ein beliebter Treffpunkt in der Stadt ruiniert worden. Die Mehrheit wolle einfach „in Gesellschaft ein Bier trinken“. Den jungen Menschen fehle es an Freiräumen, weil die Clubs der Stadt weiter geschlossen bleiben. „Die suchen sich einfach einen anderen Ort in der Stadt und ärgern die Anwohner dort.“

Partys auf dem Land? Fehlanzeige! Die Jugend trifft sich in Brilon in der Dorfkneipe

Die Wochen nach dem Lockdown am 15. März waren für ihn besonders schwer, erinnert sich Tristan Muffert: Das Fußballspielen wurde untersagt, Gruppentreffen waren verboten und dann mussten sie auch noch das Osterfeuer absagen, erzählt der 20 Jahre alte Vorsitzende der Hoppecker Dorfjugend in Brilon. „Da bist du arbeiten gegangen, kamst nach Hause und das Highlight des Tages war das Mittagessen“, so der junge Forstwirt, „wenn das noch viel länger gedauert hätte, wäre es kritisch geworden.“

Fußball spielen dürfen sie mittlerweile wieder im 1200-Seelen-Dorf Hoppecke bei Brilon. Feste für die etwa 100 jugendlichen Mitglieder, von denen der Dorfjugendverein im Jahr sonst eine Handvoll anbietet, sind aber immer noch nicht erlaubt. „Das letzte, was wir normal feiern konnten, war Karneval“, sagt er. Der Frust bei den Jugendlichen ist groß: „Auf der einen Seite halten wir die sozialen Kontakte am Wochenende für wichtig, auf der anderen Seite weiß man, jeder vermiedene Kontakt fördert das Infektionsgeschehen nicht noch mehr.“

Statt Schützenfest zu feiern, treffen sich die jungen Menschen derzeit in der Dorfkneipe: „Die ,Domschänke’ ist bei den Jugendlichen ab 16 Jahren ein beliebter Treffpunkt“, weiß er. Mit seinen Freunden sitzt er immer freitags hier, Samstag hocken sie dann in der Gartenhütte oder im Partykeller.

In Hagen plant die Großraumdiskothek Capitol eine „Test-Party“ mit etwa 200 Gästen

Und wie sieht es in einer Großstadt aus? Seit Monaten hat in Hagen (wo es übrigens keinen öffentlichen Brennpunkt wie in Siegen gibt) die Großraumdiskothek Capitol geschlossen. Jetzt gibt es Hoffnung: Ende August ist eine „Test-

Party

“ mit Kleingruppen und maximal 200 Gästen geplant. „Wenn ich Musik höre und ein paar bestimmte Lieder laufen, dann will ich wieder feiern gehen“, sagt Schülerin Isabell Bräutigam.

Erklingt der Apres-Ski-Hit „Cordula Grün“ , steht die 18-Jährige in ihren Gedanken auch im Hochsommer im „Partystadl“ des Capitols. „Dann vermisst man es schon“, sagt sie. Seit einer Woche sitzt sie wieder in der Schule, da habe sie sowieso nur am Wochenende Zeit. „Dann gehe ich lieber mit zwei, drei Freunden abends essen oder in einer Bar etwas trinken.“