Olpe. Querdenker stören Partei-Auftritte. Warum die Polizei nicht einschreitet, was der Verfassungsschutz feststellt und wovor ein Psychologe warnt.
Eine aufgebrachte Dame sprach am Ende der Veranstaltung für ganz viele. „Unsäglich“ sei das gewesen, was sich auf dem Olper Marktplatz abgespielt habe. Dort, wo Friedrich Merz, Bundesvorsitzender der CDU, NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst und CSU-Chef Markus Söder am Montag auftraten, um Wahlkampf zu machen. Wo sie aber mitunter kaum oder gar nicht zu hören waren, weil Besucher aus der Querdenker- und Verschwörungstheoretiker-Szene gezielt störten: Mit Gesängen, Trillerpfeifen und Zwischenrufen. Ist das das neue normal? Und kann man da nicht einschreiten? Fragen zum Thema.
Was ist in Olpe passiert?
Die Kreispolizeibehörde Olpe schätzte die Anzahl der Besucher auf rund 1000. Als Störer identifizierte sie 50 bis 70. Diese trugen Plakate bei sich („Kriegstreiber“, „Impfzwang? Nein! Danke!“), skandierten „Lügner“ oder „Hau ab“ und machten mit ihren Trillerpfeifen einen derartigen Lärm, dass man in nächster Umgebung sein eigenes Wort nicht verstand. „Ich konnte mein Grundrecht nicht wahrnehmen“, fühlt sich Winfried Gosmann aus Olpe als Besucher der Veranstaltung durch die Lärmenden in seiner Freiheit beschnitten. „Sowas geht einfach nicht.“ Geht offenbar doch.
Waren die Sicherheitsbehörden überrascht von den Störern?
Nein, sagt Tino Schäfer, Pressesprecher der Polizei in Hagen, wo der in diesem Fall zuständige Staatsschutz angegliedert ist. „Es hat Hinweise gegeben, dass es zu einer Zusammenkunft der Querdenker-Szene kommen wird. Die Einsatzplanung ist entsprechend gewesen.“ Heißt: die Bereitschaftspolizei wurde zur Aufstockung der Kräfte hinzugezogen. Die Personen aus der Querdenker-Szene aus dem Bereich Olpe und umliegenden Städten seien dem Staatsschutz bekannt. Andere Störer waren nach Recherchen dieser Zeitung eigens aus Herborn in Hessen angereist.
Konnte oder durfte die Polizei nicht einschreiten?
Das Pfeifen und Buhen sei als „eine Form der Meinungskundgabe und des politischen Diskurses“ verstanden worden, sagt Schäfer von der Hagener Polizei. Es seien keine Straftaten festgestellt worden, daher sei die Polizei nicht eingeschritten.
+++ Olaf Scholz spricht in Düsseldorf: Anzeige gegen Störer +++
Die CDU hätte als Versammlungsleiter durchaus das Recht gehabt, Störenfriede auszuschließen, teilt die Kreispolizeibehörde Olpe auf Nachfrage mit. Dies sei aber nicht geschehen. Offenbar sollte keine Eskalation riskiert werden.
Ein Ermittlungsverfahren ist vom Tage übrig: Eine Teilnehmerin der Kundgebung hatte nach einem Disput mit einer Person aus der Querdenkerszene Pfefferspray eingesetzt, was ihr eine Anzeige wegen Körperverletzung einbrachte.
Ist dieser Umgang das neue Normal?
In den vergangenen Tagen hatte es bereits ähnliche Geschehnisse gegeben. So waren zum Beispiel die Auftritte von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Essen und Düsseldorf jeweils von massiven Störungen begleitet. Weitere Fälle (siehe HINTERGRUND unten) sind der Polizei bekannt – und der Politik ein Dorn im Auge.
+++ KOMMENTAR: Das große Niederbrüllen im Wahlkampf ist kaum zu ertragen +++
„Es kann nicht angehen, dass Corona-Protestler mit Megaphonen, Pfiffen und Buh-Rufen Veranstaltungen von demokratisch-legitimierten Parteien so auseinandernehmen, dass die Redner auf der Bühne ihr eigenes Wort nicht mehr verstehen“, gibt sich NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) auf Anfrage dieser Zeitung energisch. „Wer gegen Waffenlieferungen ist, kann das jederzeit kund tun, aber nicht indem er auf zerstörerische Art und Weise das Recht anderer auf freie Meinungsäußerung mit Füßen tritt. Genauso unerträglich ist der Versuch von gezielter Desinformation – wenn also pro-russische Akteure ihre Lügenmärchen über den Krieg auf Wahlkampfveranstaltungen unters Volk bringen wollen.“
Der NRW-Verfassungsschutz stellt fest, dass sich die Corona-Protest-Szene angesichts der Lockerungen „punktuell auf die Suche nach neuen Themenfeldern macht“. Aktuell sei der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und seine wirtschaftlichen Folgen „ein erkennbares Agitationsfeld für Teile der Corona-Protestler-Szene“, heißt es vom Verfassungsschutz. Hinzu kämen „Störungen von Wahlkampfveranstaltungen“, von denen alle politischen Parteien betroffen seien. „Dies zeigt, dass Teile der Corona-Protestler-Szene weit über legitimen Protest hinaus gehen und eine zutiefst demokratieverachtende Ideologie transportieren.“
Ignorieren oder ansprechen: Wie sollte man mit Störern umgehen?
Friedrich Merz und anschließend auch Markus Söder verwendeten große Teile ihrer Redezeit auf die Störer. Merz fragte sich laut, was in den Köpfen dieser Menschen nur vorginge, und wies darauf hin, dass sie gegen den Verlust von etwas protestierten, das sie gerade anwendeten: Meinungsfreiheit. Söder machte sich sogar lustig: „Einer, der läuft, ist ein Läufer. Einer, der fährt, ist ein Fahrer. Was ist dann einer, der pfeift“, stichelte er. Später dann riet er den Störern, doch in Zukunft lieber erschöpft vom Arbeiten zu sein und nicht vom eigenen Geschrei.
Ist es richtig, den Störern Aufmerksamkeit zu schenken? Oder sollte man sie besser ignorieren? „Ich würde davor warnen, diese Leute lächerlich zu machen oder an den Rand zu drängen. Nach dem Motto: Schaut euch die Idioten an“, sagt Prof. Andreas Mokros, Leiter des Fachbereichs Persönlichkeitspsychologie an der Fernuniversität Hagen: „Dann lachen zwar die anderen 90 Prozent der Anwesenden. Aber das ist ein billiger, momenthafter Sieg.“
Man dürfe den Kontakt zu diesen Menschen nicht abreißen lassen und müsse ihnen ein Grundmaß an Respekt entgegenbringen, um sich irgendwann auch wieder auf Augenhöhe begegnen zu können. „Es ist also durchaus richtig, die Geschehnisse zu thematisieren, aber es kommt auf das Wie an.“
Wie ist die Resonanz in der Querdenker-Szene?
Im Internet verteilt sich das Video vom Lärm auf dem Olper Marktplatz rasant – vor allem in den einschlägigen sozialen Netzwerken wird zum Teil gefeiert. So auch in den Telegramm-Gruppen „Freie Presse Sauerland“ und „Impffrei Siegen-Wittgenstein“. „Was ein Zusammenhalt. Es war klasse, so viele von euch dort zu sehen. Ich glaube mehr als zwei Jahre eingeschlossen zu sein, hat eine Gemeinschaft geformt, die sich gegenseitig hilft und zusammenhält“, schreibt ein Nutzer dort.
Schon Ende April wurde auf die Veranstaltung auf dem Olper Marktplatz hingewiesen und zur Gegendemo aufgefordert. „Kommenden Montag alle nach Olpe“, heißt es dort mit Ausrufezeichen. Und dann? „Trillerpfeife und Lärm“, schreibt ein Telegramnutzer in der Gruppe „Impffrei Siegen-Wittgenstein“. „Faule Tomaten wären mir lieber“, schreibt ein anderer.
Es ist nicht das erste Mal, dass in den sozialen Netzwerken – vornehmlich via Telegramm – zu Gegendemonstrationen und Demonstrationen aufgerufen wird. „Lasst euch nicht länger von der Regierung veräppeln.“ Solche Sätze sind dort mittlerweile Standard. Schnell finden sich auf diesem Wege Anhänger für Fahrten zu Wahlkampfveranstaltungen, Montagsspaziergängen und Co. Aber es gibt auch kritische Stimmen, die sich eine Anmeldung einer Gegendemonstration gewünscht hätten: „Mir persönlich wäre angemeldet lieber, dann können wir laut sein.“
<<< HINTERGRUND >>>
Störungen von Wahlkampfveranstaltungen sind zuletzt eher Regel als Ausnahme. Diese sind der NRW-Polizei nach eigenen Angaben bekannt:
1.Bedrohung einer Landtagswahlkandidatin der SPD am 19. April in Recklinghausen durch einen Gegenkandidaten der Bürgerinitiative „Wir im Vest“. Der Gegenkandidat ist als Vielschreiber im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie in Erscheinung getreten. Über Facebook teilte die Person mit, dass er an dem SPD-Stand „Mordgedanken“ gehabt habe.
2.Störungen einer Wahlkampfveranstaltung der Partei „Bündnis90/Die Grünen“ am 25. April in Bielefeld: Zu der Veranstaltung erschienen 50 Personen aus dem Spektrum der Querdenkerszene, die durch Zwischenrufe, das Benutzen von Trillerpfeifen und Megaphonen störten.
3.Störung einer Wahlkampfveranstaltung der Partei „Bündnis90/Die Grünen“ am 25. April in Dortmund. Zu der Veranstaltung erschienen 200 Personen, die der Querdenkerszene zuzuordnen waren. Die Veranstaltung wurde mittels lautstarkem Skandieren, Trillerpfeifen und Megaphonen gestört.
4.Versuchte Körperverletzung gegenüber dem SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert am 29. April in Detmold. Im Rahmen einer Wahlkampfveranstaltung schlug eine Frau gegen Kühnerts Bierglas und bewarf ihn anschließend mit zwei rohen Eiern, eines traf. Die Tatverdächtige gab bei der Vernehmung als Motiv für ihre Tat die Coronapolitik der SPD an.
5.Störung einer Wahlkampfveranstaltung der CDU aus der Querdenkerszene am 2. Mai in Olpe.