Lüdenscheid. Ein völlig unbeteiligter Mann wird auf der Kirmes Lüdenscheid erschossen. Woher haben die verdächtigen jungen Männer Waffen? Der Fall erschüttert
Die schwer bewaffneten und gesicherten Spezialkräfte der Polizei schlugen am Samstagmorgen an gleich mehreren Orten in Lüdenscheid zu. In der Innenstadt, unweit des Einkaufszentrums Stern-Center, führten sie schließlich einen jungen Mann mit schwarzer Hose, schwarzem T-Shirt und weißen Turnschuhen in Handschellen aus einem Mehrfamilienhaus ab. Der nach Informationen dieser Redaktion 16 Jahre alte Jugendliche steht im Verdacht, mit den tödlichen Schüssen auf der Lüdenscheider Kirmes vor gut zwei Wochen zu tun zu haben.
Es ist die zweite Festnahme -- und ein Zeichen, dass die Ermittler mit Hochdruck an diesem Fall arbeiten, der das Sicherheitsgefühl der Bürger nachhaltig zu erschüttern droht: Zum einen, weil ein 40-jähriger Kirmesbesucher, der offensichtlich völlig unbeteiligt an einer vorherigen Auseinandersetzung war, dabei ums Leben kam. Zum anderen, weil eine Gruppe junger, minderjähriger Männer offensichtlich an Waffen gelangen konnte, und keine Skrupel hatte, die schon bei einer kleinen Auseinandersetzung einzusetzen – mit tragischen Folgen.
Nur sehr spärliche offizielle Informationen zu dem Fall
Was genau dem am Samstag festgenommenen 16-Jährigen vorgeworfen wird, welche Rolle er gespielt haben könnte in diesem tödlichen Drama – dazu schweigen Staatsanwaltschaft und Polizei. So wie bislang ohnehin in diesem Fall nur spärlich offizielle Informationen verkündet werden. Aus ermittlungstaktischen Gründen, wie es immer wieder heißt. Aber auch die Tatsache, dass die Verdächtigen alle noch unter 18 Jahre alt und damit minderjährig sind, sorgt für noch mehr Zurückhaltung in der Informationspolitik.
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Was aus Ermittlerkreisen zu erfahren ist: Man ist optimistisch, nach den Einsätzen von Samstag (insgesamt vier Wohnungen wurden durchsucht) dem Verbleib und der Herkunft der Tatwaffe ein Stück näher gekommen zu sein. Denn diese Aspekte werden entscheidend bei den weiteren Ermittlungen sein.
Vater berichtet: „Er wollte mich treffen“
Rückblende: Am Samstag, 21. Mai, die traditionsreiche Kirmes, die auf dem Festgelände „Auf der Steinert“ parallel zum Schützenfest der Bürger-Schützen Lüdenscheid stattfindet, war erst wenige Stunde eröffnet, da begann die Auseinandersetzung im Bereich des Haupteingangs. Ein 16-jähriger Lüdenscheider war mit einer sechsköpfigen Gruppe, zu der auch die zwei inzwischen festgenommenen Tatverdächtigen gehören, aneinander geraten – offensichtlich nicht zum ersten Mal.
Der 16-Jährige holte seinen Vater, der die Gruppe zur Rede stellen wollte. Doch die jungen Männer ergriffen die Flucht, gaben dabei Schüsse ab. Aus einer Schreckschusspistole, aber auch aus einer scharfen Waffe. Und zwar in die Luft, aber auch in Richtung des Vaters. „Er hat aus fünf Metern ganz gezielt die Pistole auf mich gerichtet“, sagt der 52-Jährige später den Lüdenscheider Nachrichten, „Er wollte mich treffen.“ Das gelang ihm aber offensichtlich nicht. Die Schüsse zielten vielmehr in die Menschenmassen auf der Kirmes.
Erst in Klinik wird klar: Kirmesbesucher ist Opfer von Schüssen
Ein 40-Jähriger Kirmesbesucher, der zuvor offensichtlich nichts mit der Auseinandersetzung zu tun hatte, brach zusammen. Erst war gar nicht klar, dass er getroffen worden war, auch ein internistischer Notfall war nicht ausgeschlossen worden. Erst im Krankenhaus, in dem der aus dem Sudan stammende Mann starb, wurde klar: Das Projektil war in seinem Körper stecken geblieben und hatte schwerste Verletzungen verursacht.
Die Gruppe junger Männer war da schon von der Kirmes über ein Tankstellengelände in Richtung Innenstadt geflohen. Zufällig entstandene Videoaufnahmen zeigen offensichtlich drei von ihnen , wie sie zügig, aber ohne Hektik über ein Privatgrundstück gehen. Am Montagabend nach der Tat konnten die Ermittler dann in der Lüdenscheider Innenstadt mit schwer bewaffneten Spezialeinsatzkräften (SEK) zum ersten Mal zuschlagen: In der elterlichen Wohnung wurde ein 16-Jähriger festgenommen. Er soll der Schütze sein, sitzt seitdem wegen des Verdachts des vorsätzlichen Totschlags in Untersuchungshaft.
Der Rest der Gruppe zeigt großes Beharrungsvermögen
Der 16-Jährige schweigt nach Angaben seiner Anwältin zu den Tatvorwürfen. Und auch die anderen Teilnehmer der Gruppe, die alle als 16 bis 20 Jahre alt beschrieben wurden, zeigen trotz des schrecklichen Ausgangs der Tat und dem hohen Ermittlungsdruck bislang ein großes Beharrungsvermögen: Keiner stellte sich den Behörden.
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Das macht die Arbeit der für den Fall gebildeten Mordkommission „Kirmes“ beim Polizeipräsidium Hagen schwierig. Letztlich muss in der unübersichtlichen Gemengelage der tödliche Schuss einer ganz konkreten Person nachgewiesen werden. Als Schlüssel, damit dies auch gelingen kann, gilt die Tatwaffe, die bislang noch nicht gefunden ist. Die Polizei setzte in der vergangenen Woche sogar so genannte Mantrailing-Hunde ein.
Wurde Waffen zwischen Hagen und Hemer entsorgt?
Die Tiere gelten als Supernasen und sind – noch mehr als „normale“ Spürhunde der Polizei – darauf trainiert, Gerüche wahrzunehmen und zu verfolgen – zum Beispiel von einzelnen Personen. Die Spur führte sie am Mittwoch in den Bereich der Autobahnen A 45 und A 46 zwischen Hagen und Hemer, also viele Kilometer entfernt vom Tatort Lüdenscheid. Die Autobahn musste zeitweise gesperrt werden für den Polizeieinsatz. Wurde die Waffe hier nach der Tat entsorgt?
Die Antwort auf die Frage ist noch offen. Aus Ermittlerkreisen ist lediglich zu hören, dass der Einsatz der Spürhunde und der SEK-Einsatz vom Samstagmorgen in einem direkten Zusammenhang stünden. Dass man optimistisch sei, bei der Frage nach der Tatwaffe ein entscheidendes Stück weiter gekommen zu sein. Dass der am Samstag festgenommene 16-Jährige auch am Tatort gewesen sei soll. Und: Dass man mit Hochdruck nach den vier weiteren Jugendlichen aus der Gruppe suche.