Wilden. Doris Richter ist 61 und lernt mehr über das Gesundheitssystem, als ihr lieb ist. Ihre Sorge: Dass Pflege im Alter nicht für alle verfügbar ist.
Doris Richter ist 61 Jahre alt und hat mit dem Thema Gesundheit und auch Krankheit Berührungspunkte gehabt, auf die die meisten Menschen in ihrem Leben gern verzichten würden. Sie macht sich Sorgen — um die Zukunft der Pflege.
Doris Richter arbeitet für den Fahrdienst eines Reha-Zentrums in Siegen. Durch ihre engsten Angehörigen hat sie viele Erfahrungen gesammelt – mit Pflege, im Hospiz und im Umgang mit körperlich beeinträchtigten Menschen. Zum Thema Gesundheit gehören für Doris Richter Krankheit, das Gesundheitssystem, Pflege und die Beeinträchtigung des Lebens.
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„Gesundheit steht an erster Stelle. Wenn Sie nicht gesund sind, nützt ihnen der ganze andere Rest auch nichts. Sie können nicht alles mit Geld kaufen.“ Die Diagnose, eine Krankheit zu haben, die eventuell sogar lebensbedrohlich sein könnte, stelle einiges auf den Kopf. „Wenn man damit konfrontiert worden ist, dann steht alles andere hinten an.“
Umgang mit Behinderung
Ihr Mann starb vor wenigen Jahren an Krebs, ihr Sohn hatte als Kind Leukämie und lebt heute mit den Folgen der Krebstherapie. „Aus Erfahrung der letzten 20 Jahre weiß ich, dass es Menschen gibt, die mit Beeinträchtigungen überhaupt nicht umgehen können. Es gibt Arbeitgeber, die sich sehr schwer tun, behinderte Menschen einzustellen“, erzählt sie. „In unserer Gesellschaft müsste noch viel passieren, damit eine Akzeptanz da ist. Die Scheu, die man selbst hat, die muss man überwinden, aber das geht nur, wenn man die Chance dazu hat.“
Ärzte hatten Richters Sohn zunächst prophezeit, dass er aufgrund seiner körperlichen Behinderung nie eine Regelschule besuchen wird. Mit Unterstützung der verantwortlichen Schulleiter konnte er jedoch das Gymnasium besuchen, machte schließlich sein Abitur und studierte Wirtschaftsingenieurwesen. Integrative Schulmodelle sind für Doris Richter trotzdem nicht immer die richtige Lösung: „Mit gutem Willen von allen Seiten ist es möglich, einen behinderten Schüler in einer Regelschule zu unterrichten. Es geht aber nicht immer und man tut nicht jedem Kind ein Gefallen; und zwar in dem Moment, wo ein Schüler immer hinten ansteht und immer das Gefühl hat, er kann nicht mithalten“, so die zweifache Mutter.
Pflege
Richters Tochter arbeitet als Krankenschwester und gewährt ihrer Mutter Einblicke in einen Bereich, an dem die 61-Jährige deutliche Kritik äußert: „Kranken- und Altenpfleger sind meines Erachtens nach überfordert, weil so Wenige diesen Beruf wählen. Die Bezahlung ist sicher ein Faktor. Aber der Beruf liegt auch einfach nicht jedem.“
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Pflege werde ein immer wichtigeres Thema für unsere Gesellschaft, weil immer mehr ältere und auch kranke Menschen von Pflegediensten, in Heimen oder Hospizen betreut werden müssen. Wie wichtig dort der richtige Umgang mit den Patienten ist, hat Doris Richter mit ihrem Vater und ihrem Mann erlebt. Als ihr Vater ins Pflegeheim kam, war ihr wichtig, dass er liebevoll und fachlich gut betreut wird und der Kontakt zur Familie nicht abreißt. „Man schiebt nicht den alten kranken Menschen ab und legt das in andere Hände. Es sollte eine Entlastung für die Familien sein“, sagt sie.
Platzmangel
Als Entlastung empfand Doris Richter auch die Aufnahme ihres Mannes im Hospiz. „Das war in der Situation das Beste, was uns passieren konnte“, sagt sie ausgerechnet über einen Ort, der in den meisten Menschen vermutlich ein Gefühl von Angst weckt. „Es war nicht nur eine optimale Betreuung des Patienten, sondern auch des Umfelds also der Familie.“ Der Stationsleiter des Krankenhauses habe gefragt, ob sie sich Gedanken über ein Hospiz gemacht hätten. „Ich musste erstmal fragen, wie das läuft und wer das überhaupt bezahlt“, so Richter. Auch viele ihrer Bekannten hätten nicht gewusst, dass die Kosten zum Teil von den Krankenkassen gezahlt und durch Spenden finanziert werden. Ob ein Patient ins Hospiz verlegt wird, entscheiden die Ärzte. „Es spielt keine Rolle, ob reich oder arm.“
Über die Betreuung im Hospiz spricht sie durchweg positiv, auch wenn die Erinnerungen schmerzhaft sind. „Die Zimmer waren ansprechend, groß, mit Übernachtungsmöglichkeit für Angehörige. Dort arbeiten super ausgebildete Leute. Es gab ein großes Wohnzimmer, Familien brachten Kuchen mit, sogar Haustiere durften mit rein... Ich hätte es mir so nie vorgestellt.“ Im Hospiz habe es zum damaligen Zeitpunkt acht Plätze gegeben, berichtet die 61-Jährige. „Ich glaube, dass es viel zu wenige Einrichtungen und Pflegeplätze gibt. Das macht einem schon ein bisschen Angst.“
Handlungsbedarf
Für die Zukunft sieht Doris Richter im Gesundheitswesen Handlungsbedarf. Deutschland stehe zwar im europäischen Vergleich gut da. „Aber ich bin trotzdem der Meinung, dass es hier eine Zweiklassengesellschaft gibt“, sagt die 61-Jährige. Das fange mit der Terminvergabe beim Facharzt an. Für sie ist deshalb vor allem wichtig, dass Patienten gleich behandelt werden und dass es genug Pflegekräfte gibt.
Außerdem wünscht sie sich Medikamente, um Krankheiten zu behandeln, gegen die noch nichts hilft. „Krebsmedikamente und neue Antibiotika, die wirken. Generell Fortschritte in der Forschung zu Medikamenten und Behandlungsmöglichkeiten.“
Befürchtungen
Ihre schlimmste Befürchtung ist, dass es auf Dauer nicht ausreichend und vor allem keine bezahlbaren Pflegeplätze gibt. „Wenn der Staat nicht mehr so eingreifen kann, wie er das tut, dann kann sich ein Normalbürger ein Pflegeheim nicht mehr leisten.“ Auch in diesem Bereich wünscht sich Doris Richter für alle Menschen die gleichen Möglichkeiten: „Es ist nicht in Ordnung, dass derjenige, der Geld hat, sich einen Pflegeplatz leisten kann und der andere muss sehen, wo er bleibt.“