Arnsberg. Wie werden wir im Jahr 2030 wohnen? Architektur-Expertin Sabine Keggenhoff erwartet eine Preissteigerung in mittelgroßen Städten wie Neheim.

Die Geschmäcker sind bekanntlich verschieden. Das trifft auch auf die eigenen oder gemieteten vier Wände zu. Zwischen Gelsenkirchener Barock, Bauhaus und Ikea ist prinzipiell alles erlaubt, was nicht verboten ist. Sichtbarer wird es erst, wenn es um die Gebäudehülle bis hin zur Quartiers- oder Dorfentwicklung geht.

Wie wird sich Wohnen in Zukunft verändern? Wie werden sich explodierende Mieten und steigende Grundstückspreise in den Metropolen der Republik auf der einen, und ländlichste Räume auf der anderen Seite entwickeln? Droht auch Südwestfalen möglicherweise eines nicht mehr allzu fernen Tages die bittere Zeile „Dorf zu verkaufen“?

Initiative schaut auf die Baukultur im Sauerland

Die Professorin Sabine Keggenhoff ist zwar keine Hellseherin, aber sie hat mindestens eine Vision und erkennt eine Reihe Trends, die sich für die nahe Zukunft abzeichnen. Die Neheimerin ist Architektin und Innenarchitektin, engagiert in der jüngst ins Leben gerufenen Initiative „Sauerland-Baukultur“, die ein Bewusstsein für gute Gestaltung und nachhaltiges Bauen schaffen möchte, und lehrt zudem an der Peter-Behrens School of Arts in Düsseldorf.

Auch interessant

Mittelfristig, also in den nächsten drei bis fünf Jahren, werde es noch einmal mehr Leerstand im ländlichen Raum geben. In der Generation der 55- bis 60-Jährigen macht die Professorin die Tendenz aus, „innerstädtisch unterkommen zu wollen“. Dahinter verbergen sich Überlegungen, eine intakte Infrastruktur ohne weite Wege nutzen zu können.

Preissteigerung in Siegen oder Neheim erwartet

Dies gelte sowohl für das Sauerland als auch für Gegenden wie den Ennepe-Ruhr-Kreis und sorge für Druck auch in attraktiven kleineren und mittelgroßen Städten wie Neheim oder Siegen. „Man muss aufpassen, dass die Preise in diesem Umfeld nicht ähnlich steigen, wie in den Metropolen“, mahnt die Expertin. Teilweise zeichnet sich dies schon heute ab.

Man“ sind in diesem Zusammenhang insbesondere Kommunalpolitiker und Städteplaner, die sich einerseits mit der Gestaltung teilweise verödeter Stadtteile beschäftigen müssten, durchaus auch in Form von Abriss. Andererseits aber auch durch Anreize für Umbauten im Bestand. In Hagen beispielsweise wird dies seit einiger Zeit konsequent durch Ankauf maroder Gebäude in einem Stadtteil versucht, in dem Häuser aus der Zeit des beginnenden 20. Jahrhunderts so saniert werden, dass sie gerade für junge Leute attraktiv werden (sollen).

Baukultur: Kopenhagen und Hamburg könnten Beispiele sein

Dort, wo Städte auf Investoren setzen, rät Sabine Keggenhoff dringend, dass Städteplaner Vorgaben machen, und zwar um Vielfältigkeit zu fördern. Gute Beispiele seien Kopenhagen, das als eine der schönsten Städte des Kontinents gilt oder auch Amsterdam. Auch das Tor zur Welt, die Hansestadt Hamburg, hat in der Hafencity auf eine attraktive Mischung gesetzt. Der Sanierung der historischen Speicherstadt stehen durchaus unterschiedlich gestaltete Gebäude gegenüber, bis hin zum Leuchtturm „Elbphilharmonie“.

Dass Keggenhoff sich vehement gegen Monotonie am Bau ausspricht, begründet sie klar: „Raum macht etwas mit Menschen. Ist alles gleichförmig, überhaupt nicht auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnitten, macht das aggressiv. Wie bei Kaninchen im Käfig.“ Keine Zukunft für Plattenbau-Charme im 21. Jahrhundert also. Der Einzelhandel habe dies bereits erkannt. Eine Zeit lang seien die Schaufenster der großen Textilketten im Prinzip gleich gestaltet gewesen, austauschbar von Flensburg bis Freiburg. Heute sehe ein H&M in Siegen deutlich anders aus als in Düsseldorf an der „Kö“.

Keller und Dachböden werden in Zukunft wohl kaum gebraucht

Moderne Architektur bedeute flexible, individuell anpassbare Bauten. „Veränderbarkeit im Raum“, nennt Keggenhoff diesen Trend. Es bedeutet, dass bereits im Vorfeld Statik und Planung so gestaltet werden, dass ein Haus oder eine Wohnung für mehrere Lebenssituationen taugt, Wasseranschlüsse an verschiedenen Stellen vorsieht, Wände flexibel austauschbar sein können, wenn sie überhaupt noch gebraucht werden. „Vielleicht gibt es dann nur noch wenige Rückzugsräume wie die Toilette oder das Schlafzimmer.“ Keller oder Speicher seien im Grunde heute schon nicht mehr notwendig, es sei denn, um die Weihnachtsdeko den Großteil des Jahres zu verstauen. „Selbst diese könnte in Zukunft online ausleihbar werden.“

Dass wir künftig alle in „smarten“ Häusern wohnen, vollgestopft mit Technik für jede Lebenslage, hält die Architekturprofessorin dagegen für unwahrscheinlich – und auch gar nicht unbedingt notwendig. „Es geht ja nicht um die Frage, ob ich alles kann, sondern darum, was an welchem Ort für welche Person tatsächlich sinnvoll ist. Also. Was ist notwendig, was ist angenehm? Brauche ich die Alexa am Morgen wirklich?“

"Das Dorf hat Zukunft"

Die Digitalisierung hält zwar immer mehr Einzug in unser Leben, aber nicht jeder lässt sie bedingungslos hinein. „Ich verspüre bei jungen Leuten, bei vielen meiner Studierenden eine gewisse Art der Entschleunigung.“ Dies habe auch mit der Tendenz zur Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben, der sogenannten „Work-Life-Balance“, zu tun, die „unmittelbar Einfluss auf das Wohnumfeld hat“.

Deshalb kommt Keggenhoff zu einer im ersten Moment vielleicht überraschenden Annahme. Auch wenn es viele unter 30-Jährige weiterhin in große Städte ziehe – „Ich glaube, das Dorf hat Zukunft!“ Sie untermauert ihre steile These, abgeleitet aus Erfahrungen mit ihren Kunden und eben nicht zuletzt den Studierenden. Veränderungen beim Wohnen sind auch Spiegel einer sich wandelnden Gesellschaft, sozusagen Wohnkultur.

Ländliche Raum muss bei der Infrastruktur nachlegen

Keggenhoffs Vision setzt soviel Offenheit wie Verbindlichkeit voraus. Eine neue Art der Dorfgemeinschaft, in der Infrastruktur selbst geschaffen wird. Verantwortung übernehmen als Teilzeitbusfahrer für selbst geschaffene Mobilität, als Teilzeit-Tante-Emma-Laden-Betreiber, dem Gemeinschaftsladen mit Öffnungszeiten, die von den Betreibern den eigenen Bedürfnissen entsprechend gestaltet werden.

Auch Mehrgenerationenwohnen, bei dem Jüngere an Ältere abgeben und umgekehrt, werde in Zukunft ein Thema. Für diese neue Art „Dorfgemeinschaft“ werde es „Kümmerer“ brauchen. Die Vorteile lägen dabei auf der Hand: Bezahlbarer Baugrund. Eine Voraussetzung wird sicher sein, dass auch der ländliche Raum über eine angemessene Infrastruktur mit Straße, Schiene und Breitband verfügen muss.

Wie sieht Wohnen im Jahr 2030 aus?

Wie Wohnen 2030 im Detail aussehen wird, ist nicht nur eine Frage von Sattel- oder Pultdach, Bungalow oder Hochhaus, Energieautarkie mittels Photovoltaik, Geothermie oder Blockheizkraftwerk, sondern vielmehr auch der Umsetzung in Bezug auf individuelle Lebensmodelle und die Übernahme von Verantwortung für ein Stück Lebensqualität namens Baukultur.

Wie sich unsere Städte und Gemeinden verändern werden, hängt also nach Ansicht der renommierten Expertin Sabine Keggenhoff Expertin nicht zuletzt von uns selbst ab. Nicht nur Stadtplaner und die Architektenzunft bestimmen, wie unser Umfeld in Zukunft gestaltet werden wird. „Jeder, der baut oder umbaut hat eine Verantwortung“, erinnert die Architketin – schließlich sind die ausgewählte Haustür, die Fensterproportionen oder Farbe der Dachziegel weithin sichtbar und prägen ein Stadt- oder Dorfbild mit. Ansehnliches Bauen, sei nicht in erster Linie eine Frage des Geldes, sondern des Wollens.

zum Zukunftsrauschen...