Bad Berleburg. . Die 97-jährige Ottilie Belz aus Berleburg ist eine Frau der Tat. Sie glaubt an Gott, der ihr das größte Leid zugefügt hat und ihren Sohn nahm.
Es ist Montag, 10. September, nachmittags um 15 Uhr. Ottilie Belz öffnet uns die Haustür für ein Interview zur Serie „Zukunftsrauschen“. Drei Stunden mit vielen Erinnerungen und Emotionen vergehen wie im Fluge. Zwei Tage später hält die betagte Frau die vorab ausgedruckte Zeitungsseite in der Hand. „Sie war sehr stolz“, berichtet ihre Tochter Ulla Belz, „und sie hat sich gefreut, dass sie so groß in der Zeitung steht“.
Am Mittwoch Tagen ist Ottilie Belz beerdigt worden. Und dennoch: Wir veröffentlichen, in Absprache mit den Angehörigen selbstverständlich, ihre Geschichte unverändert, weil sie anderen Menschen Mut machen kann – und soll.
Ja. An den lieben Gott glaubt sie. „Glauben und Kirche haben mich mein ganzes Leben begleitet“, sagt Ottilie Belz und kann auf 97 bewegte Jahre zurückblicken; denn tatsächlich gab es Freud, aber auch unsägliches Leid. „Was habe ich getan“, fragt sich die rüstige Seniorin, „dass Gott so etwas Schlimmes zugelassen hat?“ In Händen hält sie einen Zeitungsausschnitt mit einer Todesanzeige ihres Sohnes Ernst. Er wurde „von Gott, dem Herrn genommen“. Ernst war keine zwei Jahre alt.
Ottilie Belz, die sich von Freunden, Nachbarn und Bekannten gern „Tilla“ nennen lässt, ist zeitlebens eine Frau der Tat gewesen. In der heimischen Backstube, bei Webers in Wemlighausen, hat sie von Kind an gelernt, was es bedeutet mit anzupacken. „Das Wort ,kann ich nicht’ kannten wir nicht, weder in der Backstube, noch im Ladengeschäft oder in unserer kleinen Landwirtschaft.“ Noch härter ran musste Ottilie, nachdem ihr Vater starb, als sie gerade 15 Jahre alt war.
Die Familie
Ottilie Belz, jüngstes von sechs Kindern, hat viel Kraft und Mut aus der Familie geschöpft – nach ihrer Hochzeit natürlich aus der eigenen. Doch der Start in die Ehe war nicht einfach. Ihr Ehemann Ernst, dem sie 1951 das Ja-Wort gab, erlebte „ein schreckliches Schicksal“, weiß die Seniorin. Er kam nach zehnjähriger Kriegs- und Gefangenschaftszeit erst 1949 aus dem Krieg zurück, psychisch mitgenommen, die Zehen waren im Winter vor Moskau abgefroren. Die Gefangenschaft hatte Spuren hinterlassen.
Bei der Wiedersehensfeier , die damals in der Gastwirtschaft Aderhold für Ernst veranstaltet wurde, hat Ottilie ihren Mann kennen- und lieben gelernt. Schnell wurde geheiratet. „Wir mussten ja einiges nachholen“, schmunzelt die betagte Wemlighäuserin und gibt private Dinge ohne Scheu preis. Ottilie war der resolute Part des Paares Belz, strotzte vor Motivation für das neue Leben nach der elendigen Zeit und regte den Bau eines eigenen Hauses am Höllscheid an. „Weiwesmensch“, habe ihr Mann in Platt gesagt, „Weiwesmensch, wenn mer’s net schaffe, kannst dü da Koffer packen...“. Sie entgegnete nur: „Was willst du denn ohne mich machen?“
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Schmerz ist immer noch nachfühlbar
In die Sudetenstraße zog die junge Familie mit Ulla im Jahr 1956 ein. „Wir wollten es alleine schaffen“ war stets die Devise. „Ja. Ich hatte sicher auch den Glauben, aber manchmal habe ich doch gezweifelt, wenn mir manches persönlich schwerfiel.“ Ottilie Belz zögert mit dem Redefluss, blickt aus dem Fenster in den blauen Himmel und denkt an ihren verstorbenen Sohn Ernst. „Was hab ich getan, dass Gott das zulässt. Der Schmerz ist nach Jahrzehnten noch nachfühlbar.“
Aber die 97-Jährige mag nicht Jammern. Das kann sie gar nicht. Sie hat vom Vater den Unternehmergeist geerbt, der durchkam, als sie eine Schlafzimmerwand einreißen ließ, um ihren gemütlichen Wohnbereich zu vergrößern. Ihr eiserner Wille trug bestimmt dazu bei, dass der vor zwei Jahren erlittene Oberschenkelbruch – mit medizinischer Hilfe – schnell heilte.
"Alterspräsidentin" mit 97 Jahren
Mit ihrer sympathischen Art hat „Tilla“ zeitlebens anderen Menschen Freude bereitet; im Kreis der ev. Frauenhilfe ist sie heute noch gern gesehen, beteiligt sich dort mitunter aktiv. Bei der Seniorenbegegnung ist sie häufig aufgrund ihrer 97 Lenze „Alterspräsidentin“ und gibt wertvolle Gartentipps aus ihrer langjährigen Erfahrung. Und sie alle, die vielen Lebensbegleiter, verbinden mit ihr einen Spruch, den sie selbst gern zitiert: „Froh erwache jeden Tag, froh erfülle deine Pflicht. Was du heute kannst besorgen, verschiebe nicht auf morgen.“