Hagen. Pfarrer Jürgen Schäfer sieht, dass sich in der Kirche viel ändert. Trotz wenig Menschen in den Gottesdiensten glaubt er an Existenzberechtigung.

Jene Jahre, in denen christliche Kirchen sich über nennenswerte Zuwächse freuen konnten, sind längst passé. Beim Blick auf die Zahl ihrer Schäfchen können sowohl die katholische Kirche als auch die Protestanten ihr Haupt immer nur nach unten neigen. Eine Entwicklung, die dem Hasper Pfarrer Jürgen Schäfer natürlich vertraut ist, ihn aber nicht verzweifeln lässt, dass Glauben keine Zukunft mehr habe. Wenn von 9100 evangelischen Hasper Christen sonntags lediglich 100 Menschen den Weg in die Gotteshäuser finden, sei dies zwar deprimierend. Allerdings stelle dies nicht die Existenzberechtigung von Kirche in Frage.

Demografie-Lücke

Natürlich lässt sich diese Entwicklung ganz profan mit dem Demografie-Argument begründen: „Entscheidend ist, dass mehr Evangelische sterben als geboren werden. Diese Bilanz ist seit Jahrzehnten negativ und stoppt auch nicht.“ Bedeutender sei jedoch der gesellschaftliche Wandel mit einem veränderten Lebensgefühl. Zwar würden die Kinder noch getauft, doch spätestens die Kirchensteuer auf dem ersten Lohnzettel setze bei jungen Leuten einen Entscheidungsprozess in Gang: „Man distanziert sich durch Austritt von einer Institution, der man gar nicht ablehnend oder gar feindselig gegenüber steht. Aber man stellt nüchtern für sich fest, dass man sie gar nicht braucht. Die Leute spenden lieber ihren Interessen entsprechend und möchte nicht etwa allgemein über eine Kirchensteuer etwas finanzieren, was sie nicht steuern können.“

Dabei hält der 57-Jährige Kirche weiterhin für einen Faktor, der sich im öffentlichen Leben einmischt und Position bezieht. Anders sei es mit dem Gottesdienst. „Das nimmt ab, weil Menschen heute solch rituelle Termine nicht mehr regelmäßig brauchen – das ist ihnen fremd. Zwar bleibt der Gottesdienst ein Kernfeld des Pfarrers, aber es ist nicht das Entscheidende.“ Stärken der Kirche seien vielmehr der Kindergartenbetrieb oder auch das Engagement beispielsweise bei der Flüchtlingswelle 2015. „Hier hat sich gezeigt, was Kirche tatsächlich ist und bleibt, nämlich ein Netzwerk aus Menschen und Institutionen, das Dinge schnell und unbürokratisch auf den Weg bringt.“

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In aufgeklärten Zeiten mit den Erkenntnissen der Wissenschaft spielten Glaube und Sündenvergebung kaum noch eine Rolle. „In einer Demokratie und einer humanistischen Welt hat sich der Glaube zunehmend verflüchtigt“, bilanziert Schäfer, „weil die Institution in ihrer traditionellen Form nicht mehr verstanden wird. Menschen die austreten sagen nicht, dass sie nicht an etwas Höheres glauben. Sie sagen nur, dass in der Form, in der die Kirche es tut, kann ich das nicht mehr annehmen, ist das nicht mehr lebenspraktisch.“ Dennoch bleibe Gott auch in Zukunft die große Wirklichkeit, die unsere Wirklichkeit umfasst.

Modernisierung des Denkens

„Dennoch gibt es weiterhin viele Menschen, die werden getauft und bleiben. Sie sagen: ,Es ist okay für mich und dafür gebe ich auch ein bisschen Geld.‘ Selbst wenn man nicht mit allem einverstanden ist, was Kirche macht.“ Das sture Starren auf die Bibel rücke immer weiter in den Hintergrund, blickt Schäfer auf einen Veränderungsprozess in der Kirche. Der sich öffnende Umgang mit dem Thema gleichgeschlechtliche Ehe zeige beispielhaft, dass Dinge neu bewertet würden. „Das ist nicht etwa eine Anpassung an den Zeitgeist, sondern eine Modernisierung des christlichen Denkens.“

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Gerade Trauungen und Beerdigungen seien eine geeignete Plattform, um mit einer positiv wahrgenommen Zeremonie bei den Menschen emotional zu punkten. „Da müssen wir Qualität schaffen. Im direkten Kontakt mit den Menschen entscheidet sich, wie die Haltung zur Kirche sich entwickelt.“ Es werde immer wesentlicher Bestandteil der kirchlichen Arbeit bleiben, Menschen für Angebote und Veranstaltungen zu begeistern und sie somit an Kirche zu binden. Dabei dürften auch Soziale Netzwerke keine Tabuzone sein. „Diese ersetzen jedoch niemals echte Kommunikation“, sieht Schäfer diese Ebene kaum als künftiges Arbeitsfeld.

Weniger als die Hälfte der Deutschen wird irgendwann weder evangelisch noch katholisch sein. „Mit dieser Realität müssen wir klarkommen – eine Mehrheitskirche wird es nie wieder geben. Diese stammt aus einer Vergangenheit, als es noch König und Kaiser gab. Aus dieser Zeit stammt die Stärke der Kirche – sonst war man Kommunist oder Volksverräter. Aber auch für eine Minderheitenkirche bleibe der Auftrag erhalten, Menschen mit Jesus in Kontakt zu bringen und dessen Botschaft zu verbreiten“, betont Schäfer. Schließlich fuße unsere abendländische Gesellschaft, so auch das Grundgesetz, ganz wesentlich auf diesem Ethos. Die Menschenrechte seien letztlich ein säkularisierter christlicher Gedanke, der auch in der Zukunft seine weltliche Gültigkeit behalte.

Kontakt zu Menschen halten

Eine kleiner werdende Kirche, so die Einschätzung des Hasper Pfarrers, werde vielleicht an gesellschaftlicher Relevanz verlieren, aber mit den Gemeinden vor Ort ein lebendiger Faktor bleiben. Deshalb müsse ein waches Auge darauf geworfen werden, dass im Rahmen der fortschreitenden Verdichtungsprozesse und des sich abzeichnenden Pfarrermangels nicht der enge, direkte Kontakt zu den Menschen verloren gehe. „Die untere Ebene darf aufgrund fehlender Finanzen zugunsten übergeordneter Funktionsbereiche nicht ausgetrocknet werden.“ Nur so könne man weiterhin auf Gesellschaft einwirken, dass angesichts der anhaltenden Zuwanderung ein tolerantes Miteinander den Alltag prägt. Außerdem bleibe Kirche in Zeiten, in denen Familie eine zunehmend untergeordnete Rolle spielt, ein Ort, der Zugehörigkeitsgefühl vermittelt. Die Aufgabe, mit einer alten, aber bewährten Botschaft als Menschenfischer zu handeln, sei zeitlos.

Die Podcasts zu den Porträts gibt es auf der Seite von Radio Hagen.

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