Arnsberg. Die Menschen entdecken den Wald wieder. Eltern gehen mit ihren Kindern in den Forst. Die kennen die Bewohner teilweise nur aus dem Tierpark.

Wenn Anneli Noack Schulklassen durch den Wildwald Vosswinkel führt, fragt sie gerne das Wissen der Kinder über die Natur ab. Eigentlich kann die Betriebsleiterin der Einrichtung im Naturschutzgebiet Luerwald zwischen Arnsberg, Menden und Wickede keine Antwort mehr überraschen.

Und doch: „Wenn ich dann höre, dass im Wald Melonen und Ananas wachsen und die jungen Gäste wissen wollen, wo denn nun die Affen und ­Giraffen sind, muss ich schon etwas schlucken.“ Aber trotz des ­häufig nicht vorhandenen Wissens um heimische Tiere und Pflanzen es ist Licht am Ende des Dunkels: Die Menschen ­ent­decken den Wald wieder. Eltern ­gehen mit ihren Kindern in den Forst. Der Waldbesuch ist zu einem Freizeit-Trend geworden.

Menschen genießen die Zeit ohne Smartphone und Fernseher

Anneli Noack berichtet von Einträgen im Gästebuch des Wildwalds nach einer Familien-Übernachtung im Hochsauerland. „Was haben wir die Zeit ohne Smartphone und Fernseher genossen. Wir haben zusammen auf der Terrasse gesessen, geredet und Tiere beobachtet.“ Solche Aha-Erlebnisse häufen sich, sagt die Forst-Ingenieurin, die Gründe für die veränderten Bedürfnisse erkennt: „Die Menschen wollen zur Ruhe kommen.“

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Sie suchten andere Reize als den Lärm der Großstadt, die Hektik des Alltags, die Überfrachtung an Technik oder die permanente ­Informationsflut durch soziale ­Medien. „Der Wald ist da der ideale Rückzugs-, Lieblings- und Sehnsuchtsort.“ Die Natur ist etwas ­Beständiges in einer sich stetig wandelnden Welt und strahlt Ruhe und Sicherheit aus. Und, wichtiger denn je: Der Wald kennt kein Wlan.

Touristiker, Buchverlage und Esoterik-Szene wollen den Wald vermarkten

Die Wildwald-Chefin geht mit den Gästen von der Zeitung ein Stück durch ihre perfekte Idylle, vorbei an Gänsen, die den Spa­ziergängern am liebsten folgen ­würden. Man muss nur mit allen Sinnen genießen, tief durchatmen und den Blick schweifen lassen – und man weiß, warum der Lebensraum Wald mit seinem gedämpften Licht und seiner Stille so gut tut, warum er Nahrung für die Seele ist.

Die Wiederentdeckung der Welt der Bäume und Wurzeln hat augenscheinlich die menschliche Kreativität beflügelt. Vor allem bei der Frage, wie sich Aktivitäten im Wald am besten vermarkten lassen. Touristiker, VHS-Verantwortliche, Buchverlage oder Anbieter aus der Esoterik-Szene bieten „Erlebnisse“ wie Waldbaden, Heilwälder oder Meditationen unter Bäumen an.

"Wichtig, dass die Menschen wieder mehr in den Wald gehen"

Wo man früher einfach spazieren ging, macht man heute eine Waldtherapie. „Es wird der Eindruck erweckt, dass ein Waldbesuch etwas völlig Neues ist. Etwas, was man nicht alle Tage machen kann“, wundert sich Anneli Noack. Offenbar wollten Menschen beim Gang auf einem für sie unbekannten Terrain an die Hand genommen werden. Dennoch: „Auch wenn es durchaus fragwürdige Angebote gibt, ist es wichtig, dass die Menschen wieder mehr in den Wald gehen.“

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Anneli Noack ist ein Naturmensch. Der Wald ist zwar ihr Arbeitsort, sie kommt trotzdem in fast kindlicher Begeisterung ins Schwärmen: „Mir bringt der Aufenthalt im Wald viel. Wenn ich die Farben sehe, die würzigen Gerüche einatme, die Geräusche höre und über dem federnden Boden gehe, tanke ich Kraft und komme geerdet wieder heraus.“

Kinder kennen Waldbewohner nur aus dem Tierpark

Das gilt zunächst nicht für alle Waldbesucher. „Die Zahl der ­jungen Besucher, die sich un­konzentriert, ungeduldig und wenig aufnahmefähig in der Stille des Waldes aufhalten, die motorische Probleme beim Gang über ­Wurzeln haben und nicht mehr in Bäumen klettern können, ist ­gestiegen.“ Die Deutsche Wild­tierstiftung hat kürzlich eine ­Umfrage vorgestellt. Einige der Ergebnisse: Die Hälfte aller vier- bis zwölfjährigen Kinder sind noch nie auf einen Baum geklettert ist. Waldbewohner wie Rehe oder Hirsche kennt ein Viertel der Befragten nur aus dem Tierpark.

Gerade Kinder und Jugendliche, findet Anneli Noack, müssten erst lernen, beim Aufenthalt im Wildwald nicht bespaßt zu werden und ihre Sinne einzusetzen: zu riechen, zu schmecken, zu lauschen und zu ­fühlen. Trotzdem: „Es ist gut, dass sie Bekanntschaft mit dem Lebensraum Wald machen, ihn in kleinen Schritten für sich erobern und ­dadurch ihr Naturbewusstsein schärfen.“

Auch die Eltern sind mehr drinnen als draußen aufgewachsen

Ein Schritt ist auch die Teilnahme an Wildniscamps oder Survivaltrainings, wie sie im Wildwald Vosswinkel und an vielen anderen Orten angeboten werden. „Insbesondere Familien mit Kindern, aber auch Berufstätige in führenden Positionen finden es sehr spannend auszuprobieren, wie man mit dem, was die Natur hergibt, in freier Wildbahn überleben kann“, so Anneli Noack. Feuer zu machen, Nahrung im Wald zu suchen und einfache Unterkünfte zu bauen. Michael Miersch, Geschäftsführer Bildung der Deutschen Wildtier Stiftung pflichtet dem bei: „Die Natur ist unbekanntes Terrain, spannend für alle. Familien lernen gerade wieder, den heimischen Wald zu entdecken. Denn auch die Eltern gehören einer Generation an, die mehr drinnen als draußen aufgewachsen ist“, sagt er der „Welt“.

Und wie sieht die Zukunft des Waldes als Aufenthaltsort in der Freizeit aus? „Das Leben wird nicht weniger hektisch“, sieht Anneli Noack rosige Aussichten für die Kraftquelle Wald. Der Besuch im Forst sei bereits mehr als nur ein Freizeit-Trend. Gutes bleibt.

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