Wuppertal. . Wissenschaftler warnen: Nur eine radikale Veränderung kann die Klimaerwärmung verhindern, der Trick sei, die Lust auf Veränderung zu entfachen.
Der Jahrhundert-Sommer 2018 weckte bei vielen die Erinnerung an den Klimawandel. Zu Recht: Neueste Studien berichten über eine anbrechende „Heißzeit“. Und die, so Wissenschaftler, sei nur durch radikale Veränderungen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft zu verhindern.
Für Professor Dr. Uwe Schneidewind ist eine nachhaltige Energie-, Ernährungs- und Mobilitätswende eine Frage der inneren Haltung – und der Kreativität, Projekte zu gestalten. „Wie ernst ist es uns damit, global und generationenübergreifend Verantwortung zu übernehmen?“, fragt der Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Gemeinsam mit anderen Autoren des Instituts beantwortet er diese Fragen in dem Buch „Die große Transformation – Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels“, das im August veröffentlicht wurde.
Wegweisende Lektüre soll Lust auf Veränderung machen
Renommierte Denkfabrik
Das Wuppertal Institut mit seinen 220 Mitarbeitern erforscht und entwickelt Leitbilder, Strategien und Instrumente für Übergänge zu einer nachhaltigen Entwicklung auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene. Im Zentrum stehen Ressourcen-, Klima- und Energieherausforderungen in ihren Wechselwirkungen mit Wirtschaft und Gesellschaft. Das Institut arbeitet dabei mit einer Vielzahl von Universitäten im In- und Ausland zusammen.
Seit zehn Jahren bewertet die Universität des US-Staates Pennsylvania Denkfabriken in aller Welt. 2017 tauchte das Wuppertal Institut erstmals auf Platz neun des globalen Rankings auf. Damit zählt es zu den renommiertesten Forschungs- und Beratungsinstituten weltweit.
Weitere Infos: www.wupperinst.org
Informationen zum Buch unter www.zukunftskunst.de
Schwere Kost für Laien – und doch wegweisend: Auf 520 Seiten werden die Fehler der letzten 30 Jahre angesprochen, sprich: die reine Betrachtung nachhaltiger Entwicklung aus rein technischer und ökonomischer Sicht. Die Autoren aus der Denkfabrik für nachhaltige Entwicklung in Deutschland fordern nicht weniger als einen radikalen Kulturwandel. Es geht um eine neue Form der Zukunftskunst, um Lust auf Veränderung. „Das Buch ist ein Kompass. Es will Politik, Zivilgesellschaft, Unternehmen und jeden einzelnen von uns ermuntern, Zukunftskünstler zu werden“, schildert Schneidewind dieser Zeitung.
Der 52-Jährige, der auch eine Professur für „Innovationsmanagement und Nachhaltigkeit“ an der Bergischen Universität Wuppertal inne hat und seit 2011 Mitglied im Club of Rome ist, ist ein gefragter Wissenschaftler, der die Erkenntnis verbreitet: Das Thema Nachhaltigkeit ist bisher allzu sehr von oben nach unten bestimmt worden und damit nicht per se Teil der Lösung. „Bis heute wurden nicht die Herzen und die Köpfe der Menschen erreicht.“ Die Ökowende habe zwar viele gute Ideen hervorgebracht. „Aber es hatte auch etwas Moralinsaures.“
Umweltorganisationen, Kirchen und Gewerkschaften müssen zusammenarbeiten
Schneidewind erklärt, was die Idee einer „Großen Transformation“ ausdrückt: „Damit ist der umfassende Umbau von Technik, Ökonomie und Gesellschaft gemeint, um mit den sozialen und ökologischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts umzugehen.“ Die Blaupausen für die Wende durch technologischen Fortschritt lägen vor. „Aber es tut sich wenig.“ Es sei an der Zeit, für Intitutionen, für jeden einzelnen, Zukunftskünstler zu werden. Es gelte nun, die für Umwelt- und Nachhaltigkeitsanliegen streitende, organisierte Zivilgesellschaft als Antrieb zu gewinnen. Neben Umweltorganisationen spielten auch Kirchen und Gewerkschaften in den Veränderungsprozessen eine wichtige Rolle. Sie, so Schneidewind, müssten mehr Druck auf die Politik ausüben.
„Natürlich legen wir in dem Buch nahe, was die Politik tun müsste, aber eine zentralere Rolle spielten eben die anderen.“
Direkt spricht Schneidewind auch die Unternehmer an. Auf die komme eine stärkere gesellschaftlich-politische Herausforderung zu. Den Bayer-Monsanto-Deal nennt er exemplarisch. Der Chemieriese aus dem Rheinland werde mit seiner Macht auf den Äckern der Welt zum gesellschaftlichen Akteur. Dieser Herausforderung müsse sich Bayer stellen.
Nachhaltiges Wirken in den Alltag einbauen
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Schneidewind stellt klar, dass es in dem Buch nicht um das Wissen geht, wie Nachhaltigkeit funktioniert. „Das alleine kann erschlagend wirken.“ Es gehe vielmehr darum, jeden einzelnen zu überzeugen, sich zu fragen, wie er nachhaltiges Wirken in seinen Alltag einbauen kann. „Es geht um Werte, die es wert sind, sich dafür persönlich einzusetzen.“ Im Kern sei nachhaltige Entwicklung eine „moralische Revolution“, die in neuen Wertvorstellungen, ihren Ausgangspunkt nehme und darüber ihre zivilisatorische Kraft gewinnt. Zitat aus dem Buch: „Ohne eine Weiterentwicklung des modernen Kapitalismus wird eine Transformation zur nachhaltigen Entwicklung kaum gelingen.“
Das Buch, sagt Uwe Schneidewind, soll die Debatte um Nachhaltigkeit neu entfachen. Dafür stehe auch das Cover. Es zeigt eine Skulpturenkomposition des seit 1977 in Wuppertal lebenden und wirkenden britischen Künstlers Tony Cragg. „Perspektive Ansichten“ nennt der Künstler sein Werk. Und das passe, so Schneidewind, perfekt zum Inhalt des Buches: „Es geht um die Zukunft, um Nachhaltigkeit aus kultureller Sicht.“
Nach der Veröffentlichung des Buches sind Diskussionsrunden mit Prominenten geplant. Mit DGB-Chef Reiner Hoffmann, mit dem Ratsvorsitzenden der evangelischen Kirche, Heinrich Bedford-Strohm, und vielen weiteren.
„Die Welt des Jahres 2050 kann eine bessere und nachhaltigere sein. Jeder hat es in der Hand.“ Schneidewinds Appell: „Werden Sie Zukunftskünstler. Machen Sie eine nachhaltige Entwicklung möglich.“