Siegen. Bianca Burbach wurde vor 15 bJahren in Siegen ermordet. Es gibt Täter-DNA – aber keinen Täter. Die Kriminalpolizei gibt trotzdem nicht auf.
„Das lässt einen einfach nicht los“, sagt Norbert Rautenberg. Als Polizist, als Kriminalist, als Mensch. „Mord ist die schlimmste Straftat, die es gibt“, sagt der Kriminalhauptkommissar. Auch wenn sie alle Profis sind – eine ermordete junge Frau ist kein Vorgang, den sie abarbeiten. „Was, wenn der das wieder macht?“
Seit 15 Jahren arbeitet der Hagener Ermittler am Fall Bianca Burbach – bis sie den Täter haben. Durch Ermittlungen. Durch Zufall. „Hoffentlich nicht durch eine neue Tat.“ Die Ermittlungen sind nach wie vor nicht abgeschlossen, auch wenn es leider keine neuen Ergebnisse und auch keine neuen Ermittlungsansätze gibt." Alles was geht, haben wir ausgeschöpft", sagt Tino Schäfer, Sprecher der Hagener Polizei. Die Ermittler hoffen weiter auf einen DNA-Treffer. Und bringen die Mordakte Burbach nicht ins Archiv.
Die Ermittlungen
- Tatort: Die Leitstelle schickt sofort einen Streifenwagen zum Fundort, als am 26. April 2007 die Meldung kommt, Tatort absperren, damit keine Spuren verunreinigt werden. Die Siegener Beamten bereiten Räume für Zeugenbefragungen vor. „Je später die Zeugen befragt werden, desto wässriger wird ihre Aussage“, sagt Rautenberg.
- Der Kommissar und seine Leute treffen vor Ort ein, schauen sich den Tatort an, sprechen mit Zeugen, den Kollegen, die als erste vor Ort waren, tauschen sich mit dem Staatsanwalt aus. Der Rechtsmediziner untersucht die Leiche, Beamte gehen die Gegend ab. Was fällt auf? Gibt es Kameraüberwachung? Irgendwas verdächtig?
- Zeugenbefragung: Die Ermittler machen sich ein Bild des Opfers, von ihrem Tagesablauf, hören sich in ihrem Umfeld um, finden heraus, wer im Gebiet des Tatorts unterwegs ist. Stück für Stück erweitern sie den Kreis, die Kollegen aus Siegen liefern Hinweise, wen sich die inzwischen Mordkommission (MK) „Tiergarten“ genauer anschauen könnte. „Über den DNA-Vergleich konnten wir das gut abarbeiten“, sagt Rautenberg. Denn nicht alle haben ein Alibi.
- Reihenuntersuchung: 500 Leute hat die MK Tiergarten überprüft, als der Entschluss für eine DNA-Reihenuntersuchung gefasst wird. Der entscheidende Treffer ist nicht dabei. Manche verweigern die Speichelprobe, wenn einer ablehnt, versuchen die Ermittler, ihn zu überreden. Wenn nicht: Ist ein Gerichtsbeschluss möglich? Das muss gut begründet sein. 3800 Leute haben sie inzwischen „gespeichelt“, wie es im Polizeijargon heißt. Kein Treffer. „Die erste Ernüchterung“, sagt Rautenberg. Die Suche geht weiter.
- Funkzellenüberprüfung: Die Ermittler hoffen auf Hinweise auf potenzielle Zeugen, die sich zur Tatzeit im Gebiet aufgehalten haben und werten Handydaten aus.
Der Neuansatz
Zwei Jahre hat die MK Tiergarten mit fast 30 Leuten intensiv gearbeitet, plus andere Behörden, LKA, Justiz. Alle Spuren haben sie ausgewertet, alle Verdächtigen geprüft – nichts. „Ich will niemals aufgeben“, sagt Rautenberg. Aber irgendwann war die Mordkommission mit ihrem Latein am Ende. Im Sommer 2008 geht es für Rautenberg zurück an den Schreibtisch in Hagen.
Sein Büro füllen Tiergarten-Akten, eine halbe Schrankwand voll. Immer wieder greift sich der damals 54-Jährige die Dokumente auf der Suche nach irgendwas, das sie übersehen haben können. Bis heute. „Es gibt immer mal Freiräume, um weiterzuarbeiten“, sagt er. „Wir könnten noch so viel tun, das wir im normalen Alltag nicht hinbekommen.“
Also: Der Blick von außen. Die Szenekenner der Kreispolizei, die noch nicht in die Ermittlungen involviert waren, die operative Fallanalyse des Landeskriminalamts. 2016 konzentrieren sich Polizisten erneut auf den Fall. 16 Leute, acht Wochen, von den Herbstferien bis Weihnachten. Wieder nichts. Im Frühjahr bekommt Rautenberg wieder vier Wochen Zeit. Sein Nachbarbüro ist frei, dort stellt er weitere Tiergarten-Akten auf.
Die Ermittler
Was haben wir übersehen? Eine Frage die alle umtreibt, die in der MK Tiergarten und darüber hinaus am Fall mitgearbeitet haben. Sie haben die DNA, eigentlich doch eine Riesenchance, den Täter zu überführen. „Das kann doch eigentlich alles nicht wahr sein“, sagt Rautenberg.
Tötungsdelikte sind immer schlimm, aber immerhin kann fast jeder Fall geklärt werden. Bis auf diesen. „Das macht einen verrückt“, sagt der Hagener. Sie wollen nicht aufgeben. Können sie gar nicht. Heute arbeitet Rautenberg nicht mehr in der Mordkommission. „Aber diesen Fall behalte ich. Immer.“
Finderin der Leiche bringt bis heute Blumen zum Fundort
Heidi Mattick fand die Leiche Bianca Burbachs am 26. April 2007. Bis heute bringt sie immer wieder Blumen zum Fundort.
Wie jeden Morgen ging Heidi Mattick mit dem Hund spazieren. Aus dem Haus an der Tiergartenstraße die paar Schritte den Hang hinauf zur HTS-Fußgängerüberführung, von dort den schmalen Pfad die Absperrung entlang. In einem Gebüsch ein nackter Körper: „Ich dachte erst, da schläft ein Betrunkener seinen Rausch aus“, sagt sie. Der Hund zerrte in die Richtung, Heidi Mattick zog ihn weg und ging schnell weiter.
Sie rief die Polizei. Nach kurzer Zeit traf eine Beamtin ein, „zeigen Sie mal“, sagte die Frau. Mattick führte sie hin, die Polizistin ging den Weg hoch – und stockte.
„Ich habe gar nicht gesehen, was los ist“, sagt Mattick, die sich noch genau an diesen Vormittag erinnert. „Gehen sie nicht weiter mit“, sagte die Beamtin. Am Geländer der Fußgängerbrücke hingen Burbachs Kleidungsstücke.
Lange Befragung, Fellproben der Hunde
Vier Stunden lang befragten die Ermittler Heidi Mattick. Weil am Tatort Hundehaare gefunden wurden, gab sie Fellproben ihrer Tiere ab.
Bianca Burbach war bekannt in der Nachbarschaft. Die junge Frau hatte damals aushilfsweise in der „Käseglocke“ gearbeitet, Lebensmittel verkauft. Ab und zu hielten die Frauen ein Schwätzchen, wie man das so macht. Zusammen mit einer Freundin Bianca Burbachs legt Heidi Mattick im Sommer Blumen unweit des Fundorts ab, im Winter stellen sie Windlichter auf. Heidi Matticks Mann baute ein Holzkreuz. „Als Erinnerung an Bianca“, sagt Mattick. „Sonst interessierte sich ja keiner dafür.“ Einmal trafen sich die Anwohner aus der Nachbarschaft für einen Gedenkmarsch.
„Ich hatte lange ein ungutes Gefühl, wenn in an der Stelle vorbeiging“, sagt Heidi Mattick. Zum Fundort selbst ist sie nie wieder gegangen. Heute ist die Stelle überwuchert, das Gehölz ist dicht und hoch gewachsen, von dem Pfad so gut wie nichts mehr zu sehen.
Die kleine Gedenkstätte wird immer wieder zerstört. Die Pflanzen auseinandergerissen, das Kreuz geklaut oder weggeworfen. Heidi Mattick stellt die Windlichter wieder auf, der Herbstwind ist kalt, sie zieht den Anorakt fester um die Schultern. Einige Anwohner laufen vorbei. „Die haben das Kreuz schon wieder geklaut“, sagt ein Mann. „Ja“, antwortet Mattick. „Dass die das immer kaputtmachen müssen.“