Balve. . Die Euphorie um das Wunderpferd Totilas erfasst 2011 auch Balve. Wer den Hengst ein Jahr später im Sauerland entthronte und was er heute macht.
Der Auftrag – war heikel. „Es war ein kleines Stallgebäude auf dem Schlosshof, das etwas abseits lag“, sagt Jürgen Bühl. Und der ehemalige Sportredakteur der Westfalenpost erinnert sich auch an etwas anderes: „Vor dem Gebäude wachte ein eigens engagierter Bodyguard, der höflich aber bestimmt alle Annäherungsversuche an die Box mit dem wertvollen Gast abblockte“, sagt Bühl und muss fast sieben Jahre später immer noch schmunzeln über den Hype, den ein lackschwarzer Hengst auch in Balve auslöste.
Der wertvolle Gast war Totilas. Das Wunderpferd.
Bühls am Ende doch erfolgreich ausgeführter Auftrag: Er sollte eine Reportage darüber schreiben, wie der damalige Star des Dressurreitens beim Balve Optimum untergebracht war. Denn im Juni 2011 interessierte rund um die Deutsche Meisterschaft im Sauerland alles, was mit Totilas zu tun hat. „Das war schon eine Erfahrung“, sagt auch Turnierchefin Rosalie von Landsberg-Velen zurückblickend.
Die Geburtsstunde des Wunderpferds
Wie der Rapphengst eine derartige Berühmtheit geworden war?
Im August 2010 hatte Totilas unter seinem niederländischen Reiter und „Schöpfer“ Edward Gal bei den Weltreiterspielen in Kentucky/USA alle Titel geholt. Die Piaffen und Passagen, die Pirouetten dieses Pferdes zogen Experten wie Laien in ihren Bann – und der Begriff Wunderpferd war geboren.
Kaufsumme nie bestätigt
Totilas’ Fans stürmten Abreiteplätze und Tribünen und konnten sich nicht satt sehen, an den Vorstellungen des Vierbeiners, dessen Berühmtheit allerdings auch dadurch stieg, dass Paul Schockemöhle, Europas größter Pferdehändler, und Ann-Kathrin Linsenhoff, Mannschafts-Olympiasiegerin von 1988, ihn im Oktober 2010 kauften. Für die geschätzte, aber nie bestätigte Rekordsumme von zehn Millionen Euro. Statt Gal saß fortan Linsenhoffs Stiefsohn Matthias Rath im Sattel des Hengstes.
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Während die Vermarktung des Stars schnell auf Hochtouren lief und den Totilas-Jüngern – auch in Balve – unter anderem T-Shirts oder Kaffeetassen mit dessen Konterfei angeboten wurden, klappte es später sportlich im Viereck nicht wie erwartet. Davon war beim Optimum 2011 allerdings noch nichts zu spüren: Im Grand Prix, im Grand Prix Special und in der Kür gaben Totilas und Rath den Takt vor und tanzten sich zu drei souveränen Siegen. „Das Interesse an Totilas hat alles gesprengt. Wir haben die Tribünen der Dressurarena deshalb kurzfristig auf 2500 Plätze ausgebaut“, sagt Rosalie von Landsberg-Velen.
Bei der folgenden Europameisterschaft holte das Duo mit der deutschen Equipe zwar Mannschaftssilber, jedoch blieb die eingeplante Einzelmedaille aus. Ein Jahr später konnten Totilas und Rath zwar den Sieg im Grand Prix in Balve wiederholen, aber die beiden DM-Titel im Grand Prix Special und in der Kür gingen an Helen Langehanenberg und Damon Hill. „Das Wunderpferd ist entzaubert worden“, wurde getitelt.
Weil Rath am Pfeifferschen Drüsenfieber erkrankte, musste er seinen Start mit Totilas bei den Olympischen Spielen in London absagen, im März 2013 verletzte sich der Hengst während eines Deckeinsatzes und das Jahr war gelaufen. 2014 und 2015 verpasste Totilas die DM im Sauerland. In beiden Jahren gelang zwar ein sportliches Comeback, nach dem bitteren Aus bei der EM im August 2015 in Aachen gab die Besitzergemeinschaft das Ende der Karriere von Totilas im Sport bekannt.
Nachfrage steigt wieder
„Diese Entscheidung ist der Familie gewiss schwer gefallen, aber wir halten diesen Schritt für klug und richtig“, sagte Dennis Peiler, Sportchef der Deutschen Reiterlichen Vereinigung, damals. Und: „Leider stand die gemeinsame sportliche Karriere von Matthias Rath und Totilas von Beginn an unter keinem glücklichen Stern.“
Und was macht der Hengst heute? Wenn in Balve das Optimum vom 7. bis 10. Juni seinen 70. Geburtstag feiert, grast Totilas vermutlich in aller Seelenruhe auf einer Weide von Schockemöhles Deckstation in Mühlen. Es geht ihm gut, er ist gesund genug, um ein wenig geritten zu werden. „Er genießt seinen turnierfreien Alltag“, sagt Christoph Hinkel, Pferdewirtschaftsmeister bei Schockemöhle, auf Nachfrage.
Darüber hinaus geht er natürlich dem Auftrag nach, für welchen Schockemöhle ihn auch gekauft hat: Totilas sorgt für Nachwuchs. 2500 Euro ruft Schockemöhle laut Homepage als Decktaxe auf. Ist das Interesse an ihm als Vererber unverändert hoch? „Ja, es ist sogar wieder gestiegen, da seine ersten Nachkommen mittlerweile sechsjährig sehr erfolgreich im Sport gehen und sehr gut vermarktet werden“, antwortet Hinkel.
Der Kauf war kein Reinfall
„Der Kauf war züchterisch gesehen kein Reinfall, im Gegenteil“, ergänzt der Experte. „In den vergangenen Jahren hat er sehr viel gedeckt und das wird er voraussichtlich auch noch die nächsten Jahre tun, weil er für die Zucht sehr wertvoll ist.“ Mal eben so an Totilas’ Box zu gelangen, dürfte deshalb weiterhin ähnlich kompliziert sein wie einst in Balve.