Willingen. . Der ehemalige Skilanglauf-Bundestrainer Jochen Behle stellt im Interview eine harte Olympia-Prognose auf und spricht über fehlenden Nachwuchs.

Jochen Behle ist ein Freund klarer Worte. Das war in seiner Zeit als erfolgreicher Bundestrainer der deutschen Skilangläufer so, und das behält der 57-Jährige auch als Sportdirektor am Bundesstützpunkt Willingen/Winterberg sowie des Westdeutschen Skiverbandes bei.

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Wir sprachen mit dem in Schwalefeld bei Willingen wohnenden Langlauf-Experten über die Nachwuchsarbeit am Stützpunkt, über die deutschen Aussichten bei den Olympischen Winterspielen und über das Thema Doping.

Herr Behle, direkt gefragt: Wann werden wir den nächsten Skilangläufer oder die nächste Skilangläuferin aus dem Sauerland bei Olympia sehen?
Jochen Behle: (lacht leise) Das könnte mehr als schwierig werden.

Warum?
Weil die Talente im Moment nicht da sind. Von der Altersgruppe der 14- oder 15-Jährigen aufwärts sollte man darüber nicht nachdenken.

Auch immer wieder als TV-Experte gefragt: Jochen Behle sitzt in der Reporterkabine von Eurosport in Oberhof. Das hört sich danach an, als ob die Nachwuchsarbeit in den etwas weiter zurückliegenden Jahren vernachlässigt worden wäre.
Als ehemaliger Bundestrainer habe ich vielleicht besondere Vorstellungen von Trainingsgestaltung und -umfängen, aber aus meiner Sicht wurde am Stützpunkt in früheren Jahren kein Leistungssport betrieben. Um in die nationale Spitze vorzudringen, wären ganz andere Umfänge und Trainingsmaßnahmen notwendig gewesen. Und nur dort erhältst du die Möglichkeit, eventuell bei Olympia starten zu dürfen.

Sie sind seit 2012 am Stützpunkt tätig und wurden bereits unter anderem von Alfons Hörmann, dem jetzigen DOSB-Präsidenten, für Ihre Arbeit gelobt.
Um diese Defizite aufzuholen, bedarf es aber eines Aufbaus von ganz unten. Gerade im Skilanglauf ist das nicht in zwei Jahren möglich, sondern muss über viele, viele Jahre laufen. Das gilt auch für Biathlon. Im Skispringen geht es schneller, da kann es sein, dass wir in der näheren Zukunft neben Stephan Leyhe einen weiteren Olympia-Starter haben werden.

Stichwort Biathlon: Maren Hammerschmidt vom SK Winterberg wurde in Pyeongchang nicht für den Sprint nominiert und verpasste deshalb auch die Verfolgung. Hat Sie diese Entscheidung von Bundestrainer Gerald Hönig überrascht?
Ich hätte sie gerne im Sprint gesehen, denn das ist erstens ihre stärkste Disziplin und zweitens hängt der Verfolger mit dran. Überrascht hat mich die Entscheidung aber nicht, da ich die Trainerschaft ja kenne. Ich hoffe, dass Maren bei der Zusammenstellung der Staffel eine faire Chance erhält.

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Zurück zur Nachwuchsarbeit am Stützpunkt: Wie beschreiben Sie deren aktuellen Zustand?
Es ist für die Trainer, die dort arbeiten, nicht einfach, weil es sehr, sehr wenig Potenzial gibt. Es ist eben nicht mehr wie früher, als du aus einem Dutzend Läufer schöpfen konntest. Es gibt im Skilanglauf und im Biathlon vielleicht drei, vier, fünf Talente, die nach vorne kommen können. Dafür müssen sie aber alles auf den Sport ausrichten – wie es zum Beispiel eine Laura Dahlmeier getan hat.

Ihre Kollegen vom Bobsport zum Beispiel sprechen stets vom schier unausschöpfbaren Reservoir Ruhrgebiet mit seinen vielen Sportlern. (lacht) Da gibt es einen gravierenden Unterschied. Der Bobbereich beruft sich darauf, weil er nach Leichtathleten Ausschau hält. Die hast du im Ruhrgebiet, die können wir aber kaum als Langläufer oder Biathleten rekrutieren. Aus diesem Potenzial können wir nicht schöpfen. Wir sind auf die Vereine angewiesen, die bei uns aktiv sind – und das sind leider wenige.

Auch die Ergebnisse der deutschen Skilangläufer bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang dürften wieder nicht für einen Boom sorgen. Wie ist Ihre Prognose für die DSV-Langläufer in Südkorea?
Ich gehe davon aus, dass die Null stehen wird was Medaillen angeht. Alles andere wäre eine Überraschung und die kann es realistisch gesehen auch nur in der Damen-Staffel geben, wenn die Konkurrenz patzt. Aber: Wir haben es ja bei Arnd Peiffer im Biathlon erlebt, dass so etwas möglich ist. Ich würde mich natürlich freuen.

Warum hält die Durststrecke im Langlauf auch in Pyeongchang an?
Meiner Meinung nach gibt man sich schon im Nachwuchsbereich zu früh mit etwas zufrieden, was man erreicht hat. Eine Teilnahme an der Junioren-WM ist zwar schön, aber auf dem Weg nach vorne ist sie eigentlich nichts. Da ist der Weg nach oben noch ultra weit. Wir freuen uns ja schon über 12. Plätze, oder wie am Sonntag den elften Platz von Thomas Bing – da hätten wir vor vier oder acht Jahren gesagt, na ja, das war es dann nicht.

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Die offizielle Zielsetzung spricht nunmal von Top-15-Platzierungen.
Das ist ja auch richtig. Für mehr ist kein Potenzial vorhanden. Aber wieso ist es so weit gekommen? Natürlich hast du nicht immer eine „Goldene Generation“ wie zu den Zeiten mit Teichmann, Angerer, Filbrich oder Sommerfeldt – das war ja Weltklasse pur. Meiner Meinung nach geht man vielen Dingen aber zu oft aus dem Weg. Leistungssport ist harte Arbeit – und ist auch nicht immer schön. Wenn du erfolgreich sein willst, musst du konzentriert 365 Tage im Jahr hart arbeiten.

Herr Behle, vor den Olympischen Spielen gab es einen Bericht eines Rechercheverbundes um den ARD-Doping-Experten Hajo Seppelt über eine Liste mit auffälligen Blutwerten bei 290 Skilangläufern in der Zeit von 2001 bis 2010. Was sagen Sie dazu – Sie waren damals schließlich der Bundestrainer?
Ich lege für meine damaligen Athleten die Hand ins Feuer. Wissen Sie, was mich an dieser Berichterstattung stört? Da ist die Rede von Whistleblowern und so weiter – das ist eine offizielle Liste, die von der FIS stammt und in der ganz normale Daten von Wettkämpfen oder Trainingseinheiten gesammelt wurden, mit denen der Weltverband nach den damaligen Maßstäben gearbeitet und sanktioniert hat. Ich würde mir darüber hinaus wünschen, dass Herr Seppelt diese Liste öffentlich macht und Namen nennt.

Sie klingen gereizt.
Fakt ist: Hajo Seppelt nennt nie Namen. Selbst die Sportler bitten darum, weil sie sich dann wehren könnten. Seppelt stellt eine Sportart unter Generalverdacht und liefert dafür keine Beweise. Das finde ich nicht gut. Wir hätten gerne diese Beweise. Für mich ist das alles Polemik kurz vor einem Großereignis. Unsere guten Ergebnisse von damals werden so mit in den Schmutz gezogen. Die, die sauber gearbeitet haben, unter Generalverdacht zu stellen, finde ich fies. Ich warte auf die Namen – aber ich werde wohl noch lange warten müssen.

Den Kampf gegen Doping generell unterstützen Sie aber, oder?
Natürlich! Man muss immer gegen Doping kämpfen! Wie will ich sonst Eltern davon überzeugen, in eine Sportart reinzugehen, wenn man weiß, es endet im Doping. Der Kampf für einen sauberen Sport muss weitergeführt werden. Es wird aber immer wieder schwarze Schafe geben, die es rauszufiltern gilt. Und dazu muss man die Namen haben.