Hagen. Rainer Hänsch schrieb 1983 die ultimative Hymne für das Sauerland. Hier spricht er über Höhen und Tiefen der Neuen Deutsche Welle.
Als er 1983 an seinem Schreibtisch saß und „Sauerland“ schrieb, ahnte Reiner Hänsch (65) nicht, dass er sich – und seine Rockband „Zoff“ – unsterblich machen würde. Nicht nur in seiner Heimat. Auch 35 Jahre danach ist das „Sauerland“-Lied nicht nur auf Partys – und nicht nur im Sauerland – präsent. Vom Ballermann bis zur Zugspitze und vom Goldstrand bis zum Nordseestrand wird der Song gefeiert. Hänsch, der in diesem Interview gerne geduzt werden wollte, traf mit seinem Stück in der Zeit der Neuen Deutschen Welle das Lebensgefühl der Menschen.
Wie Westfalens Musik die Republik überwältigte – das SpezialZoff wird gerne in einem Atemzug mit der Neuen Deutschen Welle genannt. Habt Ihr Euch eigentlich dieser Musik-Bewegung zugehörig gefühlt?
Reiner Hänsch: Ich gebe gerne zu, dass wir von der Welle ein wenig mitgetragen wurden. Aber richtig darauf gesurft haben wir nie. Wir haben ja einfach nur deutsche Rock-Songs geschrieben wie vielleicht Lindenberg, BAP oder Klaus Lage. Und die hatten mit der NDW auch nichts zu tun.
Wie hast Du die Neue Deutsche Welle erlebt?
Sie fing sehr interessant als deutschsprachige Variante von Punk und Wave im Untergrund an. Es war eine aufregende Zeit, in der viele Bands gegründet wurden, die es anders machen und den Laden aufmischen wollten. Diese Aufbruchstimmung hielt sich bei der späteren Neuen Deutschen Welle leider nicht – sie endete jämmerlich mit peinlichen, leider erfolgreichen Quatsch-Songs wie „Tretboot in Seenot“ oder „Hohe Tannen“. Es wurde am Schluss so viel unerträglicher Schrott produziert.
Wie kam es zu dem Ausufern der eigentlichen Neuen Deutschen Welle?
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Die Musikindustrie hat die eigentliche Neue Deutsche Welle schamlos kommerzialisiert. Von den Plattenfirmen kam die unmissverständliche Aufforderung: „Ihr müsst deutsch singen“ - auf Teufel komm raus. Und damit begann der Abstieg. Richtig deutsch texten kann eben nicht jeder. Aber gute Texte zu schreiben, war dabei ja auch gar nicht das Ziel. Und so wurde es immer blöder. Übrig geblieben sind die Leute, die richtige Musik mit echten Texten gemacht haben und immer noch machen.
Erkennst Du nicht auch Positives an der Neuen Deutschen Welle?
Vielleicht, dass deutschsprachige Rockmusik danach durchaus möglich und normal war. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass Leute wie Udo Lindenberg und Nina Hagen die Pioniere der deutschsprachigen Rockmusik waren und die NDW erst möglich gemacht haben. Nach ihnen war Deutsch plötzlich eine singbare Sprache.
Zur „Sauerland“-Hymne von Zoff: Wie erklärst Du Dir den Erfolg des Liedes, der bis heute anhält?
Ich möchte mir nicht auf die eigene Schulter klopfen. Aber: Die Melodie bleibt im Ohr, der Refrain ist einprägsam, und der robuste, freche, lustige und selbstironische Text hat das Wir-Gefühl einer ganzen Region gestärkt. Es wurde ein zeitloser Hit mit allgemeingültigem Inhalt nicht nur für Sauerländer. Auch anderswo sitzen Menschen auf einem Trecker oder feiern gerne. Viele Menschen erkennen sich wieder.
Aber nicht jeder hat die Selbstironie verstanden, oder?
Das stimmt. Vor Jahren hat ein Sauerländer Bürgermeister unser Stück als größten Imageschaden für die Region bezeichnet. Tja, da hat er leider den Humor und die Satire in dem Lied nicht verstanden. Und, dass es eine Hymne an Land und Leute ist.
Wie bist Du damals auf die Orte mit den prägnanten Namen wie Kalberschnacke oder Hundesossen gekommen?
Ich habe einfach auf eine Sauerland-Karte geschaut. Mir fielen Orte auf, die sich schön reimen ließen. Orte, deren Namen ich vorher noch nie gehört hatte.
Wie seid Ihr auf den Bandnamen „Zoff“ gekommen?
Wir hatten einen Auftritt, und der Veranstalter wollte wissen, was er auf das Plakat schreiben soll. Es musste ganz schnell gehen. Unter Zoff verstand man damals wie heute Ärger machen. Aber das Wort war noch ziemlich frisch, kurz, prägnant und einprägsam. Und wir wollten die damalige Musikszene schließlich ordentlich aufmischen. Passte also.
Dem „Sauerland“-Lied konnte keiner Eurer weiteren Songs auch nur annähernd das Wasser reichen. Warum habt Ihr es nicht in die erste Liga der deutschsprachigen Rockbands geschafft?
Oh, das stimmt so nicht ganz. Es hat einiges mehr gegeben als „Sauerland“. Viele gute Songs, die die Fans bis heute Wort für Wort mitsingen. Das zeigt, dass sie eine Bedeutung hatten und immer noch haben. Aber dass wir es nicht so ganz nach oben geschafft haben, lag vielleicht daran, dass ich zu ungeduldig und nicht konsequent genug war. Wenn man dauerhaften Erfolg haben will, muss man konsequent dabei bleiben. Da hatten andere Bands uns vielleicht einiges voraus. Immer dran bleiben! Im Nachhinein ist man schlauer: Wir hätten uns 1984 nicht auflösen sollen, hätten besser durchgehalten. Diese Sichtweise unterstreichen auch die vollen Hallen, seitdem wir – seit 2003 – wieder Konzerte geben.
Lag es auch an Eurer Plattenfirma? Ihr wart einst bei Ralph Siegel, Mr. Grand Prix Eurovision de la Chanson, unter Vertrag.
Wir hatten schon auch andere Angebote, da war man allerdings nicht mit unserer bereits fertigen Produktion einverstanden, also sind wir bei Siegel gelandet. Der hat uns so gekauft, wie wir waren. Natürlich fragten wir uns damals schon, ob das so richtig ist – eine Rockband bei einem Schlager-Produzenten in der Gesellschaft von Karel Gott, Nicole und Dschingis Khan. Letztlich muss man sagen, waren wir bei Ralph Siegels „Jupiter-Records“ nicht richtig aufgehoben, und auch deshalb habe ich dann irgendwann den Schlussstrich gezogen.
Du sprachest die Aufbruchstimmung in den 80er Jahren an. Was hat die damalige Zeit mit der Provinz, dem Sauerland gemacht? Wie hast Du die Begeisterung bei Euren Konzerten erlebt?
Diese Zeit mit dieser neuen deutschen Musik hat das Sauerland natürlich genauso mitgerissen wie alle jungen Leute im Rest der Republik. Endlich wurde deutsch gesungen, endlich verstand man die Texte und konnte lauthals und voller Überzeugung mitsingen. Die einen sangen lieber die Texte der einen Band und andere die einer anderen. Denn es gab ja endlich eigene, selbstgemachte Musik und nicht nur die nachgespielten Hits der großen englischen und amerikanischen Vorbilder. Der Erfolg von „Sauerland“ hat uns damals regelrecht überrannt. Wir hatten plötzlich proppevolle Hallen mit bis zu 3000 Leuten, die Luft war zum Schneiden und die Stimmung unfassbar gut. Das hat uns echt umgehauen. Damit hatten wir nicht gerechnet.
Hat Eure „Sauerland“-Hymne irgendetwas verändert?
Naja, „Sauerland“ war die erste selbstbewusste Hymne an eine bisher wenig beachtete und unterschätzte Region und ihre Menschen – und das alles in Rock. Das war neu, und das hat die Menschen stolz gemacht, selbstbewusster und hat sie damit vielleicht auch ein wenig verändert. Und ich denke auch, dass „Sauerland“ noch ein Weilchen die „ewige“ Hymne bleiben wird. Zoff gibt es ja auch immer noch, und die NDW ist längst vorbei. Zoff übrigens 15.12. in Hohenlimburg im Werkhof live!
Habt Ihr das Sauerland mit dem „Sauerland“-Lied bekannter gemacht?
Unbedingt. Das Lied hat dem Sauerland enorm geholfen, bekannter zu werden. Ich bekomme auch immer eine Menge Anfragen von Firmen und Unternehmen, die den Song für ihre Werbung nutzen wollen. Er läuft auch momentan für einige Werbespots.
War „Zoff“ Vorreiter für andere Bands im Sauerland? Eiferten Euch insbesondere junge Formationen nach?
Ja. Es gab sicherlich viele Bands, denen wir Mut gemacht haben, ihre eigenen Sachen in deutsch zu machen.
Hat das „Sauerland“-Lied Dein Leben verändert? War es Deine Rentenversicherung?
Mein Leben hat der Song auf jeden Fall beeinflusst. Eine Rentenversicherung ist er nicht unbedingt. Der Song wird zwar überall und jeden Tag – zumindest im Sauerland – immer und immer wieder von Bands und DJs gespielt, keine Feier ohne „Sauerland“, aber das Gema-Verrechnungssystem ist leider zu ungenau, um mir das angemessen zu vergüten. Aber mein Leben wäre anders verlaufen, wenn es diesen Song nicht gegeben hätte. Er hat mir einige Türen geöffnet, er hat geholfen, dass ich heute Bücher schreiben und Lesetouren machen kann, bei denen natürlich „Sauerland“ immer dazugehört und erwartet wird. Wir würden ohne diesen Song vielleicht auch keine Konzerte mehr machen … Er war eben eine Weiche in meinem Leben, die mich auf einen Weg gebracht hat, der mir bis heute gut gefällt.