Finnentrop. . Beim 1. Kultur-Forum der Westfalenpost diskutierten Chorleiter und Lehrer über die Situation der Kinder- und Jugendchöre in der Region. Es gibt viele Probleme, aber auch erfolgreiche neue Wege. Fazit außerdem: Wer singt, ist schnell auch in anderen Fächern gut.

In NRW kann man Erzieherin werden, ohne je eine Stunde Musikunterricht gehabt zu haben. Diese Tatsache ist nur ein Indiz für die gesellschaftlichen Probleme, die drohen, weil seit zwei Generationen in den Familien nicht mehr gesungen wird. Und dennoch erleben Jugendchöre derzeit eine Renaissance: Spannende Themen also, die eine Expertenrunde beim 1. Kultur-Salon unserer Zeitung auf Haus Bamenohl in Finnentrop mit Chefredakteur Stefan Hans Kläsener und der Kulturredaktion diskutiert hat.

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Es ist ein Teufelskreis: Eltern singen nicht mehr. Lehrer haben das Singen im Elternhaus nie gelernt. Gleichzeitig wird das Bewusstsein in der Politik größer, dass dies eine Fehlentwicklung mit unkalkulierbaren Folgen ist. Die Experten unserer Kultur-Salon-Runde sind keine Eventmanager, die Furore machen wollen. Sie sind höchst engagierte Chorleiter und Lehrer, denen es um Nachhaltigkeit geht. Doch selbst erfolgreiche Jugendchöre stehen vor Herausforderungen, denn der offene Ganztag erschwert es, weiter nachmittags zu proben. Parallel entstehen neue Formen des Singens wie die Vokalklassen.

Chormusik ohne Sing-Erfahrung

Die mangelnde Wertschätzung des Musikunterrichts durch die Bildungspolitik wird als eines der größten Hindernisse beschrieben. Außerdem fehlt es an qualifizierten Pädagogen. Prof. Werner Schepp bildet an der Folkwang-Hochschule Essen künftige Grundschullehrer für den Musikunterricht aus: „Ich stelle fest, dass jetzt die jungen Menschen an die Hochschule kommen, die ohne Singen groß geworden sind. Die studieren Chormusik ohne Sing-Erfahrung.“

Michael Blume ist ein Pionier. Der Lehrer und Vorsitzende des Musikrates im Deutschen Chorverband hat vor sieben Jahren eine Vokalklasse an der Clara-Schumann-Gesamtschule Kreuztal eingerichtet. Die Erfahrung lehrt, dass diese Jungen und Mädchen schnell auch in anderen Fächern gut sind. Ohne Ganztag hätte er das Projekt nicht realisieren können, resümiert Blume.

Chorleiterinnen wie Christa Maria Jürgens aus Lennestadt und Hadewich Eggermont aus Balve betonen hingegen, dass die Vokalklassen die traditionellen Vereinschöre nicht ersetzen können. „Wenn die Kinder schulübergreifend im Chor zusammen kommen, dann können sie voneinander lernen. Das ist wichtig für die Persönlichkeitsbildung“, hebt Christa Maria Jürgens hervor. Armin Klotz, Chorleiter aus Wickede, bestätigt das: „Im Jugendchor sind alle Schulformen zusammen, die schaffen gemeinsam etwas.“

Probleme durch den Ganztag hat auch Jost Salm, der Leiter des Knabenchores der Chorakademie Dortmund. „Wir versuchen, etwas zu bewahren, was es seit Jahrhunderten gibt: Knabenchöre. Fünf Tage in der Woche müssen die Kinder aber heute mindestens bis 15 Uhr in der Schule sein, da sagen die Eltern schon mal: lieber die Hände weg vom Knabenchor.“

Kein Raum für Kreativität

Wenn Jungen nicht mehr singen, hat das Konsequenzen. Georg Hellebrandt leitet den Knabenchor an der Hagener St. Marienkirche: „Wir verlieren ganze Generationen von Männerstimmen. Das hat erhebliche Auswirkungen auf die Chormusik.“

Michael Nathen ist freiberuflicher Musiker und hat am Gymnasium Lennestadt einen Chor aufgebaut. „Man nimmt den Jugendlichen die Möglichkeit, kreativ zu sein“, bemängelt er Defizite in den Lehrplänen. Die bildungspolitischen Missstände kritisiert ebenfalls Stefan Risse, Chorleiter aus Ense-Höingen. „Die Politiker sagen, unsere Kinder verschwenden Zeit, sie müssen schneller aus der Schule, schneller studieren. Da bleibt für Musik kein Raum.“

KMD Gerd Weimar aus Arnsberg musste ebenfalls feststellen, dass seit der Einführung des Ganztags einige Kinder nicht mehr zur Probe seines Ev. Kinder- und Jugendchors „Total Vokal“ gekommen sind. Also ist er seinerseits in die Schule gegangen. Doch es ist gar nicht so einfach, ein Chorangebot zu integrieren: „Inzwischen sind wir Anbieter im nachschulischen Bereich.“

Wie man eine Schule zum Singen bringen kann, beweist die Grundschule Hallenberg. Alexandra Schnorbus hat 75 Kinder in ihrem Schulchor. Georg Scheuerlein, Leiter des Kulturbüros Sauerland und der Musikschule HSK, wünscht sich, dass Hallenberg überall sein könnte. „Mit einem Projekt soll ein Mindestkanon erarbeitet werden, welche Lieder und Tänze jedes Kind kennen soll, das die Grundschule verlässt.“ Ebenfalls innovativ ist der Weg, den Kantor Christian Rose von der St. Vincenzkirche in Menden einschlägt. Er bietet täglich Singen für Grundschul- und Kindergartenkinder an.

Der Hagener Generalmusikdirektor Florian Ludwig unterstreicht: „Es gibt keine bessere Grundlage, um soziale Kompetenzen zu lernen, als gemeinsam zu musizieren. Musik ist das einzige Fach, wo man nur durch Zusammenspielen Erfolge erreicht.“