Siegen. Nach Siegen wird Meschede zum Schauplatz einer Bauern-Demo. Droht eine Eskalation der bundesweiten Proteste? Was ein Forscher sagt.
Die Bauernproteste im Land gegen die Sparpläne der Ampel-Koalition nehmen Fahrt auf. Erst eine Groß-Demo in Siegen, dann eine Protestveranstaltung am vergangenen Freitag in Siegen – und jetzt hat der Deutsche Bauernverband zu einer Aktionswoche ab dem 8. Januar aufgerufen, an der sich auch die Transportbranche beteiligen will. Am kommenden Montag wollen Landwirte am Flugplatz Meschede-Schüren protestieren. Als Redner haben sich CDU-Chef Friedrich Merz und der heimische SPD-Bundestagsabgeordnete Dirk Wiese angesagt. Wird es zu einem „heißen Januar“ in der Republik kommen? Fragen an den Politikwissenschaftler und Soziologen Dr. Olaf Jann von der Universität Siegen.
Bundesweite Proteste von Landwirten und Spediteuren, dazu ein möglicher Streik der Lokführergesellschaft. In sozialen Netzwerken wird bereits von einem „Generalstreik“ gesprochen, der über das Land hineinbrechen wird. Wie werden sich aus Ihrer Sicht die Bauernproteste entwickeln?
Zunächst einmal: Ein Generalstreik, der ein ganzes Land lahmlegen kann - wie zum Beispiel in Frankreich üblich -, ist in Deutschland rechtswidrig. Die Väter des Grundgesetzes haben das Streikrecht lediglich für Lohnabschlüsse in bestimmten Branchen vorgesehen. Vorbild für die aktuellen Aktionen hierzulande sind sicher die Proteste der Bauern-Bewegung in den Niederlanden, die in den vergangenen zwei Jahren relativ viel Aufmerksamkeit erregt haben – und Niederschlag in Wahlen gefunden haben: So wurde im vergangenen März die neue Bauern-Bürger-Bewegung (BBB) bei den Provinzratswahlen aus dem Stand stärkste Kraft in fast allen zwölf Provinzen. Der Rechtspopulist Geert Wilders dürfte bei der Parlamentswahl im November 2023 auch von den Protesten profitiert haben. Ich könnte mir vorstellen, dass sich die Bauernproteste in Deutschland bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September, bei der Europawahl im Juni und bei diversen Kreistags- und Kommunalwahlen in diesem Jahr auswirken.
Meinen Sie, dass die Menschen zunehmend für die AfD stimmen und die Ampel-Koalition abstrafen?
Die derzeitigen Wahlumfragen sehen Erfolge der AfD – aber nicht, weil die Menschen auf einmal einen Rechtsruck gemacht hätten, sondern weil sie so unzufrieden sind mit der Politik der Bundesregierung. Der Leidensdruck der Menschen ist in den letzten Merkel-Jahren und in den 24 Monaten der Ampel-Koalition immer größer geworden. Sie haben das Gefühl, dass die Regierung nicht die Interessen der Bürger vertritt.
Befürchten Sie vor diesem Hintergrund eine Eskalation der aktuellen bundesweiten Proteste?
Nein. Es wird Einzelfälle geben, wo die Wut ein wenig explodiert. Das ist bei Groß-Demonstrationen nie zu verhindern. Aber im Gegensatz zu den Corona-Protesten, die von den politischen Rändern aus entstanden sind, gehören die Landwirte der bürgerlichen Mitte an. Hier scheint sich etwas verändert zu haben: Deutschland ist eigentlich nicht bekannt für großflächige Proteste, im Vergleich zu Ländern wie Frankreich oder Großbritannien herrscht hier eine hohe Duldsamkeit. Aber wenn man sich die Proteste von Landwirten und Spediteuren oder die Ärzte- und Lokführerstreiks anschaut, wird deutlich: Viele gesellschaftliche Gruppen haben die Schwelle zur Duldsamkeit erreicht. Es ist in weiten Teilen der Bevölkerung eine große Unzufriedenheit mit der Politik der Bundesregierung festzustellen. Noch einmal zu Ihrer Ausgangsfrage: Wie sich die Proteste entwickeln, hängt natürlich auch maßgeblich von der Reaktion der Politik ab. Sollte die Politik wieder den Fehler machen, die Proteste als demokratiefeindlich oder gar als rechts zu diskreditieren, würde dies sicher zu einer Emotionalisierung und möglicherweise auch zu einer Eskalation führen.
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Befürchten Sie angesichts der von Ihnen beschriebenen großen Unzufriedenheit eine Radikalisierung der Bauernproteste? Werden die AfD oder andere Gruppen, die mindestens in einem Bundesland als rechtsextremistisch eingestuft werden, auf den Zug aufspringen?
Natürlich wird die AfD versuchen, von den Protesten zu profitieren. Das wird nebenbei bemerkt auch die CDU als Oppositionspartei im Bundestag versuchen. Aber: Die AfD wird keinen direkten Einfluss nehmen können, weil die Bauernproteste – wie gesagt – aus der politischen Mitte der Gesellschaft kommen. Daher erwarte ich auch keine Radikalisierung der Proteste. Zudem scheinen die Bauernproteste, wenn man die bisherigen verfolgt hat, sehr gut organisiert zu sein. Und die Teilnehmer scheinen sehr diszipliniert zu sein.
Können die Bauernproteste noch etwas an den Sparplänen der Bundesregierung ändern?
Zunächst: Die Bauernproteste genießen eine hohe Sympathie in großen Teilen der Bevölkerung. Und sie haben eine enorme symbolische Wirkung. Denken Sie nur an die eindrucksvollen Bilder, wenn Hunderte von Traktoren an einem Punkt zusammenkommen. Die Proteste können noch kosmetische Veränderungen an den Beschlüssen der Bundesregierung bewirken. Bundesfinanzminister Lindner (FDP) hat zuletzt noch gesagt, dass man für andere Lösungen durchaus offen ist.
Es sind ja nicht nur die Landwirte, die derzeit aufschreien. Nehmen wir die Gastronomen, die über die Rücknahme der ermäßigten Mehrwertsteuer zum 1. Januar laut klagen. Was spielt sich derzeit im Land ab?
Der Ton ist rauer geworden, der Unmut über politische Entscheidungen flächendeckend. Man traut der regierenden Koalition keine Lösungen zu. Die hohen Energiekosten beispielsweise treffen jeden einzelnen Bürger. Viele haben den Eindruck, dass immer noch etwas mehr draufgesattelt wird. Die Einsparpotenziale sind bei vielen Menschen aufgebracht.
Wird es eine langanhaltende Protestwelle in Deutschland geben?
Das kann ich mir nicht vorstellen. Es wird bei eher punktuellen Protesten bleiben. Wir haben bereits bei den Klimaprotesten erlebt, dass die Aufmerksamkeitsschwelle irgendwann abebbt.