Siegen. Seit dem 15. Dezember steht Prof. Dr. Stefanie Reese an der Spitze der Universität Siegen. Wo sie dringend Veränderungsbedarf sieht.
Die neue Chefin der Universität Siegen hat sich einiges vorgenommen. Die Bauingenieurin Professor Dr. Stefanie Reese hat am 15. Dezember das Rektorenamt von Professor Dr. Holger Burckhart übernommen. 14 Jahre lang leitete der Philosoph Burckhart die Geschicke der Uni, die 1972 als Gesamthochschule auf dem Haardter Berg elfenbeinturmgleich gegründet wurde. Etwas abseits des Siegener Alltags. In den vergangenen Jahren hat der Wissenschaftsbetrieb Anschluss an das Stadtleben gesucht und zunehmend gefunden. Ein Teil der Universität ist vom „Bildungsberg“ ins Zentrum gezogen, zwei weitere Fakultäten werden noch folgen. Der Austausch und die Kooperation mit der heimischen Wirtschaft wachsen. Was Stefanie Reese vom Erreichten hält und was sie als Rektorin verändern will, erklärt die 58-jährige Wissenschaftlerin im Interview mit dieser Zeitung.
Der Wechsel an der Unispitze war erst für den Januar angekündigt. Nun sind Sie schon im Amt. Wieso der Frühstart?
Professor Dr. Stefanie Reese: Es ist kein Frühstart. Es stimmt, der 1. Januar 2024 war kommuniziert - und das war schon ambitioniert. Ich bin erst am 8. August gewählt worden. Vonseiten der Universität Siegen ging es sehr schnell. Die RWTH Aachen, wo ich bis zuletzt den Lehrstuhl und das Institut für angewandte Mechanik geleitet habe, hat etwas mehr Zeit gebraucht. Auch das Wissenschaftsministerium muss am Ende einer solchen Wahl zustimmen. Hier hat sich der Vorsitzende des Hochschulrats, Arndt Kirchhoff, beschleunigend eingesetzt. Für die Unterstützung bin ich sehr dankbar und froh, dass alles geklappt hat.
Es gab mehrere Anläufe, die Nachfolge von Prof. Burckhart zu regeln. Der frühere NRW-Wissenschafts- und spätere Landeswirtschaftsminister Andreas Pinkwart war zuvor in der Hochschulwahlversammlung durchgefallen. Das hat Sie nicht abgeschreckt?
Nein, ich habe es natürlich verfolgt. Dass Bewerberinnen oder Bewerber durchfallen, wie Sie es bezeichnen, kommt vor, auch an anderen Hochschulen. Da ist Siegen kein Einzelfall. Als ich mich beworben habe, war mir dies natürlich bewusst.
Haben Sie mit Wissenschaftskollegen vor der Wahl über Ihre Bewerbung gesprochen?
Ja, aber erst, als ich auf der Position 1 stand. Ich habe dann auch mit mir wichtig erscheinenden Menschen an der Universität Siegen und aus der Region Kontakt gesucht. Das waren sehr gute Gespräche.
Inwiefern kannten Sie Siegen und die Universität bereits vor Ihrer Wahl?
Ich war vorher tatsächlich nur wenige Male als Wissenschaftlerin zur Begleitung von Promotionsprüfungen an der Universität. Unabhängig davon ist Siegen als eine dynamische Universität bekannt, hat ein interessantes Fächerprofil und ist sehr stark in der Lehrkräftebildung und in der Forschung, mit Leuchttürmen durch Sonderforschungsbereiche in den Kultur- und Medienwissenschaften und in der Physik.
Prof. Burckhart ist Philosoph, Sie sind Ingenieurin. Ist Ihre Absicht, Schwerpunkte an der Universität zu verändern?
Vor allem geht es mir darum, hier gute Bedingungen zu schaffen. Ehrlich gesagt, die Region ist toll. Ich freue mich, hier in Siegen eine Wohnung gefunden zu haben, die ich ab Januar beziehen kann. Für die Universität ist die Nähe zu den vielen starken Unternehmen hochinteressant. Wichtig ist, dass viel mehr Menschen, auch aus dem Ausland, nach Siegen kommen. Dafür würde ich mir eine bessere Verkehrsinfrastruktur wünschen oder neue Mobilitätskonzepte zur Vernetzung mit Ballungsräumen wie Köln. Exzellenz-Universitäten wie Aachen oder Bonn sind aktuell sicher in einer besseren Situation. Siegen gilt im Vergleich als zweite Wahl. Eines meiner wichtigsten Ziele ist, dies in den starken Bereichen von Siegen zu ändern.
Das klingt sehr ambitioniert.
Die Universität erzielt tolle Forschungsergebnisse und bietet sehr gute Studienbedingungen mit einem fantastischen Campus in der Innenstadt rund um das Untere Schloss. Im Vergleich zu großen Universitäten wie Köln ist hier alles etwas überschaubarer und persönlicher. Dazu kommen eine hohe Lebensqualität und Lebenshaltungskosten, die vergleichsweise günstig sind. All das müssen wir noch offensiver und selbstbewusster in die Öffentlichkeit tragen
Die Studierendenzahlen an der Universität Siegen sind zuletzt gesunken. Das hat Einfluss auf die Finanzierung. Beunruhigt Sie das?
Wir zählen aktuell etwa 15.000 Studierende. Diese Zahl sollte nicht weiter absinken. Bis 2026 ist die Grundförderung über das Land gesichert. Aktuell ist die Finanzierung des Status quo gut. Ich möchte aber, dass wir in Zukunft als Universität in der Region stärker im Bereich Qualifizierung und lebenslanges Lernen aktiv werden. Die Fachkräfte werden hier in Südwestfalen dringend gebraucht. Allerdings müssen wir als Hochschule ein solches Engagement auch auf unsere Auslastung angerechnet bekommen. Einige Lehrstühle bei uns sind heute personell noch knapp besetzt, haben nicht Universitätsstandard. Das liegt daran, dass die Hochschule 1972 als Gesamthochschule gegründet wurde und erst seit 20 Jahren Universität ist. Wir benötigen eine bessere personelle Ausstattung, brauchen an den Lehrstühlen mehr wissenschaftliche Hilfskräfte für die Forschung, um auch den akademischen Nachwuchs zu sichern.
Durch die Pandemie wurden über mehrere Semester viele Lerninhalte digital angeboten. Was halten Sie von einem digitalen Studium?
Ich könnte mir das ergänzend sehr gut vorstellen. Es wäre eine große Chance für Siegen, zusätzliche Studierende aus anderen Regionen Deutschlands und aus dem Ausland zu gewinnen. Kern ist und bleibt aber natürlich das Präsenzstudium.
Werden die Studierenden ihre Rektorin in Zukunft auch im Hörsaal bei einer Vorlesung erleben?
Ich bin lange Wissenschaftlerin gewesen. 1995 habe ich meine erste Vorlesung gehalten, da war ich 30 Jahre alt. Bis zum Sommer dieses Jahres habe ich sehr viel gelehrt. Jetzt betreue ich abschließend noch meine Doktoranden und Doktorandinnen am Lehrstuhl in Aachen. In Siegen werde ich neben meiner Aufgabe als Rektorin nicht lehrend und forschend tätig werden, dafür ist in diesem Amt zu viel zu tun. Dabei halte ich gerne Vorträge. Ein besonderer Termin steht für kommenden Sommer im Kalender. Ich darf Anfang Juni in Lissabon beim Eccomas-Kongress einen Plenar-Vortrag halten. Dazu eingeladen zu sein, ist eine große Ehre. Alle zwei Jahre kommen die wichtigsten Experten aus Naturwissenschaft und Ingenieurwesen zusammen. Mein Thema ist die Entwicklung und der Einsatz datenbasierter Modelle in Kombination mit Modellreduktion. Es geht darum, komplexe Prozesse sehr schnell zu rechnen und dabei möglichst viele verfügbare Daten einzubeziehen.
Viel Erfolg in Siegen und herzlichen Dank für das Gespräch.