Hagen. Olpe war jahrelang der Vorzeige-Kreis, nun droht ihm laut einer Studie der Absturz. Woran das liegt, was Menschen dort sagen, was helfen könnte.

Könnte der Absturz so heftig kommen? Weg aus der behaglichen „soliden Mitte Deutschlands“ und runter in die „Räume mit besonderen strukturellen Herausforderungen“? Von der Wohlstands- in die Risikoregion? Dem Kreis Olpe droht dieses Zukunftsszenario, wenn man einer aktuellen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung folgt.

Studie über Zukunftsperspektiven und Transformationsdruck

Demnach gehören zu dem Klub der „Räume mit besonderen strukturellen Herausforderungen“ neben nahezu allen ostdeutschen Landkreisen in Westdeutschland nur noch die Kreise Kassel in Nordhessen sowie Kronach und Main-Spessart im bayerischen Franken – und eben Olpe. Schlimm genug, aber noch nicht alles: Die Studie hat die 400 Landkreise und Großstädte Deutschlands noch weiter analysiert – zum Beispiel auf die Anzahl der Beschäftigten in energieintensiven Betrieben oder in der Auto(zuliefer)industrie. Ergebnis: Der Kreis Olpe ist einer von nur sechs in ganz Deutschland, der „erhebliche Strukturprobleme“ hat.

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Martin Hennicke hat die Studie des Dortmunder Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung betreut. Der „Disparitätenbericht Ungleiches Deutschland“ beschreibt, wie Regionen derzeit dastehen und welche Zukunftsperspektiven sie haben. „Der Kreis Olpe weist als eine von sechs Regionen erhebliche Strukturprobleme auf“, sagt Hennicke: „Das heißt aber nicht, dass diese Region verzweifeln muss. Zukunft ist ja gestaltbar.“

Kreis Olpe aktuell: einer der Musterschüler - aber dann...?

Um zu verstehen, warum die Studie trotzdem so aufhorchen lässt, muss man sich vor Augen führen, wo der Kreis Olpe mit seinen 135.000 Einwohnern heute steht: auf einer der Musterschüler-Positionen in ganz NRW.

Die Arbeitslosenquote? Lag im August bei 4,3 Prozent. Weit unter dem NRW-Schnitt von 7,4 Prozent – einer der besten Werte im ganzen Land.

Alters- und Kinderarmut? Liegt laut der Statistiker weit unter dem Bundesdurchschnitt.

Das Bruttoeinkommen? Mit 3589 Euro gut 140 Euro über dem Deutschlandschnitt.

Solide Mittelständler, schmucke Dörfer und Städte, der Biggesee – Olpe hat sich in den vergangenen Jahren seinen Vorzeigestatus erarbeitet. Solide Mitte Deutschlands eben – genauso wie zum Beispiel der Hochsauerlandkreis oder Siegen-Wittgenstein.

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Aber Experte Martin Hennicke, der als Transformationsmanager Städten, Regionen, Unternehmen bei der Vorbereitung auf die Zukunft hilft, hat auch die anderen Daten im Blick, die für Olpe zum Mühlstein um den Hals werden könnten: „Der Kreis Olpe gehört zu den wenigen Kreisen mit einem negativen Wanderungssaldo, wo also mehr Menschen wegziehen als zuziehen“, sagt er. „Außerdem fällt auf, dass der Anteil von hoch qualifizierten Beschäftigten und die Attraktivität für ausländische Fachkräfte vergleichsweise gering ist.“ Das Demografie-Problem werde sich also vermutlich in Zukunft noch verstärken.

Hohe Abhängigkeit von der energieintensiven Energie

Doch da ist nach Ansicht der Studienmacher ein noch größeres Problem: „Besonders schwer wiegt, dass der Kreis Olpe stark von der energieintensiven Industrie und von der Automobilindustrie abhängig ist“, beschreibt Hennicke. „Die wirtschaftliche Konzentration ist überdurchschnittlich groß. Eine hohe Konzentration heißt, dass eine Region von wenigen Branchen dominiert wird. Wenn die husten, ist die ganze Region krank.“

Dass die Versorgung mit Glasfaser ausbaufähig ist, die Erreichbarkeit mit der Schiene ebenso zu gering ist wie Betreuungsangebote für Kinder unter drei Jahren – auch das verbucht der Wissenschaftler auf der Negativseite des Zukunftskontos.

Olpes Landrat Theo Melcher.
Olpes Landrat Theo Melcher. © WP | Josef Schmidt

Was sagt da der Mann, den die Menschen im Kreis Olpe vor fast genau drei Jahren zu ihrem Landrat gewählt haben? Theo Melcher, CDU-Politiker und vorher lange als Kreisdirektor die Nummer 2 im Kreishaus, räumt ein, dass man in Olpe vor großen Herausforderungen stehe. „Neu ist das für uns allerdings nicht.“ Der Kreis Olpe sei bezogen auf den Anteil der Beschäftigten der industriestärkste Kreis in ganz NRW, zudem präge die Automobilzulieferbranche das produzierende Gewerbe. Damit sei die Notwendigkeit zur Transformation besonders ausgeprägt.

Landrat: „Unternehmen stellen sich längst darauf ein“

„Darauf stellen sich die Unternehmen aber schon seit geraumer Zeit ein“, sagt der Landrat. Und dass er keine Zweifel daran haben, dass sie die Zeichen der Zeit erkannt hätten. Schon vor Jahren habe man sich daher zum Verbund innovativer Automobilzulieferer zusammengeschlossen. Gleichwohl brauche der Kreis mehr Gewerbegebiete, zudem müsse der Glasfaserausbau beschleunigt werden. Entscheidend für den Wohlstand sei aber auch preiswerte und sichere Energie. „Da brauchen wir die Unterstützung der Bundes- und Landespolitik.“

Das sieht auch Arndt G. Kirchhoff so. Die Armaturenindustrie im Raum Olpe arbeite zum Beispiel sehr energieintensiv, sagt der nordrhein-westfälische Unternehmerpräsident: „Diese Unternehmen haben ein Problem, wenn es keinen Brückenstrompreis gibt.“ Das gelte zwar nicht nur für den Kreis Olpe, aber eben auch.

Unternehmer-Präsident NRW Arndt G. Kirchhoff.
Unternehmer-Präsident NRW Arndt G. Kirchhoff. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Kirchhoff ist aber nicht nur Funktionär, er ist vor allem auch selbst Chef eines Automobilzulieferers – und er lebt in Attendorn im Kreis Olpe. Er ist also mehrfach betroffen. „In solchen Studien sind meist ein paar wahre Kerne enthalten“, sagt Kirchhoff denn auch. Aber dass die vielen Automobilzulieferer jetzt ein Hauptrisiko darstellen könnten, das glaubt der Unternehmer nicht: „Die sind von der Transformation zur Elektromobilität gar nicht so sehr betroffen, weil viele sich mit Blechumformung und weniger mit Antriebskomponenten beschäftigen.“

Grünen-Politiker: „Sehe die Transformation noch nicht“

Wie beispielsweise Kirchhoff Automotive, sein eigenes Unternehmen. An den deutschen Standorten in Iserlohn und Attendorn würde die eigentliche Produktion bei Kirchhoff bereits seit geraumer Zeit immer weniger, dafür Forschung und Entwicklung immer mehr. „Ich bin mit Blick auf die Studie und den Kreis nicht beunruhigt“, sagt der Attendorner. „Die Firmen hier sind innovativ. Wir haben hier gute Lebensbedingungen. Attendorn und Olpe haben jeweils zwei Gymnasien, Lennestadt auch noch eins. Wir haben hier mehr Kindergartenplätze als im Landesdurchschnitt und viele tarifgebundene Unternehmen. Das bedeutet, die Verdienste sind entsprechend gut.“

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Gregor Kaiser, Landtagsabgeordneter der Grünen im Kreis Olpe, ist bezogen auf die Automobilzulieferer nicht ganz so optimistisch. „Ich sehe die notwendige Transformation dort noch nicht“, sagt er. „Die Autos werden immer größer, die meisten E-Autos sind nicht erschwinglich.“ Er erwarte von den Zulieferern, dass sie mehr Druck auf die Hersteller ausüben.

Gemeinsame Lösungen für Herausforderungen wie Digitalisierung und Klimawandel

Unabhängig davon sieht Kirchhoff einen Punkt, an dem man etwas tun müsse und dafür auch politische Unterstützung brauche. „Kleinere Unternehmen sind in Zukunft stärker auf Netzwerke angewiesen. Dafür wurde ,Do it Südwestfalen’ gegründet, damit Wissenschaft und Industrie gemeinsam Lösungen für Herausforderungen wie Digitalisierung, Klimawandel und Fachkräftemangel finden.“

Gerade der Bildungs-Gedanke und die bessere Vernetzung mit der Wissenschaft nimmt in der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung Raum ein. Sie kommt demnach zu drei Empfehlungen: mehr Investitionen in die Infrastruktur, mehr Fachkräfte ausbilden oder anwerben sowie besondere Hilfen für die energieintensive und die Automobilindustrie. „Es gibt Ansätze, die auch schon genutzt werden, das weiß ich, aber die Anstrengungen sollten intensiviert werden“, sagt Studien-Mitautor Hennicke. „Der Kreis Olpe hat den Nachteil, dass er keine eigene Fachhochschule hat. Also müssten Betriebe mehr mit den benachbarten Hochschulen kooperieren – oder Rückholer-Programme auflegen, mit denen Menschen, die im Kreis Olpe groß geworden sind, zurückgeholt werden.“