Hagen/Arnsberg. Norbert Albersmeier ist selbst Arzt. Auch er findet lange keinen Weg gegen das „Gefühl, dass einem der Kopf zerplatzt“. Nun geht es ihm besser.
Richtig verstehen könne das nur jemand, der betroffen sei, sagt Norbert Albersmeier. Dieses Gefühl, wenn der Kopf wie aus dem Nichts zu schmerzen beginnt, wenn jede Bewegung, jedes Geräusch, jedes Licht zur Qual werden kann. Wenn der Puls gegen den Schädel hämmert, dass kein klarer Gedanke mehr möglich ist. „Die Lebensqualität leidet enorm“, sagt Norbert Albersmeier aus Arnsberg. Er ist damit nicht allein, im Gegenteil. Aber in seinem Fall ist das Problem besonders heikel.
Kopfschmerzen gelten als Volkskrankheit. Über 50 Millionen Bundesbürger sind davon betroffen, deutlich mehr Frauen als Männer. Die Krankenhäuser Nordrhein-Westfalens verzeichnen nach aktuellen Daten eine steigende Zahl der Einweisungen wegen Kopfschmerzen. Im Jahr 2021 wurden insgesamt 18.647 Menschen in NRW wegen starker Kopfschmerzen und Migräneattacken stationär behandelt. Ein Plus von fast 25 Prozent.
Früher oft als „psychosomatische Frauenerkrankung“ abgetan
Warum das so ist? Professorin Dagny Holle-Lee sieht mehrere Faktoren. „Das moderne Leben mit weniger Pausen und der ständigen digitalen Überflutung führt sicherlich häufiger zu Kopfschmerzen“, sagt die Leiterin des Westdeutschen Kopfschmerzzentrums in Essen, dessen Patientinnen und Patienten etwa zu 20 Prozent aus Südwestfalen kommen. „Außerdem sind Kopfschmerzen mittlerweile gesellschaftsfähiger und als ‘richtige’ Krankheit akzeptiert. Früher wurden sie ja oft als eine psychosomatische Frauenerkrankung abgetan.“
Aber wie lebt es sich mit dem wiederkehrenden Schmerz im Kopf? Wie finden Betroffene das lindernde Medikament, den helfenden Arzt, die rettende Therapie?
Die Suche danach ist für viele eine Odyssee – wie eben für den Arnsberger Norbert Albersmeier. „Ich habe so ziemlich jedes Schmerzmittel ausprobiert“, sagt der 72-Jährige. Er war in zwei Spezialkliniken in Kiel und im Taunus. Ohne spürbaren Erfolg. Seinen Beruf als Arzt legte er schon mit 60 Jahren nieder. „Auch wegen der Migräne“, sagt er, „sonst hätte ich irgendwann Schaden genommen – oder einer meiner Patienten.“
Seit er acht ist, hat er diese Migräne-Attacken, er hatte sie in der Schule, an der Uni und im Beruf. „Mit zunehmendem Alter ist es immer schlimmer geworden.“ Er arbeitete als Kardiologe im Krankenhaus in Arnsberg: Bereitschaftsdienste, nächtliche Notfälle, Stress. Umstände, die die Migräne begünstigen. Umstände, die eine Migräne zur Gefahr hätten machen können.
„Bei mir geht es oft in der Nacht los, gegen vier Uhr, wenn die halbseitigen Schmerzen beginnen“, sagt Albersmeier. Wenn der Schmerz links sitzt, ist er stärker, durchdringender. „Jede Anstrengung führt zu dem Gefühl, dass einem gleich der Kopf zerplatzt. Licht, Geräusche, aber auch Düfte sind dann verschlimmernde Faktoren.“
Nachts aufstehen, Schmerzmittel nehmen, um für Beruf fit zu sein
Er sagt, dass er dann zumeist aufgestanden sei, eine Kleinigkeit gegessen habe, um etwas im Magen zu haben, bevor er die Schmerzmittel nimmt. Ibuprofen, Novalgin oder Triptanen mit schmerzlindernden, gefäßverengenden, entzündungshemmenden Wirkstoffen. „Wenn sie wirkten, habe ich mich wieder hingelegt und war zu Dienstbeginn wieder fit“, sagt Albersmeier als sei das völlig normal so. War es für ihn. Jahrelang. Im Gegensatz zu anderen hat er Glück: die Schmerzmittel schlagen bei ihm ganz gut an.
Trotzdem gleicht das Leben mit dem Schmerz – beruflich wie privat - einem Ritt auf der Rasierklinge, als Arzt gleichwohl noch mehr. „Gott sei Dank kam es – bis auf einmal - nie vor, dass mich die Migräne bei einem Notfall einholte. Aber danach habe ich sie sicher bekommen. In dem einen Fall habe ich einen Kollegen erreichen können, der für mich eingesprungen ist“, sagt Albersmeier.
Viele Patienten sind nicht weniger als verzweifelt auf der Suche nach Linderung. Albersmeier ebenfalls, jahrelang. „Als Schulmediziner hat man mit alternativen Heilmethoden nicht so viel zu schaffen“, sagt er: „Aber in meiner Lage habe ich mich an alles geklammert, was man mir als wirksam empfohlen hat.“ Er probierte alles, war bei einer Augenärztin in Hagen, bei einem Neurologen in Düsseldorf „und was weiß ich wo noch. Ich habe da auch richtig Geld reingesteckt. Es hat aber alles nix gebracht.“
Wie ein Damoklesschwert: Von jetzt auf gleich kann es passieren
Der Kopfschmerz bereitet nicht nur Pein, wenn er wirklich auftaucht. Wie ein Damoklesschwert schwebt das Risiko über jenen, denen regelmäßig der Schädel brummt. Von jetzt auf gleich kann es passieren. Der Termin am Nachmittag? Der Kurzurlaub mit Freunden? Die eigene Geburtstagsfeier? Die Angst vor dem Schmerz ist immer da. „Es ist ein scheußliches Gefühl, wenn man weiß, dass Tage, auf die man sich freut, so beeinträchtigt werden können“, sagt Albersmeier. Der erste Urlaubstag sei fast immer vom Schmerz besetzt gewesen. „Wir haben vier Kinder – bei zwei ihrer Hochzeiten musste ich Medikamente nehmen und mich zeitweise durch den Tag quälen.“
Gerade weil die Auswirkungen so massiv sein können, sagt die Essener Expertin Dagny Holle-Lee: „Der größte Fehler, den man machen kann ist, sich seinem Leiden einfach zu ergeben und daran zu verzweifeln.“ Viele Betroffene machten negative Erfahrungen bei den ersten Arztbesuchen und würden mit Aussagen wie: „Damit müssen Sie halt leben“, konfrontiert. „Das stimmt so eigentlich nie. Es macht immer Sinn, den Kopfschmerz einmal diagnostisch zuzuordnen und dann auch eine darauf abgestimmt Therapie zu beginnen.“
Der Arnsberger Norbert Albersmeier hat – wenn auch nicht im Westdeutschen Kopfschmerzzentrum in Essen – für sich eine Therapie gefunden. Eine Antikörperspritze, die er sich jeden Monat injiziert, brachte die erhoffte Erleichterung. Nach mehr als 50 Jahren Leiden. „Ich habe mittlerweile keine 18 Schmerztage mehr im Monat wie noch vor ein paar Jahren, sondern nur noch vier.“ Immer noch vier zu viel. Aber er weiß, dass das schon großartig ist. Vor Jahren schon hat er eine Selbsthilfegruppe in Arnsberg gegründet. Dort sitzen Menschen, denen kein Medikament hilft. Was ein bisschen hilft: sich auszutauschen. Mit anderen. Mit anderen, die verstehen können, was Migräne und Kopfschmerzen bedeuten.
>> INFO: Donnerschlagkopfschmerz als deutliches Warnzeichen
Kopfschmerzen kennt fast jeder, doch es gibt klare Anzeichen, wann ärztliche Hilfe angezeigt ist. Professorin Dagny Holle-Lee, die Leiterin des Westdeutschen Kopfschmerzzentrums in Essen, nennt ein deutliches Warnzeichen: „Zum Beispiel, wenn der Kopfschmerz von einer Sekunde auf die andere stärkste Schmerzintensität erreicht, ein Donnerschlagkopfschmerz.“
Von Migräne spreche man immer bei einem Kopfschmerz, der mindestens vier Stunden anhalte und ohne Behandlung und zu einer Einschränkung der Lebensqualität führe. Häufig bestehe zusätzlich Licht- und Lärmempfindlichkeit, Übelkeit und Erbrechen. „Wobei nicht alle Symptome bei allen Betroffenen vorhanden sein müssen“, so Dagny Holle-Lee.
Auf der Homepage der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (www.dmkg.de) findet sich eine Experten-Liste mit Kopfschmerzspezialisten in ganz Deutschland. Im Westdeutschen Kopfschmerzzentrum Essen ist man auch auf seltenere Kopfschmerzerkrankungen wie Clusterkopfschmerz, Kopfschmerz bei Kindern, Gesichtsschmerzen, Kopfschmerzen bei Hirntumoren oder anderen chronischen Erkrankungen spezialisiert.