Hagen. Beides gibt’s im Kiosk: Die schärfsten Chips der Welt und Partydroge Lachgas machen auch in Hagen die Runde. Was Verkäufer und Konsumenten sagen.

Die Tür zum Centro Kiosk in Hagen-Haspe steht einladend weit offen. Direkt am Eingang wartet kühles Eis, auf der hellen Ladenfläche verteilt sich in bunter Vielfalt alles, was klassische Kiosks haben: Von Bonbons in allerlei Sorten bis zu Softdrinks und Schokolade. Und dann das mittendrin: Ein Chip, verpackt in einem Miniatur-Sarg. Kostet 9,99 Euro – ein einziger. Ein Regal im Schaufenster ist zudem leer. Lachgas steht hier normalerweise. „Ich bin der einzige hier in Haspe, der Lachgas hat“, erklärt Ali Bezginer. Dementsprechend schnell sind die Neuanlieferungen weg.

Sowohl Lachgas als auch der Sarg-Chip liegen zurzeit bei jungen Menschen absolut im Trend: Nachbarländer wie die Niederlande verbieten Lachgas bereits, auch in NRW ist der Missbrauch des Gases als Partydroge laut Polizei um ein Drittel angestiegen. Noch lauter sind die Warnungen vor dem Hot Chip aus dem Sarg. Er soll der schärfste der Welt sein, aber auch vor allem bei Jugendlichen gesundheitsschädlich sein. Rettungseinsätze nach dem Verzehr gab es bereits in Hagen und Dortmund. Ein englischer Teenager soll nach dem Verzehr sogar gestorben sein.

Der Verkäufer

Seit zwei Monaten hat der Centro Kiosk in Haspe erst geöffnet. Und verkauft seitdem Hot Chips und Lachgas. „Es fragen auch mal jüngere Kinder“, sagt Ali Bezginer, „aber die Chips sind ab 17 Jahren, Lachgas verkaufe ich nur an Volljährige.“ Er ist der Meinung, jeder solle selbst wissen, was er tue oder lasse. „Von TikTok weiß ich, was im Trend liegt“, erklärt er, und dass er in seinem Bestand eben außergewöhnliche, exotische Dinge haben wolle. „Die Dosis macht immer noch das Gift.“ Zigaretten, so Ali Bezginer, seien auch schädlich, genau wie Energy Drinks. „Wenn ich weiß, dass ich keine starke Schärfe vertrage, lasse ich es.“

Im Hotbox Headshop in Meschede wird der Hot Chip auch verkauft. 
Im Hotbox Headshop in Meschede wird der Hot Chip auch verkauft.  © WP | Annelie Manche

Der 24-Jährige hat sowohl die Chips als auch Lachgas selbst ausprobiert. Beides brauche er nicht. Die Chips seien das Schärfste, was er je gegessen habe – „die schmecken wie Hundefutter.“ Hinter dem kurzen Rausch durch Lachgas sehe er den Sinn noch weniger. „Aber ich muss ja wissen, was ich verkaufe.“

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Der Besuch in diversen Kiosken in der Region zeigt: Die gefährlichen Spielereien sind nicht überall zu finden. Die Besitzer sagen, sie wollten nichts verkaufen, was sie ihren Kindern nicht geben würden. Nader Tawanapour vom Mendener Kiosk sieht das ähnlich. Ob die Kunden trotzdem nach Lachgas und Hot Chip fragen? „Immer, ja.“ Nach Schulschluss kämen die Fünft- und Sechstklässler zu ihm gelaufen, um nach den Chips zu fragen. „Lachgas wollen eher die Mädchen haben“, sagt er. Meist seien es die jungen Frauen, zwischen 16 und 22 Jahren etwa.

Der Konsument

Was an Lachgas so toll sein soll, erklärt Tim (Name geändert). Er sei immer einer gewesen, der nie Drogen ausprobiert habe, sagt der Mittzwanziger. Außer eben Zigaretten und Alkohol. Er traue sich einfach nicht. „Das ganze Zeug – Gras, Kokain, Amphetamine – ist ja nachweisbar. Lachgas, soweit ich weiß, nicht.“ Freunde, die das oft machten, hätten ihn schließlich gefragt, ob er das N2O nicht auch mal probieren wolle. Etwa zehnmal hat er es genommen. „Am Anfang war ich total schlecht beim Einatmen aus diesem Ballon“, sagt er. „Dann wurd’ man für eine Minute richtig high.“ Zumindest sei das Gefühl so. „Du grinst, fühlst die Musik. Und dann hört es wieder auf, dann war alles vorbei.“ Er habe sich dabei auch sicher gefühlt, da er so schnell „wieder da“ gewesen sei. Auch das Risiko einer Überdosis schätze er weniger hoch ein. Trotzdem weiß Tim: Alles, was nicht in die Lunge gehört, schädigt sie. Auch Lachgas. Dennoch: „Müsste ich es noch einmal machen? Nein. Würde ich es noch einmal machen? Ja, vielleicht schon.“

 Kioske verkaufen Lachgas  für den Freizeitkonsum.
Kioske verkaufen Lachgas für den Freizeitkonsum. © BM | Lilli Roeder

Die Gefahren

Dass der Konsum auch weitaus drastischere Folgen haben kann, ist Konsumenten häufig nicht bekannt. Auf TikTok finden sich unter dem Hashtag #Lachgas auch Videos, in denen junge Menschen Gesichtslähmungen aufweisen. Taubheit, Schwindel, geschädigte Nerven bis zur Bewusstlosigkeit: Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung warnt auf drugcom.de vor allen Risiken: „Durch den Sauerstoffmangel kann das Gehirn geschädigt werden“, so die Bundeszentrale. „Chronischer Missbrauch erhöht zudem die Gefahr einer psychischen Abhängigkeit.“

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Der 16-jährigen Joyce aus Arnsberg waren die Risiken solcher Challenges – ob Lachgas oder Hot Chip – nicht bewusst: „Ich hätte eigentlich nicht gedacht, dass ein Chip einen verletzen oder umbringen könnte.“ Erst mit der Nachricht des Todesfalls aus England kam das Bewusstsein. „Hätte ich das nicht gesehen, fände ich es vielleicht ganz witzig, das mal auszuprobieren. Aber jetzt definitiv Blödsinn. Eigentlich schade, weil immer erst etwas passieren muss, damit alle – auch ich – checken, wie gefährlich sowas ist.“

Und explizite Warnungen kommen auch vom Bundesinstitut für Risikobewertung: „In der Vergangenheit wurden immer wieder Fälle bekannt, bei denen unerwünschte Wirkungen wie Schleimhautreizungen, Übelkeit, Erbrechen und Bluthochdruck beobachtet wurden.“

Rechtslage

Lachgas indes ist trotz der steigenden Fälle von Missbrauch als Betäubungsmittel bisher nicht als Droge im Gesetz festgehalten. „Es müsste durch eine Gesetzesänderung in die Anlagen zum Betäubungsmittelgesetz aufgenommen werden“, erklärt der Dortmunder Rechtsanwalt Christian Isselhorst. Das könne dauern, wie lange sei schwer einzuschätzen.

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Das Bundesgesundheitsministerium antwortet bezüglich eines möglichen Verbots vage: „Die Entwicklung des Lachgaskonsums in Deutschland beobachten wir derzeit genau. Aktuell gehen wir davon aus, dass die Problematik regional unterschiedlich ausgeprägt ist. Es ist wichtig, über die Risiken des Konsums aufzuklären und Jugendliche stark zu machen, nein zu sagen.“ Lachgas sei auch kein Betäubungsmittel im üblichen Sinne, es werde seit jeher in der Medizin verwendet. Warnhinweise sollen die Öffentlichkeit sensibilisieren. Derzeit gibt es keine Altersbeschränkung für Konsum und Erwerb.

Die Expertin

Dr. Judith Ackermann, Professorin für Sozial- und Bildungswissenschaften an der Uni Potsdam, ist nicht nur selbst auf TikTok unterwegs, sondern forscht auch zu diesem Medium. Sie betont, dass nicht alle Challenges in dem Netzwerk unbedingt toxisch sein müssen. „Es sind aber häufig die Videos, die nicht alltäglich sind, die bis zum Ende angesehen werden.“ Das wiederum erhöhe die Reichweite, und damit die Sichtbarkeit. Auch bei den Videos von außergewöhnlichen bis gefährlichen Mutproben.

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„Nutzer der App bekommen durch die vom Algorithmus vorgeschlagenen Videos den Eindruck, das würde jeder machen“, erklärt sie. Da wolle man dazugehören – so wie es auch früher bei Mutproben war. Daher sei es umso wichtiger, mit Jugendlichen im Gespräch zu bleiben, um zu erfahren, welche neuen Trends es gebe. „Wenn mich jemand fragen würde, ob er so ein Video posten soll, dann würde ich dazu raten, 30-mal drüber nachzudenken.“ Die Challenges von heute würden sich von Mutproben aus der Vergangenheit vor allem durch eins unterscheiden: „Um in dieser riesigen Menge herauszustechen, muss alles noch größer, noch schöner, noch toller sein.“ Oder eben noch krasser, noch gefährlicher.