Geseke. Güterzug mitten in Geseke entgleist: Leiche des Lokführers geborgen, Infrastruktur stark beschädigt. So ist der aktuelle Stand beim Zugunglück.

• Am Sonntag ist in Geseke im Kreis Soest ein Güterzug mit Zement entgleist
• Die Leiche des Lokführers konnte nach dem Unglück geborgen werden
• Die Bahnstrecke ist bis auf Weiteres gesperrt

Auf der einen Seite gehen die Menschen in Geseke ihrem gewohnten Tagesrhythmus nach: Es sind Autos und Fahrradfahrer unterwegs, eine Schulklasse ist auf dem Weg nach irgendwo, die Lehrkräfte stehen rechts und links vom Zebrastreifen. Hier ist ein Schornsteinfeger unterwegs, da schneidet jemand seine Hecke. Aber gleichzeitig liegt eine schwer greifbare Stimmung in der Luft, eine Stille. Am Bahnhof finden sich nur ein paar Personen – diejenigen, die auf der Suche nach dem Schienenersatzverkehr sind, ein, zwei Schaulustige, und diejenigen, die die Bänke im Schatten des Bahnhofsgeländes als Ruheort benutzen. Vom Bahnhof aus sieht man schon die orangefarbene Lok der Westfälischen Landeseisenbahn (WLE), die verunglückt ist, die mit Zement beladenen Waggons, unter denen der Lokführer begraben ist, sind nur zu erahnen. Am Sonntagnachmittag war kurz vor dem Geseker Bahnhof ein Güterzug entgleist – wie es zu dem Unfall kommen konnte, ist weiterhin unbekannt.

„Wir waren nur ein bisschen spazieren“, erzählt eine Anwohnerin am Montagvormittag. Sie lebt schon ihr ganzes Leben in Geseke, in der Nähe des Freibads auf der Nordseite der Bahnschienen. „Und als wir wiederkamen, war das Unglück schon passiert.“ Von ihrer Einfahrt aus sieht man ein Stück Metall in die Höhe ragen - es ist ein Stück Waggon, das dort nicht zu sehen sein sollte, über der Lärmschutzmauer. Noch am Sonntagabend fährt ein Kran der Firma Franz Bracht aus dem naheliegenden Erwitte durch die Straße, wird positioniert, um einen Kesselwagen hochzuheben – sein Zwilling steht auf der anderen Seite der Bahngleise. Dort, hinter der Polizeiabsperrung, ist mehr von dem Unglück zu erkennen: Die Wucht des Unfalls hat dort Teile der Lok und der Waggons durch die Lärmschutzmauer geschleudert. Unter diesem Kesselwagen, den sie heben sollen, befindet sich der verstorbene Lokführer, ein 30-Jähriger Mann aus Warstein.

Geseke gespenstig ruhig

Am Sonntagabend überfliegt ein Polizeihubschrauber das Unglücksgebiet und die sieben Kilometer lange Bahnstrecke – denn ein Video, das offenbar kurz vor dem Unfall entstanden ist, zeigt eine Person zwischen zwei Waggons. „Das Video hat aller Wahrscheinlichkeit nach ein Anwohner aufgenommen“, erklärt Marco Baffa Scinelli, Pressesprecher der Kreispolizeibehörde Soest. „Das Video zeigt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Lokführer.“ Die Kleidung stimme hier überein. Und auch die Suche mit dem Hubschrauber und einer Wärmebildkamera zeigte keine weiteren Personen am Unfallort. Es sei „nicht unüblich“, dass der Zugführer sich nicht dauerhaft im Führerhaus aufhält: Viele Lokführer seien auch mal auf den Waggons zu finden, zum Beispiel an unübersichtlichen Stellen oder an unbeschrankten Bahnübergängen – denn das sorgt für mehr Übersicht, und der Zug kann per Fernbedienung ferngesteuert werden, erklärt Baffa Scinelli am Montagmorgen. Möglicherweise sei der Lokführer dort aber nicht mehr weggekommen.

Tödliches Unglück- Zug entgleist mitten in Geseke

1/33

Die Bergung des Lokführers gestaltet sich schwieriger als erwartet: Die Schwerlastkräne bekommen die Zementwaggons nicht gehoben. So wird am Montagmorgen ein noch leistungsstärkerer Krank der Firma Bracht kurzfristig zur Unglücksstelle geordert, ebenso wie ein Spezialunternehmen, welches damit beauftragt wurde, den Zement aus den zu hebenden Waggons zu pumpen. „Am Morgen konnten schon einmal 20 Tonnen abtransportiert werden“, erklärt Baffa Scinelli. Bei dem zweiten Versuch wurde erst eine gewisse Menge abgepumpt, bevor die Kräne es noch einmal versuchten, die ineinander verkeilten Trümmerteile hochzuheben. Und dann geht alles auf einmal ganz schnell: Feuerwehrautos werden aufgerissen, Werkzeuge herausgeholt. Die Hilfskräfte, die den ganzen Montagmorgen nicht viel tun konnten außer zu warten und sich mit den Spezialkräften der Psychosozialen Unterstützung über das Erlebte zu unterhalten, beginnen mit der Bergung der Leiche des Lokführers. Um 12.30 Uhr am Montagmittag kann gemeldet werden, dass der Lokführer geborgen ist. Doch die Aufräumarbeiten beginnen noch nicht, die Kräne lassen die angehobenen Teile wieder ab.

Zugunglück in Geseke: Ursache noch unklar

„Zunächst werden die Unfallstelle und die Lok polizeilich untersucht“, erklärt Baffa Scinelli, schließlich sei ein Mensch ums Leben gekommen. Anschließend werde die Deutsche Bahn AG, der der Streckenabschnitt gehört, auf dem der Zug verunglückte, ihre eigenen Ermittlungen in die Wege leiten. In jeder Lok gibt es eine Art „Blackbox“, so beschreibt es Baffa Scinelli, die den Streckenfortschritt und das Tempo der Lok aufzeichnet – vielleicht kann diese Einblicke in die Unfallursache geben. Weitere Überlegungen neben der überhöhten Geschwindigkeit beim Abbiegen von der Nebenstrecke auf die Hauptgleise des Bahnhofs könnten auch ein Schienen- oder Weichenschaden sein, oder aber ein technischer Defekt an Lok oder einem oder mehreren der Waggons. „Wir ermitteln in alle Richtungen“, erklärt Baffa Scinelli. Bereits jetzt sei klar, dass die Schieneninfrastruktur „massiv beschädigt“ worden sei, sagte eine Bahnsprecherin am frühen Montagmorgen. Der Bahnhof Geseke sowie die Bahnstrecke zwischen Salzkotten und Geseke seien gesperrt worden. Über die Dauer der Streckensperrung könnten noch keine Angaben gemacht werden.

Lesen Sie auch:Zugunglück überlebt: Amir (9) hatte „zehn Engel bei sich“

Zugverkehr stark betroffen

Der Grund für das Unglück ist bislang unklar. Nach ersten Erkenntnissen der Feuerwehr am Sonntag sind sowohl die Lok als auch mehrere Waggons aus den Gleisen gesprungen. Die Bahn-Sprecherin sagte am Montag, noch dauerten die Ermittlungen der Behörden an der Unfallstelle an. Erst nach Freigabe der Unfallstelle könnten Aufräumarbeiten beginnen und sich die Fachtechniker und -technikerinnen der Bahn ein genaueres Bild zum Ausmaß der Schäden machen. Die Züge des Güter- und Fernverkehrs würden über Herford umgeleitet. Auch der Regionalverkehr sei betroffen; es komme zu Verspätungen und Ausfällen. Fahrgäste sollten sich im Internet (https://www.zuginfo.nrw) informieren.

Die Deutsche Bahn sprach den Angehörigen des Unfallopfers ihr tiefes Mitgefühl aus. (mko/dpa)