Werl. Die NRW-Justiz betreibt den Shop Knastladen.de. Was Gefangene fertigen, wie viel sie verdienen und wer bester Kunde ist? Zu Gast in der JVA Werl.

Es riecht hier nach Arbeit, wie in jedem Betrieb. So weit, so normal. Wären da nicht die Gitterstäbe an den Fenstern, die verschlossenen Türen, die Uniformierten – oder Herr K., der in beiger Häftlingskleidung von dem Sexualdelikt an Kindern berichtet, das ihn seit 17 Jahren einsitzen lässt. „Ich bin“, sagt der freundliche Herr K., „auf einem längerfristigen Weg in die Freiheit.“

Eine Station auf der angestrebten Rückkehr in die Außenwelt ist die Abteilung Holzdesign in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Werl. 16 Eigenbetriebe unterhält das Gefängnis, darunter eine Schreinerei, eine Bäckerei und eine Schlosserei. Die Produkte, die hunderte Häftlinge wie Herr K. allein in Werl herstellen, vertreibt der Knast wie andere Justizvollzugsanstalten in NRW über einen gemeinsamen Online-Shop, den „Knastladen“. Da findet sich dann etwa das „Meerschweinchenhaus Villa Wutz“ (ein- oder doppelstöckig) oder das „Flammlachsbrett Fischgräte“.

Wie die Gefangenen arbeiten, was sie verdienen, wer der beste Kunde ist, wie der Knastladen funktioniert und läuft, diese Antworten liefert ein Besuch hinter Gittern.

Maßarbeit: Der Gefangene K. arbeitet in der JVA Werl im Holzdesign, er schneidet mit dem Laserjet etwa Lichterbögen oder graviert Holzvorlagen.
Maßarbeit: Der Gefangene K. arbeitet in der JVA Werl im Holzdesign, er schneidet mit dem Laserjet etwa Lichterbögen oder graviert Holzvorlagen. © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen

Arbeit als „das größte soziale Erprobungsfeld“

Bis zu 900 Strafgefangene und 140 Sicherungsverwahrte finden in der JVA Werl Platz. Durchschnittlich zwischen 600 und 650 Insassen seien in den Betrieben beschäftigt. „Momentan sind alle Arbeitsplätze belegt. Insassen müssen bis zu drei Monate warten, bis ein Platz frei wird“, sagt Ralph Wehler.

Der 60-Jährige ist Leiter des Werksdienstes. Während ein Häftling in der Schreinerei gerade mit einem Schraubenzieher an einem elektrisch verstellbarem Schreibtisch arbeitet, erzählt Wehler, dass die meisten Knackis keine Berufsausbildung hätten. Die Arbeit im Gefängnis sei „das größte soziale Erprobungsfeld für die Insassen. Sie unterliegen Regeln, sie müssen Durchhaltevermögen zeigen, sie können Anerkennung erfahren“.

Wer arbeitet, ist beschäftigt, hat eine Tagesstruktur, kann soziale Kontakte knüpfen und Geld verdienen. Außerhalb der Gefängnismauern sind das Selbstverständlichkeiten. Hier drin aber ist vieles anders – und manches doch genau wie draußen.

Auch im Knast gilt das Leistungsprinzip

Der wichtigste Eigenbetrieb der JVA Werl ist die Schreinerei. Sie fertigen Möbel, für Schulen, Kindergärten, Behörden. Größter Kunde sei die Oberfinanzdirektion Münster, die Möbel für alle Finanzämter in NRW bestelle. Privatkunden können im Online-Shop einkaufen. Die elektrisch verstellbaren Schreibtische seien stark gefragt, berichtet Herr Pieper, der als Schreinermeister Gefangene wie Toto anleitet. Toto möchte weder seinen richtigen Namen noch sein Monatseinkommen noch sein Delikt nennen. Ansonsten aber ist er auskunftsfreudig.

Toto ist seit 22 Jahren im Gefängnis, seit 2014 arbeite er in der Schreinerei in Werl, wo er inzwischen im Maschinenpark eingesetzt wird. „Ich bin einer derjenigen, der die meisten Maschinen bedienen kann“, sagt der gelernte Maschinenschlosser und betont: „Die Schreinerei ist der beste Betrieb in Werl.“

Jeder Gefangene wolle hier arbeiten, „weil der Verdienst hier am besten ist“, sagt Toto. Werksdienstleiter Wehler bestätigt: „Es geht ums Geld. Wie draußen.“

Gefangene sind zur Ausübung einer Beschäftigung verpflichtet. Sicherungsverwahrte sollen arbeiten, müssen aber nicht. Die Bezahlung – nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Gegenstand einer Überprüfung – richtet sich nach Tätigkeit und Fertigkeit. Der Tagessatz reicht von 8,25 Euro bis 32,59 Euro. Auch gibt es Zulagen, Toto etwa erhält eine Schmutzzulage. „Ist wie draußen auch“, sagt er. Auch im Knast gilt das Leistungsprinzip.

Für jedes Tier ein Zuhause: In der JVA Werl werden unter anderem Kleintierhäuser hergestellt, hier im Bild die „Villa Wutz, doppelstöckig“.
Für jedes Tier ein Zuhause: In der JVA Werl werden unter anderem Kleintierhäuser hergestellt, hier im Bild die „Villa Wutz, doppelstöckig“. © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen

Für jedes Tier ein Zuhause

Auf dem Rundgang durch die JVA berichtet Werksdienstleiter Wehler von Vollauslastung der Schreinerei, der Schlosserei, die unter anderem die Gestelle für die Schreibtische herstellt, und der Bäckerei, die für 23 andere Justizvollzugsanstalten im Land 25 bis 26 Tonnen Brot backe. Pro Woche.

Es geht vorbei an Schwibbögen, Holzboxen für Vokabelkarten sowie Kleintierhäusern für Meerschweinchen, Hamster oder Karnickel. „Wir“, sagt Hauptwerkmeister André Kerkmann, „bieten jedem Tier ein Zuhause.“

In der Abteilung Holzdesign schneiden sie mit dem Laser Lichterbögen mit Motiven von Orten der Umgebung aus Holz aus, beispielsweise den Hauptbahnhof in Hamm. Hier arbeitet Insasse K., ein gelernter Datenverarbeitungskaufmann. Er ist seit 2006 im Gefängnis, seit 12 ½ Jahren in Sicherungsverwahrung und seit November 2019 in Werl. K. äußert sich sehr offen über sein Sexual-Delikt. „Keine Sache, auf die ich stolz bin“, sagt er. Er sei seit vielen Jahren in Behandlung, dazu gehöre auch eine chemische Kastration. Dass er so offen darüber spricht und sich auch fotografieren lässt, sieht er wohl als Teil seiner Therapie.

K. bezeichnet sich als „Workaholic“. Er brauche die Arbeitsstruktur, aber auch das Geld. Früher habe er sich „komplett“ über die Anerkennung für seine Arbeit definiert. Das habe sich inzwischen gebessert. „Das ist auch ein Behandlungserfolg“, sagt K., der Vorschläge für neue Produkte im Knastladen unterbreitet, zum Beispiel den Lichterbogen Neuschwanstein oder Halloween-Teelichter. Fünf bis zehn Prozent seiner Ideen würden angenommen. Das sorgt für Anerkennung.

Insasse Ferhat ist zufrieden mit seiner Arbeit in der Arbeitstherapie. Seine Tätigkeit am Laserjet, mit dem aus Holz Figuren ausgeschnitten werden, mache ihm Spaß. Er sei „dankbar“ für den Job.
Insasse Ferhat ist zufrieden mit seiner Arbeit in der Arbeitstherapie. Seine Tätigkeit am Laserjet, mit dem aus Holz Figuren ausgeschnitten werden, mache ihm Spaß. Er sei „dankbar“ für den Job. © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen

Arbeit als Therapie

Arbeit als Therapie, als Teil der Resozialisierung, darum geht’s. Die Abteilung „Arbeitstherapie“ heißt auch gleich so. Hier fangen die Insassen mit Knetarbeiten an, das Arbeitstempo ist mitunter gemächlich(er), die Häftlinge sitzen teils in Gruppen zusammen und plaudern.

„In der Arbeitstherapie arbeiten Insassen, die draußen nicht gearbeitet haben, die keinen Schulabschluss haben, die keine Struktur kennen. Wir versuchen, ihnen hier einen geregelten Tagesablauf näherzubringen“, sagt Werksdienstleiter Wehler. Hier gebe es keinen Leistungsdruck.

In der Arbeitstherapie stellen sie Gartendeko aus Ton oder Schallplattenboxen aus Holz her, sie gießen Froschkönige aus Beton. Insasse Ferhat schneidet mit einem PC-gesteuertem Laserjet Eselfiguren aus Holz aus, Torsten und Maik haben im Knast ihre künstlerische Ader entdeckt und fertigen in Handarbeit Glasteller und -schalen. Die Produkte, die zu schwer oder zu zerbrechlich sind, um sie über den Knastladen zu versenden, gehen an einen Feinkostladen in Soest oder werden auf (Weihnachts-)Märkten angeboten. In der Regel dauere die Arbeitstherapie ein Jahr, dann wechselten die Insassen in einen anderen Betrieb, sagt Wehler. Das erklärte Ziel von Torsten und Maik ist allerdings ein anderes: rauskommen, in die Freiheit zurückkehren.

Könige aus dem Knast: In der Arbeitstherapie werden Froschkönige aus Beton gegossen.
Könige aus dem Knast: In der Arbeitstherapie werden Froschkönige aus Beton gegossen. © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen

Erst einmal müssen die beiden aber unterschreiben, dass sie mit der Presse sprechen wollen. Als Maik die Einverständniserklärung ausfüllt, merkt sein Kumpel Torsten an: „Ist die Anschrift nicht gerade JVA Werl?“

Nächstes und übernächstes Jahr soll sich das bei ihnen wieder ändern. Bis dahin aber sind auch sie Teil des Knastladens.

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Seit August 2008 gibt es den Online-Shop „Knastladen.de“, die Verkaufsplattform für die Produkte der Justizvollzugsanstalten des Landes NRW. Aktuell bieten 28 der 35 nordrhein-westfälischen JVAen dort ihre unterschiedlichen Artikel an. Laut Justiz-Ministerium umfasst das Angebot mehr als 1500 Produkte, die höchsten Bestellzahlen erreichen Vogelhäuser und Nistkästen.

Monatlich werden im Knastladen durchschnittlich etwa 3.000 Artikel bestellt. Der Umsatz wird für das vergangene Jahr mit ca. elf Millionen Euro angegeben. Die Einnahmen aus dem Knastladen decken „einen geringen Teil der Ausgaben, die dem Land NRW für den Justizvollzugsbereich entstehen“, so das Justizministerium. Für die Justizvollzugseinrichtungen wies der Haushaltsplan 2022 Gesamtausgaben in Höhe von 882.982.600 Euro aus.