Finnentrop. Der Energieversorger Mark-E betreibt im Sauerland ein Pumpspeicherkraftwerk. Die Akzeptanz ist hoch. Was Energiewende-Investoren lernen können.

Für die Energiewende sind sie gerade Gold wert. Für die Betreiber auch. Aber sie sind rar gesät: Pumpspeicherkraftwerke (PSW). „Etwa 30 gibt es in Deutschland. Die laufen aber nicht alle“, sagt Jörg Klages wissend. Der 63-Jährige ist Kraftwerksmeister beim regionalen Energieversorger Mark-E und Betriebsleiter des Pumpspeicherkraftwerks Finnentrop-Rönkhausen im Sauerland, das gerade eine Hochkonjunktur erlebt.

Die Energiewende hat einiges verändert. „Was früher war, können Sie vergessen“, winkt Klages ab. Früher, da wurden mit dem Kraftwerk die Mittagsspitzen im Versorgungsgebiet der Mark-E abgefangen. Erst wenn die Herdplatten in der Küche glühten und viele Haushalte gleichzeitig – eben mittags – Strom aus dem Netz saugten, dann ließen Klages und sein Team das Wasser vom Oberbecken auf dem 570 Meter hohen Dahlberg durch die Francis-Turbinen 270 Höhenmeter in die Tiefe rauschen. Keine Minute später war neuer Saft im Stromnetz.

Betriebsleiter Jörg Klages vor einem der beiden 50 Tonnen schweren Kugelschieber im Pumpspeicherkraftwerk Rönkhausen, das auf Hochtouren läuft und Gewinne einfährt. Klages Credo: „Als arroganter Energiebetreiber darf man hier nicht auftreten. Die Bürger müssen mitgenommen werden“
Betriebsleiter Jörg Klages vor einem der beiden 50 Tonnen schweren Kugelschieber im Pumpspeicherkraftwerk Rönkhausen, das auf Hochtouren läuft und Gewinne einfährt. Klages Credo: „Als arroganter Energiebetreiber darf man hier nicht auftreten. Die Bürger müssen mitgenommen werden“ © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Verlässliche Mittagsspitzen gibt es nicht mehr. „Heute reagieren wir, wie die Börse uns braucht. Gerade haben wir wieder 100 Megawatt verkauft“, sagt Klages und lächelt zufrieden. Wir, das sind Klages und gerade einmal fünf Kollegen, die die Anlage in Schuss halten und steuern. „Alle sind Spezialisten. Anlagenelektroniker, Schlosser. Und alle leben und lieben diese Anlage.“

Für die Kohlekraft gebaut

Picobello wie in einer Parkanlage sieht es auf dem Gelände aus. Genauso im Kraftwerkshaus, das Mitte bis Ende der 60er Jahre in weiten Teilen unterirdisch gebaut wurde. 1969 ging das PSW im Sauerland ans Netz. Gebaut wurde es damals für das Kohlekraftwerk (KKW) der Mark-E in Werdohl-Elverlingsen, schon damals als Pufferspeicher, damit das KKW auch nachts durchlaufen konnte, wenn wenig Kohlestrom gebraucht wurde. „Bis das PSW ans Netz ging, mussten wir den Block E3 mit 200 Megawatt Leistung nachts abstellen. Jede neue Anfahrt kostete aber 10.000 bis 15.000“, erklärt Klages, der selbst von der Kohle kommt. 30 Jahre lang hat er dort malocht, zuletzt in Leitungsfunktion. Als er 2016 gefragt wurde, ob er zum PSW wechseln wolle, war das Ende des Kohlezeitalters beim regionalen Energieversorger bereits vorgezeichnet – aber goldene Zeiten für das Pumpspeicherwerk alles andere als sicher. Im März 2018 ging das Kohlekraftwerk vom Netz, das PSW blieb.

Das Geländer im Treppenhaus des Kraftwerks einige Meter tief unter der Erde fängt spürbar an zu vibrieren. Pumpenanlauf. „Das gab es früher nicht. Vormittags pumpen. Aber gerade ist zu viel Sonnen- und Windstrom da“, erklärt Jörg Klages. Es bedeutet, dass der Strompreis in diesem Moment niedrig ist. Angebot und Nachfrage. Die Gelegenheit, Wasser vom Unter- ins Oberbecken zu pumpen, ist günstig. Wenn die Nachfrage nach Strom wieder hoch ist, werden die 50 Tonnen schweren Kugelschieber geöffnet und das Wasser aus dem Oberbecken rast den Berg hinab, um Strom zu erzeugen, der für einen guten Preis verkauft wird. Wenn im PSW Strom erzeugt wird, schießen 66 Kubikmeter Wasser innerhalb einer Sekunde (!) den Berg hinab. „Das sind ungefähr 1300 50-Liter-Fässer Bier. Das versteht man hier viel besser“, übersetzt Klages.

Das PSW hat einen Wirkungsgrad von 75 Prozent. 25 Prozent der erzeugten Strommenge werden für das Hochpumpen gebraucht. „Es ist nach wie vor die beste Speichermöglichkeit für überzähligen Strom.“ 700 bis 750 Megawatt pro Tag kann das PSW erzeugen. 15 bis 20 Betriebsstunden am Tag zählt das Kraftwerk gerade. Das ist viel. Viel mehr als noch vor ein einigen Jahren, als der Weiterbetrieb infrage gestellt war. Die Mark-E suchte und fand in den Aachener Stadtwerken (Stawag) einen Partner, der sich 2018 an der 25 Millionen Euro teuren Sanierung des Oberbeckens beteiligte und nun zu 50 Prozent Anteilseigner ist.

Das Kraftwerk ist akzeptiert. Mehr noch. Es ist über die Jahrzehnte zum beliebten Ausflugsziel geworden. Von Gegenwind keine Spur. Oben am Dahlberg gibt es einen Wanderparkplatz, der „Oberbecken“ heißt. Einschlägige Internetportale weisen Ortsunkundige darauf hin, dass sich ein Spaziergang rund um das Becken wegen des fantastischen Panoramablicks auf jeden Fall lohne.

Die Einheimischen brauchen diesen Hinweis längst nicht mehr. Die Rönkhauser wissen nicht erst seit dem Hochwassersommer im Juli 2021, was sie am Kraftwerk haben. „Da stand hier alles unter Wasser“, zeigt Jörg Klages einmal rund über den Betriebshof. Wo sonst der kleine Glingebach fließt, schossen die Wassermassen von vielen Seiten den Berg hinab ins Tal in den Finnentroper Ortsteil. „600.000 Kubikmeter Wasser haben wir da im System versteckt. Sonst hätten die Rönkhauser nasse Füße bekommen“.

Die Mark-E hat das zwar Geld gekostet, weil in dieser Zeit kein Strom produziert werden konnte, aber es hat ihr noch einmal einen Akzeptanzschub gebracht. Geben und Nehmen. Es könnte ein guter Leitsatz für die Energiewende sein.

Alle sechs Jahre steht eine erweiterte Inspektion des Kraftwerks an. Das bedeutet wochenlang Alarm für die Anwohner in Rönkhausen, wenn nachts Schwertransporter durch das Dorf rangieren, um die tonnenschweren Teile zur Überholung abzuholen und zurückzutransportieren. Danach gibt es am Kraftwerk auf jeden Fall eine Wurst und ein Bierchen. „Als arroganter Energiebetreiber darf man hier nicht auftreten. Die Bürger müssen mitgenommen werden“, gibt der erfahrene Kraftwerksmeister Jörg Klages einen Tipp, wie es mit der Energiewende besser klappen könnte.

Plan für neues PSW liegt in Schublade

In Rönkhausen läuft es so schon mehr als ein halbes Jahrhundert rund. „Es gab Pläne, im Bereich von Wildewiese bei Sundern ein weiteres PSW zu bauen. Die Akzeptanz war sehr hoch, weil die Leute hier in der Gegend unser Pumpspeicherkraftwerk kennen“, erklärt der Sprecher des Betreibers Mark-E, Andreas Köster. Mit den Düsseldorfer Stadtwerken hatte der Hagener Energieversorger damals einen finanzkräftigen Partner an der Seite. Aber vor ein paar Jahren habe die Planbarkeit gefehlt.

Ob die Pläne noch einmal aus der Schublade geholt werden, ist trotz der aktuell guten Zeiten für diese Kraftwerke fraglich. Mehrere hundert Millionen Euro würde so ein Vorhaben kosten, schätzt Jörg Klages. Wenn überhaupt, dann ohne ihn. Im kommenden Jahr ist für das Mark-E-Urgestein Ruhestand angesagt – „sein“ Pumpspeicherkraftwerk kann dann noch ein paar Jahrzehnte lang laufen, wenn es sich rechnet.

Nur zwei PSW in ganz NRW

Das PSW in Rönkhausen ist eines von nur zwei PSW in Nordrhein-Westfalen. Es hat zwei Turbinen mit einer Leistung von zusammen 140 Megawatt. Gebaut wurde es von 1964 bis 1969 als Puffer für das Kohlekraftwerk der Mark-E in Werdohl-Elverlingsen. 2018 ist die Stawag (Stadtwerke Aachen) als Partner beim PSW eingestiegen.

Das zweite Kraftwerk dieser Art in NRW betreibt der Branchenriese RWE am Hengsteysee in Herdecke an der Ruhr. Mit 162 Megawatt ist es noch etwas leistungsstärker. Es ersetzte 1989 das heutige Industriedenkmal Koepchenwerk. In Deutschland gibt es vereinzelt immer wieder Pläne für den Neubau dieser riesigen „Batterien“. „In China werden gerade 90 Stück gebaut, vier bis fünfmal so groß wie hier“, sagt Experte Jörg Klages.