Nachrodt-Wiblingwerde. Einst versteckte er sich vor Kühen unter dem Traktor, heute hat Dominick Hannuschke (30) einen Milchviehhof - gegen alle Widerstände und Zweifel.
Dominick Hannuschke (30) lüftet seine Kappe etwas und schmunzelt. „Damals war ich elf oder zwölf. Schreib lieber elf, dann ist es nicht so peinlich“, lacht er. Auf dem Hof sagt man offenbar Du, auch wenn man sich nicht kennt. Damals fing alles an, obwohl es nicht so aussah. Der kleine Domi machte eine Art Schülerpraktikum auf dem Bauernhof. Er weiß noch, wie er dann am ersten Tag unter den in der Nähe parkenden Traktor flüchtete, als die Kühe aus dem Stall auf die Weide liefen. Er hatte es mit der Angst zu tun bekommen. „Alle, die das gesehen haben, haben auch gedacht: Was ist mit ihm denn nicht in Ordnung“, sagt er und lacht.
Manch einer will das nicht einmal geschenkt machen
Es ist nicht auszuschließen, dass manche Menschen das später noch einmal von ihm dachten, als er sich für ein Leben entschied, für das sich nicht mehr viele Menschen seines Alters begeistern können: Mit nur 26 Jahren kaufte er einen landwirtschaftlichen Betrieb in Nachrodt-Wiblingwerde – für zwei Millionen Euro. Viele Hofbesitzer finden nicht einmal mehr in der eigenen Familie einen Nachfolger – quasi geschenkt will’s keiner machen. Dominick Hannuschke schon.
Gegen alle Zweifel.
Gegen alle Widerstände.
Nix mit Vier-Tage-Woche und Acht-Stunden-Tagen
Tief hängt der Nebel an diesem Augusttag über dem Hof. 300 Kühe (150 Milchkühe) stehen auf Hannuschkes 100 Hektar großen Gelände inmitten des grünen Sauerlands. 4500 Liter Milch sind das Ziel – pro Tag. Dafür steht Hannuschke schon um 5.30 Uhr im Stall, Boxen machen, einstreuen, Kühe melken. Dreimal am Tag werden die Tiere mittlerweile gemolken: nochmal um 14 Uhr und abends gegen 21.30 Uhr. „Mit Vier-Tage-Woche und Acht-Stunden-Tagen is‘ hier nix“, sagt er und lacht. Mit krank sein, länger Urlaub machen oder am Wochenende nächtelang feiern gehen wie manch andere in seinem Alter auch eher nicht.
„Es war immer mein Traum, einen eigenen Betrieb zu haben, seit ich 16 oder 17 bin“, sagt er. Aber nicht alle trauten ihm das zu. Schon gar nicht unter den Bedingungen, wie er sie in Wiblingwerde vorfand: top Hof, aber riesiges Investment, riesiges Risiko. Wem auch immer er in der Heimat Elspe von der Möglichkeit erzählte, schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Ob er denn wahnsinnig sei? Ob er sich das gut überlegt habe? Ob er nicht lieber in seinem alten Job – Zuchtberater – bleiben wolle: gutes Geld, gute Perspektiven, keine Herkulesaufgabe. Selbst in der eigenen Familie herrschte bisweilen Skepsis, dass das eine gute Idee sein könnte, eine Stunde von der Heimat entfernt dieses Projekt zu schultern.
Milchreis gesunken: 30.000 Euro Verlust seit April
Was das bedeutet, erlebt er jeden Tag: wenn der Traktor kaputt geht, während das Feld genau an dem Tag gemäht werden muss; wenn die Wasserpumpe für das Futter der Tiere streikt; wenn der Gülleschacht wegen eines technischen Defekts überzulaufen droht. „Dann kann man nicht groß nachdenken oder sich zu fein sein, dann muss man handeln.“ So ist das: jeder Tag ist ein eigenes Abenteuer, mit kleinen und großen Zwischenfällen, mit Krankheiten, mit Geburten und Todesfällen – und das alles bei angestrebter Wirtschaftlichkeit. Weil der Milchpreis gerade wieder von 65 auf 40 Cent pro Liter gefallen ist, hat er seit April 30.000 Euro Verlust gemacht. Aber es geht eben immer weiter.
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„Ich hatte höchstens mal 50 Euro minus auf dem Konto. Als da plötzlich minus zwei Millionen standen, ist es mir doch kurz anders geworden“, sagt Dominick Hannuschke und lacht wieder. Er nimmt die Dinge nicht so schwer. Vielleicht ist das sein Geheimrezept, mit dem er den Hof an der Seite seiner Verlobten Joana und Söhnchen Hannes (2) wuppt. Mit Fynn hat er einen fest angestellten Futtermeister, Michelle ist die Auszubildende. Zwei rumänische Helfer kommen gleich zum Mittagsmelken.
Ehrenurkunden für Kühe mit 100.000 Litern Milch als Lebensleistung
Hannuschke steht jetzt in seinem kargen Büro, dessen Wände aus Grobspanplatten bestehen: der Tisch mit Computer darauf wirkt verloren in dem großen Raum. An der Wand hängen Fotos von Kühen und Ehrenurkunden: für Quirina, Quirly und Quick. Alle drei haben die magische Marke an 100.000 Liter Milch Lebensleistung überschritten. Jede von ihnen hat allein vier große Milchlaster gefüllt. Hannuschke öffnet eine App, so stolz als wäre es ein Familienalbum. Alle Daten aller Kühe sind da hinterlegt. Quick gehört noch immer zur Herde. Er tippt ihren Namen an: geboren 16. Februar 2012. Exzellenzrang 92 von 100. Lebensleistung aktuell: 125.000 Liter.
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„Ich habe immer versucht, die zwei Millionen nicht so an mich herankommen zu lassen. Es ist nur eine Zahl“, sagt er. Der Bank ist er dankbar, dass sie ihm den Kredit gewährt hat. Den Umsatz des Hofs habe er schnell deutlich gesteigert, sagt Hannuschke. Eine halbe Million hat er schon abbezahlt.
Schon als er noch in der Schule war, half er auf dem Nachbarshof mit. So oft und so lang, dass deswegen der Realschulabschluss in Gefahr geriet. Er hat ihn dann doch geschafft und sofort die landwirtschaftliche Ausbildung gestartet, während dieser sein Wunsch nach einem eigenen Hof entstand. „Was viele unterschätzt haben, ist, wie ehrgeizig und konsequent ich sein kann, wenn ich was wirklich will“, sagt er. Die Zweifel von anderen wurden auch zu einem Teil seiner Motivation: „Wenn ich jetzt nach Elspe zurückkommen würde und hätte es nicht geschafft, dann würde sich das wie Scheitern anfühlen.“
Im Urlaub schnell Sehnsucht nach seinen Kühen
Natürlich, sagt er, gäbe es Momente, in denen er ins Grübeln gerät, weil das alles nicht immer ein Vergnügen ist. „Wenn man eine Stunde von zu Hause weg wohnt und kaum Zeit hat, dann wird der Abstand zu den Freunden schnell zu groß“, sagt er. „Manchmal fragt man sich schon, ob es das wert ist.“
Andererseits, sagt er und schmunzelt wieder: „Wenn wir dann mal eine Woche im Urlaub sind, dann will ich nach drei, vier Tagen gern schon wieder zurück.“ Oder wenigstens andere Landwirte am Urlaubsort besuchen. „Kühe gucken“, sagt er dazu. Seine Frau antwortet ihm dann: „Dominick, was willst du da? Die sehen aus wie unsere.“ Aber er macht das eben gern. Es ist sein Leben. „Das hier“, sagt er und macht eine Geste auf seinen Hof: „Das hier war und ist ein unglaubliches Glück.“