Bayreuth. Der Attendorner Bass Georg Zeppenfeld singt den Gurnemanz im neuen Parsifal in Bayreuth. Warum Publikum und Kritik Bravo rufen.
Mit stürmischem Beifall und relativ wenigen Buh-Rufen reagierte das Bayreuther Premieren-Publikum auf die Eröffnung der 111. Festspiele mit einer Neuinszenierung des „Parsifal“, der im Vorfeld emsige Diskussionen um den Einsatz und die Vergabe von Augmented-Reality-Brillen vorausgingen. Schwarze, schwere Gestelle, die so teuer sind, dass sich selbst in Bayreuth jeweils nur 330 der fast 2000 Besucher vom Sinn oder Unsinn der Technologie überzeugen können.
Ein Experiment, das dem von Wagner anvisierten „Werkstatt-Charakter“ der Festspiele entgegenkommt. Weniger allerdings die „Zweiklassengesellschaft“, die Wagners Vorstellung von einem „demokratischen“ Theater widerspricht, bei dem selbst der Kaiser bei der Gründung der Festspiele vor 147 Jahren mit den unbequemen Klappsitzen des gemeinen Volks vorlieb nehmen musste. Immerhin hat der amerikanische Regisseur Jay Scheib recht, wenn er garantiert, dass auch der „unbebrillten“ Mehrheit eine vollständige Inszenierung geboten wird. Allerdings eine in Sachen statischer Personenführung erzkonservative und kreuzbrave Produktion vor unaufdringlich schlichten Bühnenbildern in mehr oder weniger fantasievollen Kostümen.
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Wer die AR-Brille im „Parsifal“ trägt, sieht eine hyperaktive Bilderflut
Aus der Passivität der „analogen“ Welt wird man mit derBrille in eine hyperaktive Bilderflut katapultiert, in der dreidimensional und pausenlos Gegenstände und Symbole aller Art durch den virtuellen Raum fliegen, die oft ein Eigenleben führen und nur selten eine sinnvolle Verknüpfung mit der Handlung erkennen lassen. Wenn, dann meist plakativ: Da wird gleich ein ganzer Schwarm von Schwänen von Parsifals Pfeil getroffen, zur Beichte des sündigen Amfortas winden sich Riesenschlangen durch den Raum und am Ende erscheint sogar der Heilige Geist in Gestalt einer Taube, die seit Wieland Wagners Entrümpelungs-Ästhetik lange Zeit vom Grünen Hügel verbannt war. Da ließen sich schon subtilere Verknüpfungen mit dem Gehalt des Werks vorstellen und realisieren.
Den Gral selbst, ein blauer Kristall, zerschmettert Parsifal. Als Warnung vor der Zerstörung der Welt, nachdem der gesamte dritte Akt mit Umweltmüll aller Art bombardiert wird. Die religiöse Essenz des Werks, Wagners Appell an die Christenheit, nicht den Menschen als Sünder in den Mittelpunkt ihres Glaubens zu stellen, sondern sich wieder auf das verloren gegangene Mitleid, die Caritas, zu besinnen, interessiert den Regisseur nicht. Die wird von den optischen Attacken ohnehin überrollt. Und man muss sich schon zusammenreißen, um sich davon nicht allzu sehr von der Musik ablenken zu lassen.
Musikalisch so gut wie lange kein Parsifal auf dem Grünen Hügel
Denn musikalisch kann die Produktion so vollauf überzeugen wie schon lange nicht mehr auf dem Grünen Hügel. Überraschend das Debüt von Maestro Pablo Heras-Casado, der einen wunderbar transparenten, unpathetischen, die Sänger nie in Bedrängnis bringenden Klang entwickelt, der zügige, aber nie überdrehte Tempi anschlägt. Eine gleichwertige Alternative zu Christian Thielemanns spiritueller ausgerichtetem Werkverständnis. Auf jeden Fall ein Umfeld, in dem sich die Sänger mühelos entfalten können. Auch der kurzfristig eingesprungene Andreas Schager in der Titelrolle, der diesmal wesentlich differenziertere Töne anschlug als im „Siegfried“ des letzten Jahres.
Ein Ereignis ist Elīna Garanča in der weiblichen Hauptrolle der Kundry
Ein Ereignis, trotz mangelnder Textverständlichkeit, ist Elīna Garanča mit ihrer betörend schönen Stimme als ebenso kühle wie innerlich glühende Kundry. Einen Höhepunkt boten beide mit dem Mammut-Duett im zweiten Akt, bei dem man am besten die Brille absetzt. Publikumsliebling Georg Zeppenfeld steigert sich mit jeder Rolle und liefert als Gurnemanz ein Musterbeispiel an stimmlicher Präsenz und Textverständnis. Dass ihm in zwei Jahren der Hans Sachs angeboten wird, ist mehr als verdient. Derek Welton als Amfortas, Jordan Shanahan als Klingsor und Tobias Kehrer als Titurel runden das Ensemble homogen ab.
Chor und Orchester glänzen wie gewohnt und die im „Parsifal“ besonders komplizierte Organisation und Koordination der Klanggruppen gelingt dem Dirigenten bei seinem ersten Einsatz vorbildlich.„Augmented Reality“ ist als Erweiterung der Theatertechnik durchaus ernstzunehmen, wenn sie sich nicht zu penetrant in den Vordergrund rückt wie in diesem „Parsifal“. Angesichts des immensen finanziellen und technischen Aufwands wird die Technik in naher Zukunft allerdings wohl eine Ausnahme bleiben. Musikalisch lohnt die neue Produktion mit und ohne Brille.