Hagen/Wetter. Judy Ebner ist 21 Jahre und hat sich trotz Pflegenotstand in Corona-Zeiten entschieden, in der Pflegebranche zu arbeiten. Es ist ihr Traumjob.

Ein bisschen Empörung steckt in ihrer Stimme. „Was ist denn das für eine Frage?“ Das „dämlich“ hat Judy Ebner Gott sei Dank ausgelassen in ihrer ersten Reaktion auf die Reporter-Frage: „Warum wollen Sie sich das gerade in Corona-Zeiten antun und Pflegerin werden?“ Gerade jetzt, wo so viel über die unangemessene Bezahlung, die vielen Überstunden und die leeren Versprechungen der Politik berichtet wird.

Die 21-Jährige gönnt sich eine kurze Denkpause, dann lächelt sie, als sei sie einem Werbeclip entsprungen: „Weil ich mir keinen besseren Beruf vorstellen kann.“

Eine Stunde wird das Gespräch mit ihr dauern, eine Stunde, in der sie sich vehement gegen die landläufige Meinung stemmt, der Pflegeberuf sei eine Zumutung. Eine Stunde, in der sie für ihren Beruf kämpft wie sie wahrscheinlich für jeden Patienten bereit wäre zu kämpfen.

Bankkauffrau? Nein, danke

Judy Ebner bei der Arbeit auf der Tumorchrurgiestation.
Judy Ebner bei der Arbeit auf der Tumorchrurgiestation. © Fabian Strauch / FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

„Eigentlich wollte ich Bankkauffrau werden“, sagt Judy Ebner. Nach einem freiwilligen sozialen Jahr in der Unfallabteilung eines Krankenhauses habe sie gewusst, dass die Betreuung von Privat- sowie Firmenkunden und die Vorbereitung von Kreditentscheidungen nicht mehr infrage kommen. Freunde erzählten der Bielefelderin von den Möglichkeiten, die sich durch eine dreijährige Ausbildung zur Pflegefachfrau an der Bildungsakademie Volmarstein, einem Unternehmen der Evangelischen Stiftung Volmar- stein, anbieten. Seit fast neun Monaten ist sie dabei. Erst im Evangelischen Krankenhaus in Hagen-Haspe, nun in der Orthopädischen Klinik in Wetter-Volmarstein. Berufsstart inmitten der Corona-Pandemie. Sie hätte es sich anders überlegen können. Sie hätte einen anderen Weg gehen können. Einen leichteren vielleicht. Ist sie nicht.

Tränen des Glücks

Die Arbeit, erzählt die Ostwestfälin, stärke ihr Selbst- und Verantwortungsbewusstsein. „Man bekommt von den Patienten jeden Tag etwas zurück.“ Sie erzählt von besonderen Momenten, von Anerkennung, wenn es Patienten besser geht und Tränen des Glücks über Wangen fließen. „Das bereichert mein Leben, begeistert mich jeden Tag.“ Die Vielschichtigkeit der Arbeit und das Gefühl, im Team können man alles schaffen, seien prägend.

Allein gelassen mit der Arbeit?

Sie kennt die Widrigkeiten des Jobs. Sie kennt die Bilder, die die Menschen vor Augen haben, wenn sie an Pflegerinnen und Pfleger im Land denken. Und sie kennt die Fragen, ob sie sich nicht allein gelassen fühlen mit all der Arbeit und der Verantwortung. Judy Ebner lächelt erneut. Und berichtet lieber von ihrer Arbeit auf einer Tumorchirurgieabteilung. Sechs Uhr morgens beginnt sie mit der Übergabe der Nachtschicht, danach wird sie in ein von zwei Teams für die jeweilige Station eingeteilt. Sie hilft Patienten bei der Pflege, beim Gang auf die Toilette, verteilt Medikamente. „Und alles wird dokumentiert.“

Die Tagesschicht endet gegen 14.30 Uhr bei einer Fünftagewoche. 921 Euro Lohn erhält die 21-Jährige dafür. Das entspreche dem Tariflohn, hinzu komme ein einmaliger Corona-Bonus. „Das ist viel Geld für mich“, sagt sie. Jahr für Jahr steige der Verdienst während der Ausbildung.

Natürlich sei so mancher Tag anstrengend, „aber in welchem Beruf kommt das nicht vor?“ Sie könne gut mit Stress umgehen. Wird es zu viel, dann ziehe sie sich abends in ihrer Wohngemeinschaft mit zwei weiteren Pflegefachfrau-Anwärterinnen zurück und lese ein Buch.

Alle Türen stehen ihr offen

Judy Ebner weiß, ihr stehen alle Türen offen. Sie kann in die Altenpflege, als Pflegewissenschaftlerin arbeiten oder in der akuten ­Krankenhauspflege. Zurzeit tendiert sie eher zu Letzterem. „Dort warten spannende medizinische Fälle auf mich.“

Familie und Freunde seien stolz auf sie. „Auch wenn viele mir sagen, dass sie diesen Beruf körperlich so nah an Fremden nicht ausüben könnten.“ Die Ostwestfälin ist überzeugt: Es ist ein besonderer Beruf. „Ich weiß, dass alles, was ich mache, einen Sinn hat.“

Kritik an der negativen Berichterstattung

Ihr zufolge wird zu viel Negatives über den Beruf in den Medien berichtet. Das schrecke viele junge Menschen ab, die daran dächten, diesen Berufsweg einzuschlagen. Augenzwinkernd sagt sie: „Schreiben Sie bitte lieber: ,Wow, das ist ein toller Beruf.’“ Sie ist überzeugt, dass nach all den verpassten Chancen aufseiten der Politik eine Pflegerevolution vor der Tür steht. Die hätte die Branche verdient. Dieser Beruf sei „unheimlich wichtig und bedarf jeglicher Unterstützung“.

Die 21-Jährige ist ­bereits zweimal geimpft und kann etwas beruhigter im Krankenhaus anderen Menschen helfen. Auch auf einer Corona-Intensivstation würde sie sofort anfangen. „Kein Problem.“ An das Arbeiten mit Maske habe sie sich ja bereits gewöhnt. Sie wirkt, als brächte sie nichts aus der Ruhe, als weiche ihr die Zuversicht nie von der Seite.

Geduld ist wichtig

Empathie, sagt sie, sei eine wichtige Voraussetzung für ihren Job und den Umgang mit Patienten. „Und die sollte schon stark ausgeprägt sein.“ Geduld sei ebenso wichtig. Die 21-Jährige rät, es „einfach ­einmal auszuprobieren“. Ein ­freiwilliges soziales Jahr wie bei ihr biete sich für einen guten Einblick an. Wer merke, dass er sich wohlfühle, dem kann sie den Job nur empfehlen.

Mit Blick auf den Mann, der vor ihr steht, der so viele Fragen stellt und sie manchmal ein bisschen aus der Reserve locken wollte, sagt Judy Ebner: „Der Beruf ist keine Qual, für die man sich entscheidet. Und ich hoffe, ich habe Ihre Eingangsfrage ,Warum ich mir das antue?’ ausreichend beantwortet.“ Hat sie.