Hagen. 6,7 Millionen Menschen verdienen ihr Geld als Minijobber. Gastronomen wie Kai Spelsberg setzen auf sie. Oder ist der Minijob doch eine Sackgasse?
Fluch oder Segen? Rund 6,7 Millionen Menschen in Deutschland arbeiten aktuell in Minijobs (Stand Ende März). Schüler verdienen sich etwas Taschengeld, Studierende finanzieren einen Teil ihres Lebensunterhalts, immer mehr Rentnerinnen und Rentner bessern ihre Finanzen auf, weil am Ende der Altersversorgung noch zu viel Monat übrig ist. Auch 30.000 Kriegsgeflüchtete aus der Ukraine nutzen die Möglichkeit, halbwegs abgesichert einer Beschäftigung nachzugehen. Alle 6,7 Millionen Minijobber und Minijobberinnen sind bei der Minijobzentrale mit Sitz in Bochum gemeldet, davon 1,5 Millionen allein in NRW.
Seit 20 Jahren gibt es in Deutschland diese Minijobs, bei denen es die Möglichkeit gibt, in die Rentenkasse einzuzahlen und immerhin gegen Arbeitsunfälle versichert zu sein. In Betrieben, die nach Tarif bezahlen gilt sogar der Anspruch auf anteiliges Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Gute Sache also?
Kritik des DGB NRW
Geringfügige Beschäftigung gab es auch vor den Zeiten der Minijob-Zentrale. Trotz der vor 20 Jahren geänderten Begrifflichkeit im Zuge der Hartz-Reformen bleibt die Verdienstmöglichkeit eben auch gering. Mittlerweile liegt sie bei maximal 520 Euro pro Monat. Aus Sicht der NRW-Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB NRW), Anja Weber, eine prekäre Sache: „Minijobs sind leider kein Sprungbrett in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, sondern für viele Menschen eine berufliche Sackgasse.“
Als Beleg dafür muss Weber gar nicht allzu weit in die Historie der Minijobs zurückblicken. „In der Pandemie wurde Hunderttausenden Menschen in Minijobs gekündigt – ohne Anspruch auf Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld.“
Dass Minijobber etwas in die Rentenkasse einzahlen, hört sich erst einmal gut an. In der Regel fließen 3,6 Prozent und damit maximal 18,72 Euro des Monatslohns in die Rentenkasse. Nach einem Jahr erhöht dies den Rentenanspruch um rund fünf Euro. „Gerade für diejenigen, die ausschließlich im Minijob arbeiten, ist das ein sicheres Ticket in die Altersarmut. Das betrifft überwiegend Frauen. Deshalb fordert der DGB NRW schon lange eine Sozialversicherungspflicht für Minijobs ab dem ersten Euro“, betont die DGB-NRW-Vorsitzende Weber.
Die Gewerkschafterin sieht im Konstrukt einen klaren Fehlanreiz in Zeiten des Fach- und Arbeitskräftemangels, den sich Deutschland nicht leisten könne: „Minijobs sind eine große Hürde, um Frauen besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren, da die Arbeitszeit auf wenige Stunden begrenzt ist. Und egal, welches Knowhow und Können die Beschäftigten mitbringen, in Minijobs machen sie überwiegend einfache Tätigkeiten – das entwertet den Wert von Qualifikation und setzt keine Anreize für Weiterbildung.“
Die Gastronomie ist eine der Branchen, in denen Arbeitskräfte fehlen. Insbesondere, nachdem sich viele Beschäftigte, verunsichert durch die Zwangsschließungen in der Branche in den Lockdowns der Corona-Pandemie, andere Jobs gesucht haben und nicht mehr den Weg zurück suchten.
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In der Welt von Gastronom Kai Spelsberg aus Altena sind Minijobs eine großartige Sache. Der 30-Jährige betreibt einen Hotel-Restaurant-Betrieb in idyllischer Lage am Großendrescheid im Sauerland. Von der 30-köpfigen Belegschaft arbeiten die Hälfte als Minijobber. Genauer: beinahe alle Minijobberin. In der Pandemiezeit habe er lediglich zwei Kräfte verloren. Eine Festangestellte und eine Minijobberin.
Seit ein paar Monaten kommt ein Gärtner auf 520-Euro-Basis. Der einzige Mann im für Spelsberg unverzichtbaren Minijob-Team: „Die Festangestellten decken den Grundbedarf. Aber, wenn es samstags brummt, wir im Saal Hochzeit haben und im Restaurant a la Carte serviert wird, geht es nicht ohne unsere Minijobber. Sie decken die Spitzen ab. Ohne sie könnten wir Feiern nicht anbieten.“ Von der 16-jährigen Schülerin bis zur 60-jährigen Tante reicht das Altersspektrum bei Spelsberg. Es gebe einen digitalen Dienstplan und eine elektronische Arbeitszeiterfassung.
Heil: „Deutschlands Flaggschiff gegen Schwarzarbeit“
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der vor gut einem Jahr die Erhöhung der Verdienstgrenze auf 520 Euro auf den Weg brachte, um schließlich auch den Mindestlohn auf zwölf Euro anheben zu können, ohne dass die Arbeitgeber aus ihrer Sicht allzu viel flexibles Arbeitsstundenpotenzial verlieren, lenkte beim Jubiläum der Minijob-Zentrale den Blick auf ein hehres Ziel: „Die Minijob-Zentrale ist Deutschlands Flaggschiff gegen Schwarzarbeit. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter machen einen hervorragenden Job und helfen täglich dabei, dass geringfügige Beschäftigung legal ausgeführt werden kann.“
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Tatsächlich gilt dies auch für den Bereich der Haushaltshilfen, die aber mit gut einer Viertelmillion nur einen kleinen Anteil der 6,7 Millionen Minijobber ausmachen. Hier vermittelt die Zentrale in Bochum online über das Portal haushaltsjob-boerse.delegale Hilfe in privaten vier Wänden.
Letztlich ist damit auch nach 20 Jahren Minijob-Zentrale der Schwarzarbeit aber längst kein Riegel vorgeschoben worden. „Wer das will, macht es auch“, sagt der Gastronom Kai Spelsberg, der flott ergänzt: „Ich zahle die Pauschalbesteuerung für die Minijobber gerne.“ Für „ein bisschen Verwaltungsaufwand“, garantiert ihm das Arbeitsmarktinstrument schließlich ein hohes Maß an Flexibilität. Für Spelsberg ein Segen.