Werl/Arnsberg. Zu wenig Personal und Therapien: Deshalb fordert ein Anwalt die Freilassung von 120 Sicherungsverwahrten in der Justizvollzugsanstalt Werl.
Der Münchner Rechtsanwalt Adam Ahmed fordert die sofortige Freilassung von 120 Sicherungsverwahrten in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Werl. Die ersten 60 Anträge sind einem Sprecher des Landgerichts Arnsberg zufolge bei der zuständigen Strafvollstreckungskammer eingegangen.
Sicherungsverwahrte haben zwar ihre lange Haftstrafe wegen Mordes, Vergewaltigung, Geiselnahme oder anderer schwerer Straftaten verbüßt, wurden aber nicht in die Freiheit entlassen, weil von ihnen psychiatrischen Gutachten zufolge noch eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht.
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011
Nach Ansicht von Ahmed ist die weitere Unterbringung der 120 einst verurteilten Schwerverbrecher „unverhältnismäßig und verfassungswidrig“. Begründung: Das Gefängnis – mit 894 Haftplätzen für Strafgefangene und 138 Plätzen für Sicherungsverwahrte eine der größten Haftanstalten in Deutschland – komme wegen fehlenden Personals, mangelnder Behandlungsangebote und schlechter Ausstattung der Räume nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 nach.
Die Karlsruher Richter hatten seinerzeit gefordert, dass sich die Lebensbedingungen von Sicherungsverwahrten deutlich von denen „normaler“ Häftlinge unterscheiden müssten. Zudem hätten sie einen Rechtsanspruch auf eine fundierte Behandlung, damit ihre Gefährlichkeit verringert und so ihre ihre Chance auf Resozialisierung erhöht würden.
Vorwurf: Psychiater oder ärztliche Psychotherapeuten fehlen in der JVA
Anwalt Ahmed spricht in seinen Anträgen an das Landgericht Arnsberg von „skandalösen Abläufen“ in der JVA Werl. Ein Beispiel: Es fehlten psychiatrische Therapieangebote, weil es in der Haftanstalt keinen „Psychiater oder ärztlichen Psychotherapeuten“ gebe.
Ahmed verhehlt nicht, dass es sich bei seinen Werler Mandanten um Männer handelt, die wegen schwerer Straftaten verurteilt wurden. Aber: „Rechtsstaatlichkeit kann nur gewährleistet sein, wenn auch den Schwächsten vor dem Gesetz eine engagierte Strafverteidigung zuteil wird.“
Justizministerium weist Vorwürfe zurück
Das NRW-Justizministerium weist die Vorwürfe zurück: „Die bauliche und personelle Ausstattung in der Sicherungsverwahrung, aber auch die Gestaltung der Behandlung der Untergebrachten orientieren sich in NRW an den gesetzlichen Vorgaben auf Grundlage der (verfassungsrechtlichen) Rechtsprechung“, sagte Nils Radtke, Sprecher der Landesjustizvollzugsdirektion, auf Anfrage dieser Zeitung. „Unmittelbaren Handlungsbedarf“ erwarte man derzeit nicht.
Der Werler JVA-Leiter Thomas König verweist auf die regelmäßigen Überprüfungen des Landgerichts, „ob den hier Untergebrachten eine ausreichende Betreuung angeboten wird“. Die angebotenen Maßnahmen seien bislang nicht beanstandet worden.
Verteidiger des Mörders von Modemacher Rudolph Moshammer
Adam Ahmed (52) ist einer der bekanntesten Strafverteidiger im Land. Es sind häufig die öffentlichkeitswirksamen Prozesse, in denen der Münchner Anwalt Schwerverbrecher vertritt. Sein erster großer Fall war die Verteidigung des Mörders des schillernden Modemachers Rudolph Moshammer.
In Medienberichten wird er schon einmal „der Anwalt der Gehassten“ genannt. Jetzt lässt Ahmed mit seinen Anträgen an die 1. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg aufhorchen, in denen er die sofortige Entlassung von 120 Sicherungsverwahrten aus der JVA Wer fordert.
Papierakten im Landgericht
Bis Donnerstagmittag waren Gerichtssprecher Alexander Brüggemeier zufolge bereits 60 Anträge aus der Feder von Ahmed in Arnsberg angekommen, „der Großteil am Mittwochnachmittag und Donnerstagmorgen“. Alles Papierakten.
Die Kammer muss zunächst entscheiden, ob sie ein Prüfungsverfahren einleitet. Dann müsste sie Anhörungstermine für jeden einzelnen Sicherungsverwahrten mit Anwalt und JVA-Vertreter festlegen und gegebenenfalls psychiatrische Gutachten in Auftrag geben. „Vom Grundsatz her könnten Monate bis zu einer Entscheidung vergehen“, so Brüggemeier weiter.
Regelmäßige Prüfungen
Nach Angaben von Nils Radtke (Landesjustizvollzugsdirektion) prüfen die zuständigen Gerichte „für jeden Sicherungsverwahrten in regelmäßigen Abständen, mindestens einmal jährlich, ob die weitere Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung auszusetzen oder für erledigt zu erklären ist“. Gegenstand dieser Prüfungen sei insbesondere auch, „ob dem konkreten Sicherungsverwahrten ausreichende Betreuungsangebote unterbreitet wurden“.
In der JVA Werl sind alle Sicherungsverwahrten in NRW untergebracht. Im Mai 2016 wurde das neugebaute Wohnheim für Sicherungsverwahrte mit 138 Plätzen bezogen. Es ist nicht nur die räumliche Trennung der Untergebrachten, die Sicherungsverwahrung – wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert – von der Strafhaft unterscheidet.
Anspruch auf vier Ausführungen im Jahr
JVA-Leiter Thomas König nennt Beispiele: „Sicherungsverwahrte haben größere Räume mit eigener Küche und Nasszelle inklusive Dusche, eigene Sporträume mit teurem Inventar, sowie Freizeit- und Mehrzweckräume, Telefone auf dem Zimmer; sie können sich selbst verpflegen, eigene Kleidung tragen und sich im gesamten Bereich des Hauses 4 und dem Außenbereich bewegen; sie haben Anspruch auf vier Ausführungen im Jahr sowie fünf Mal 120 Minuten Besuch.“