Hagen. Sind E-Autos nur etwas für Städte? Nein, sagt ein Experte. Die Bedingungen seien im Sauerland und Co. sogar besser. E-Auto-Zahlen für die Kreise.
Er gehört zu einer Minderheit – nach wie vor. Aber Dr. Gerd Franke hat binnen knapp zehn Jahren gemerkt, wie sich die Stimmung gewandelt hat. Der Apotheker aus Drolshagen im Kreis Olpe sagt, er sei teils belächelt worden, als er im Jahr 2014 sein erstes Elektroauto, einen Renault Zoe, angeschafft habe. Sowohl privat als auch für die Kfz-Flotte seiner Apotheken hat er seitdem eine Vielzahl von E-Pkw genutzt. „Heute lacht keiner mehr, das Interesse ist riesengroß, es interessiert viele, welche Erfahrungen wir gemacht haben“, sagt Franke.
Der Apotheker gehörte zu den Pionieren: 16 E-Pkw waren im Kreis Olpe zugelassen, als er im Jahr 2014 seinen ersten Renault Zoe kaufte, fünf Jahre später, im Jahr 2019, waren es gerade mal 98. Doch seitdem sind die Zahlen regelrecht explodiert: Heute fahren im Kreis Olpe rund 1700 Pkw mit reinem Elektroantrieb, wie die jetzt veröffentlichten Zahlen des Kraftfahrtbundesamtes zeigen. Das sind immer noch nur knapp zwei Prozent aller rund 91.000 Pkw im Kreis, doch die Zahl wird weiter wachsen.
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Das erwartet Professor Stefan Bratzel, Gründer und Direktor des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach. Vor allem aber: Er sieht in den ländlichen Regionen die besseren Voraussetzungen für die Elektromobilitäts-Wende: Schicke E-Autos in den Metropolen für den Innenstadt-Verkehr mit vielen öffentlichen Ladepunkten, während im weitläufigen Sauerland weiter alle auf Verbrenner setzen – dieses Klischee passt nicht. Und in der Tat zeigen auch die Daten des Kraftfahrtbundesamtes: Die ländlichen Regionen stehen bei der E-Pkw-Quote schon jetzt nicht nach. Eine Analyse.
Wie fahren die Menschen in der Region aktuell?
Die Übermacht der Verbrenner ist noch riesig. Schaut man auf den Regierungsbezirk Arnsberg mit seinen knapp 3,6 Millionen Einwohnern, dann sind fast zwei Millionen Pkw, die mit Diesel oder Benzin angetrieben werden, zugelassen, Hybrid- oder reine Elektroautos kommen auf nicht einmal 150.000 Exemplare. Welche Bedeutung der eigene Pkw vor allem im ländlichen Raum mit eingeschränktem Bus- und Bahn-Angebot hat, macht die aktuelle Statistik deutlich: Die höchste Pkw-Dichte mit 686 Fahrzeugen pro 1000 Einwohner weist der Kreis Olpe auf. Das sind 178 Pkw mehr als in der Großstadt Dortmund.
Wird der Anteil der E-Autos auch im ländlichen Raum zunehmen?
Professor Stefan Bratzel geht fest davon aus. Denn die Voraussetzungen seien hier viel besser als in den Städten. „Hier haben viel mehr Menschen ein Eigenheim, oft auch noch mit Garage, in der es den Stromanschluss gibt, mit dem man sein E-Auto laden kann. Das ist im viel engeren städtischen Umfeld, wenn der Pkw im öffentlichen Raum steht, weitaus schwieriger.“ Vor allem, weil man hier auf eine öffentliche Ladeinfrastruktur angewiesen sei.
Auch in der Weitläufigkeit im Sauerland oder Siegen-Wittgenstein sieht Bratzel im Alltag keine Hürden: „Die Reichweite wird in der Regel kein Problem bei den täglichen Strecken sein – vor allem, wenn man abends zuhause wieder laden kann.“ Deutschlandweit betrage die durchschnittliche täglich zurückgelegte Fahrstrecke 40 Kilometer. Selbst wenn es deutlich mehr sei, sei das bei den heutigen Reichweite der Elektro-Pkw kein Problem. Der Kreis Soest ist aktuell Primus bei der E-Pkw-Quote: Mit 2,5 Prozent liegt er auch über dem NRW-Schnitt von 2,1 Prozent. Genau auf dem Landeswert liegt auch der Hochsauerlandkreis, nur knapp drunter Siegen-Wittgenstein – und damit vor Großstädten wie Dortmund oder Hagen.
Ab dem Jahr 2035 dürfen keine Diesel- und Benzin-Verbrenner mehr zugelassen werden. Ist das Ziel angesichts der weiter niedrigen E-Pkw-Quote realistisch?
„Das ist jedenfalls nicht utopisch“, sagt Auto-Experte Stefan Bratzel. Doch der Weg ist noch weit, auch wenn sich die Zahl der E-Pkw im Regierungsbezirk Arnsberg binnen fünf Jahren verfünfzehnfacht hat. Professor Bratzel erkennt aber in den aktuellen Zulassungszahlen, dass die Delle zum Jahreswechsel angesichts einer geänderten Förderung überwunden sei. Ein E-Auto zu kaufen, sei nicht mehr nur etwas für Pioniere: „Wir gehen langsam in die Breite.“ Bei den Preisen sieht er Bewegung: „Tesla hat den Preiskampf eingeläutet.“ Dass die Chinesen mit einem günstigen E-Auto auf den Markt kommen, werde für weitere Bewegung sorgen. „Und auch die Produktionskapazitäten nehmen zu. Bei einigen Herstellern gibt es schon heute keine langen Wartezeiten.“ Gerade in dicht besiedelten städtischen Gebieten müsse die öffentliche Ladeinfrastruktur weiter ausgebaut werden. „Hier brauchen wir auch Schnellladeparks“, so Bratzel. Im ländlichen Gebiet müsse die Kombination aus einem E-Auto und der eigenen Photovoltaikanlage, die das Fahrzeug „betanke“, attraktiver gemacht werden. Der wichtigste Faktor sei aber: „Der Strom muss günstiger bleiben als Verbrenner-Kraftstoffe, damit sich der Umstieg rechnet.“
Seine-E-Auto-Flotte mit einer eigenen Photovoltaikanlage zu koppeln, das hat auch Gerd Franke, der Apotheker aus Drolshagen, fest im Blick. Sein Fazit nach fast zehn Jahren mit E-Autos fällt knapp und positiv aus: „Es ist toll, das funktioniert.“ Die Grenzen kennt er aber auch: Im strengen Winter habe die Batterieleistung nachgelassen. Und er selbst hat auch noch einen Verbrenner für ganz lange Strecken. Obwohl: „Von hier aus nach Köln oder ins Ruhrgebiet zu fahren, ist kein Problem. Da komme ich locker hin- und zurück, ohne nachladen zu müssen.“
>> INFO: Dortmund-HSK-Vergleich
- Wie wichtig die private Ladeinfrastruktur ist, zeigt sich am Hochsauerland-Dortmund-Vergleich:
- Während es im riesigen HSK bei rund 3600 E-Autos 361 Normalladesäulen- und punkte sowie 44 für Schnellladung gibt, sind es in Dortmund bei rund 5400 E-Autos 989 Normal- und 109 Schnelllademöglichkeiten.
- Vergleichsweise also erheblich mehr.