Lüdenscheid. Swanie Diehl wohnt direkt unter der Rahmedetalbrücke in Lüdenscheid und sammelt hunderte Engelsfiguren. Was mit ihnen bei der Sprengung passiert.

Swanie Diehl lebt in Lüdenscheid. Das ist erst einmal nichts Ungewöhnliches. Und doch gibt es eine Besonderheit in ihrer Wohnsituation: Ihr Haus steht nämlich fast genau unter der Rahmedetalbrücke, die am Sonntag gesprengt werden soll. Dort ist nicht nur Swanie zuhause, sie teilt sich ihre Wohnung mit ihren zerbrechlichen Kostbarkeiten. Sie sammelt Engelsfiguren, wie viele genau, das weiß sie nicht, 253 davon stehen in ihrer Wohnung in Lüdenscheid, in allen erdenklichen Formen und Farben und Größen – und die sollen die Sprengung allesamt heile überstehen. „Ich hoffe, dass nichts kaputt geht bei der Sprengung“, sagt sie. Denn hinter jedem Engel steckt eine Geschichte und damit auch ein hoher emotionaler Wert.

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Neben der Eingangstür hängt ein Schild, „Engel Swanie“ steht in schwarzen Lettern auf weißem Untergrund geschrieben. Geschenkt bekommen hat sie das von den Menschen in ihrer Kirchengemeinde, der evangelischen Gemeinde Oberrahmede, in der sie als Vertretung der Küsterin arbeitet. „Ich bin deren Engel, sagen sie. Die Leute aus der Gemeinde sagen, dass ich ein großes Herz habe.“ Ihre Berufung sei es, Menschen in Not zu helfen – Geflüchteten, Obdachlosen, Menschen ohne Perspektive oder Heimat, die Liste ist lang. Sie hilft, indem sie sich als Gesprächspartnerin anbietet, ein offenes Ohr hat. „Ich höre einfach zu, was ihnen auf dem Herzen liegt.“ Eine Grundversorgung für Obdachlose oder Geflüchtete herzustellen, auch das steht auf ihrer Agenda. Kleidung, Essen, der tägliche Bedarf halt. Um Unterkünfte für Betroffene kümmere man sich in der Gemeinde. „Ich möchte nichts dafür haben, ich mache das, weil ich Menschen liebe.“ Und doch bekommt sie meist ein Dankeschön zurück – in Form von Engeln. Gebastelte Figuren mit großen Flügeln, bunt angemalt, geschenkt von Kindern, die sie unterstützt hat, stehen dicht aneinander gereiht auf einem Regalbrett im Flur. Gleich daneben liegt ein grauer Kieselstein. Auch dort drauf ein Engel abgebildet. „Psalm 91,11“ steht auf dem Stein geschrieben – „Denn Gott wird seine Engel schicken, um dich zu beschützen, wohin du auch gehst“.

Engel sollen Haus schützen

Beschützen, da ist sich die 56-Jährige sicher, wird Gott aber auch ihre eigenen Engel, die im Gegensatz zu ihr am Sprengungstag nicht evakuiert werden. „Ich kann es ja nicht ändern, deshalb mache ich mir nicht zu viele Gedanken. Ich bete aber, dass der liebe Gott die Leute bei der Sprengung begleitet.“

Bei einer Bürgerinformationsveranstaltung gab es vorab die Möglichkeit, Sprengmeister Michael Schneider Fragen zu stellen, „dann habe ich gefragt: was ist mit meinen Engeln, muss ich die einpacken?“. Der Sprengmeister habe ihr versichert, dass ihr Haus gut eingehüllt wird und ihre himmlischen Beschützer sicher sein werden. „Ich kontrolliere nach der Sprengung alles, ob auch wirklich nichts kaputt gegangen ist. Wenn alles heile ist, dann bekommt der Sprengmeister einen Engel von mir. Das habe ich ihm versprochen.“ Dafür hat Swanie Diehl sich bereits ein besonderes Stück ihrer Sammlung ausgesucht: ein himmlischer Bote, geschnitzt aus Holz, bekleidet mit einem weißen Gewand, der ein kleines Haus in seinen Händen vor der Brust trägt.

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Ob es Engel mit besonderen Geschichten in der Sammlung gibt? „Meine Chefin, Pfarrerin Monika Deitenbeck-Goseberg, hat mir mehrere Engel aus Holz aus Jerusalem mitgebracht. Auch einen singenden Engel hat sie mir geschenkt, weil ich so gerne singe“, lacht sie. Ganz besonders seien diese Figuren für sie, weil sie so eine enge Verbindung zu ihrer Chefin hatte, die drei Tage nach ihrem 65. Geburtstag gestorben ist. „Ich bin sehr dankbar für unsere gemeinsame Zeit, sie bleibt für immer in meinem Herzen.“

Ein Geschenk aus Dankbarkeit

Eine kleine, fast unscheinbare Figur steht im Wohnzimmer. Wie fast jeder andere Himmelsbote in der Wohnung, ist auch dieser bekleidet mit in einem weißen Gewand und trägt ein paar Flügel auf dem Rücken. „Eigentlich nichts Besonderes“, sagt Swanie. Aber irgendwie doch. Denn eine einst obdachlose Person hatte ihr den Engel geschenkt, aus Dankbarkeit für Swanies Arbeit. Ein Erbstück der Oma soll der kleine, unscheinbare Engel gewesen sein, der als Erinnerung behalten wurde. Der Person half Swanies Gemeinde aus der Obdachlosigkeit, sie ließ sich taufen. Zwei Jahre lang besuchte sie dafür den Unterricht in der Kirche. Swanie war Taufpatin. „Ich glaube eigentlich nicht an Engel, aber ich gebe dir das Erinnerungsstück von meiner Oma, weil du ein lebendiger Engel bist“, soll die dankbare Person gesagt haben.

Den Engel, der das Haus in seinen Händen hält, soll der Sprengmeister am Sonntag von Swanie Diehl als Geschenk erhalten.
Den Engel, der das Haus in seinen Händen hält, soll der Sprengmeister am Sonntag von Swanie Diehl als Geschenk erhalten. © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen

Bereits auf den Philippinen, von denen Swanie 1994 der Liebe wegen nach Deutschland kam, wussten die Menschen um sie herum von ihrer Leidenschaft für die himmlischen Wesen und schenkten sie ihr als Dank. „Die sind auch noch da. Die schützen dort meine Familie für mich“, sagt sie. Ihre Familie in Deutschland und ihr Haus schützen nun die 253 Engel in der Lüdenscheider Wohnung -- auch vor der Sprengung. „Hier ist jetzt abends ein Sicherheitsdienst unterwegs, weil schon Sprengladung an der Brücke ist.“ Das gebe ihr ein mulmiges Gefühl. „Ich bin froh, wenn das vorbei ist.“

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