Sundern. Klaus Korn aus Sundern arbeitet als Naturschützer für den BUND. Der Schneckenexperte hat Dutzende von Bauprojekten gestoppt oder verzögert.

„Fortschrittsausbremser“, so will sich Klaus Korn nicht nennen lassen. Auch nicht „Schneckenkorn“. So bezeichnen den 62-jährigen Naturschützer seine Gegner. Und davon hat der Sauerländer aus Sundern reichlich. Er ist für den Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) im Hochsauerlandkreis im Einsatz als Verfahrensbeteiligter. In dieser Rolle kann er mit dem Nachweis der Ansiedlung von bedrohten Tierarten Bauvorhaben verhindern bzw. verzögern. Der gelernte Zimmermann, der sich als Schneckenexperte in NRW einen guten Ruf erarbeitet hat, kritisiert, dass angesichts der Krisen kaum noch Rücksicht auf die Belange der Natur genommen werde. „Windkraftanlagen haben seit dem Ukrainekrieg und dem damit einhergehenden Energieengpass Vorrang gegenüber Rotmilan, Schwarzstorch oder Waldschnepfe“, sagt der Mann, der sich auf seltene Schnecken spezialisiert hat, insbesondere auf die Dunkers Quellschnecke, die weltweit nur in Südwestfalen und seinen Nachbarregionen vorkommt. Dort, wo er die lateinisch Bythinella dunkeri genannten Kriechtiere entdeckt, haben Investoren von Windkraftanlagen einen schweren Stand.

Einsatz bei jedem Wetter

Klaus Korn (62) arbeitet als Verfahrensbeteiligter für den BUND im Hochsauerlandkreis.
Klaus Korn (62) arbeitet als Verfahrensbeteiligter für den BUND im Hochsauerlandkreis. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann Funke Foto Services

Klaus Korn blickt von seinem Haus am Rande einer Siedlung in Sundern über Wiesen und Felder. Schnell senkt sich sein Blick. „Es wird zu wenig auf den Boden geschaut“, kritisiert der 62-Jährige. Die kleinen und kleinsten Tiere am Boden, sie seien es wert, dass man sich für sie stark mache. Der Sauerländer ist für „seine Schnecken“, die auf der Roten Liste als gefährdet eingestuft werden, unermüdlich im Einsatz, auch über Südwestfalen hinaus. Der Hochsauerlandkreis ist auch durch seine Arbeit zu einer der am besten untersuchten Schneckenregionen der Republik geworden. Seinen Einsatz bei jedem Wetter sieht man Korn an: im von der Sonne gegerbten Gesicht, im grauen Bart und den vom Wind zerzausten Haaren. Das Flanellhemd passt zu ihm. Er trägt es locker über der Hose.

Mit Brief und Siegel der Behörde

Der Schneckenexperte aus Sundern hat bei seinen Einsätzen mehr als hundert Bauvorhaben verhindert bzw. verzögert oder eingeschränkt, wie er sagt. Werden von den Behörden Planungsräume zur Bebauung im Hochsauerlandkreis freigegeben, wird er vom BUND beauftragt, sich vor Ort umzuschauen. Wo Korn die Dunkers Quellschnecke findet, entsteht ein gesetzlich geschütztes Biotop. Mit Brief und Siegel vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv). Die Behörde wiederum kontrolliert die Angaben der für die Umweltverbände tätigen Naturschützer. Verfahrensbeteiligte, berichtet Korn, der seit 1982 Mitglied beim BUND ist, gebe es viele. Der NABU, LNU und BUND entsenden jeweils Vertreter, die sich für bestimmte Tierarten und Pflanzen stark machten. Er sei eben der Schneckenexperte. „Diese kleinen Tiere werden belächelt, sie sind aber wichtig für die Natur, weil sie auf Umwelteinflüsse schnell reagieren“, erklärt der 62-Jährige, der durch sein jahrelanges Selbststudium von Feldstudien und Fachbüchern zum Schneckenexperten wurde.

Winzige Schnecken unter der Lupe

Sehr seltene Tierart: Das Gehäuse der Dunkers Quellschnecke ist nur 2,6 Millimeter groß.
Sehr seltene Tierart: Das Gehäuse der Dunkers Quellschnecke ist nur 2,6 Millimeter groß. © Privat | Privat

Wenn Klaus Korn über Schnecken spricht, ist er in seinem Element. Sie sind seit seiner Kindheit seine Leidenschaft. „Niemand“, sagt er, „müsse zum Amazonas fliegen, um weltweit einzigartige Tiere zu sehen.“ Die Dunkers Quellschnecke mit ihrem nur 2,6 Millimeter großen Gehäuse ist weltweit einzigartig. Die mit bloßem Auge kaum erkennbaren Tiere, die in Quellen und den darunter liegenden Quellbachbereichen leben, findet man nur in einem Gebiet, das sich zwischen Nordhessen, Rheinland-Pfalz, den östlichen Niederlanden und Belgien erstreckt. „Und vor allem im Sauerland sitzen sie im Wasser unter Steinen.“ Immer wieder ist Klaus Korn in Wanderstiefeln mit der Lupe unterwegs, um die Überbleibsel aus der Eiszeit, die als Indikator für sauberes Grundwasser gelten, in seiner Heimat zu entdecken. Windkraftanlagen, so Korn, seien zurzeit die größte Gefahr für die Dunkers Quellschnecke. Klaus Korn hat Investoren viel Geld gekostet. Vor allem in Südwestfalen. Bahnt sich ein Bauprojekt an, rückt er mit seiner Lupe an. Er „geht sicher“, dass die seltenen Schnecken nicht unter die Bagger geraten. Der 62-Jährige nimmt dabei nicht selten in frühen Planungsphasen den Investoren die Lust am Projekt. So wie 2006, als in Sundern-Amecke eine Ferienhausanlage mit 200 Häusern geplant wurde. Auch dort entdeckte er die gefährdeten Kriechtiere. Bis heute zieht sich das Verfahren hin. Mittlerweile hat die Stadt Sundern ihr Vorhaben reduziert, auf 50 statt 200 Häuser, die Hälfte der vorgesehenen Bebauungsfläche soll wieder als Wald genutzt werden. Ob der mittlerweile dritte Investor, die Helma Eigenheim AG mit Sitz in Lehrte bei Hannover, weiter investieren wird, ist ungewiss. Thorsten Harms, Leiter der Helma-Marketingabteilung: „Wir bereiten das Projekt so aktiv nicht mehr voran.“ Der Projektleiter für die geplante Ferienanlage sei nicht mehr für das Unternehmen tätig, heißt es aus Niedersachsen. Details zu Verlusten, die Helma durch den Einsatz von Klaus Korn entstanden sind, kann Thorsten Harms nicht nennen. Ein Rückruf des neuen Projektleiters oder der Unternehmensleitung erfolgte bisher nicht.

Sprengung gestoppt

Das Verbreitungsgebiet der Dunkers Quellschnecke.
Das Verbreitungsgebiet der Dunkers Quellschnecke. © funkegrafik nrw | Anda Sinn

Durch Korns Gutachten über die Artenvielfalt wurde vor zwölf Jahren die Erweiterung des Steinbruchs Sundern-Westenfeld um acht Hektar verhindert. Auch den vor zwei Jahren geplanten Bau von zwei Windkraftanlagen in Sundern-Hagen konnte er verzögern. Dort sollten Rohre über 30 Meter verlegt werden. Das Verfahren läuft bis heute. Die Naturschutzverbände haben ihre Stellungnahmen abgegeben, nun liege es am Hochsauerlandkreis, wie man weiter damit umgehe. Korn wird auch von Bürgerinitiativen immer wieder um Hilfe gebeten. Bei Werdohl konnte sein Einsatz die Erweiterung des Gewerbegebiets Rosmart verhindern. Im Balver Stadtteil Eisborn gründete er 2019 selbst eine Bürgerinitiative, die sich bisher erfolgreich gegen die Erweiterung eines Steinbruches stark macht. Dort konnte die Abholzung eines Kalkbuchenwaldes verhindert werden. In Oeventrop, wo zwei Windkraftanlagen gebaut werden sollten, verhinderte Klaus Korn durch seine kartierten Funde der seltenen Schnecken die Zuwegung entlang einer Klippe, die gesprengt werden sollte. Die Sprengung wurde untersagt. Nun können die Flügel nicht mehr zum vorgesehenen Platz transportiert werden. Zu eng, auch dort läuft noch das Verfahren. „All das der Umwelt und den Schnecken zuliebe“, sagt Korn. Sein nächstes Projekt: Nahe Bestwig soll 2022 eine Windkraftanlage entstehen. Korn jedenfalls kann nicht mehr zählen, wie oft er unterwegs war, um Bauprojekte zu verhindern.

Austrittswelle der Naturschützer bei den Grünen

Den Grünen hat Klaus Korn den Rücken gekehrt. 2013 trat er aus der Partei aus. „Ich konnte nicht länger hinnehmen, dass der Naturschutz für Windkraftanlagen geopfert wird.“ Mittlerweile werde kaum noch Rücksicht genommen auf saubere Quellen. Die Naturschützer bei den Grünen sieht der Sauerländer auch von der Berliner Grünen-Spitze um Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck an die Wand gedrückt. Die Einschnitte im Naturschutzrecht, die der Bundestag in diesem Jahr auch auf Betreiben der Grünen zugunsten des Ausbaus der Erneuerbarer Energien beschlossen habe, setze den Naturschützern zu. Es laufe zurzeit eine Austrittswelle. „Naturschützer sind bei den Grünen kaum noch zu finden -- und das ist sehr traurig“, erzählt Klaus Korn. Der 62-Jährige aus dem Sauerland kritisiert, dass die Bundesregierung verschiedene Initiativen auf den Weg gebracht hat, um den Ausbau erneuerbarer Energien zu entfachen. „Dafür wurden zahlreiche Bestimmungen beim Natur- und Artenschutz vereinfacht.“ Das „überragende öffentliche Interesse“ für mehr Windenergie sei so einfach festgezurrt worden. Korn befürchtet noch in diesem Jahr eine Vereinfachung und Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für Windparks. „Wir haben in Deutschland Planungsvorschriften. Wir können nicht alle preisgeben und beim Artensterben zusehen.“ Korn kritisiert vor allem die FDP, die rücksichtslos mit der Umwelt umgehe. „Zum Beispiel beim Ausbau der Autobahnen. Dabei tragen wir eine Verantwortung, nicht nur, dass die Dunkers Quellschnecke weiter auf dieser Erde existieren darf, nein auch unseren nachfolgenden Generationen, unseren Kindern und Enkelkindern gegenüber.“

Die Rahmedetalbrücke

Mit Blick auf die gesperrte Rahmedetalbrücke auf der A 45 bei Lüdenscheid bezeichnet Klaus Korn den sechsspurigen Ausbau als „fatal“. Allgemein hält er das Vorgehen ohne Planfeststellungsverfahren für einen Fehler. Die Balance zwischen Ökonomie und Ökologie sei nicht mehr gegeben. „Wo man jahrzehntelang etwas versäumt hat, dafür muss die Natur nun bluten.“

Klaus Willecke, der umweltpolitische Sprecher der Kreistagsfraktion der FDP im Hochsauerland, reagiert auf die Kritik von Klaus Korn. Naturschutz, sagt er, sei wichtig. „Einige vom BUND verursachte Verzögerungen beim Bau von Windkraftanlagen mögen berechtigt gewesen sein, andere nicht.“ Er plädiert für eine differenzierte Betrachtungsweise: „Wir können nun einmal nicht jeden Schmetterling retten, wir müssen auch an die Menschen denken.“ Bei wichtigen Infrastrukturprojekten müsse immer abgewogen werden, ob sie nicht Vorrang haben sollten. Oft, klagt Willecke, gehe es dem BUND nicht um die Sache, „sondern nur darum es zu verhindern“. Zurzeit verdienten Rechtsanwälte durch die auch von Klaus Korn verursachten Klagen gegen geplante Windkraftanlagen viel Geld. Er mahnt eine liberale Herangehensweise an. „Wo Windkraftanlagen sinnvoll sind, sollten sie auch erlaubt werden.“

Stolz auf seine Arbeit

„Mit Blick auf den Klimawandel zählt jeder Quellbach, jede Quelle, jede Schnecke“, betont Klaus Korn. 44.000 Pflanzen und Tierarten gibt es in NRW, 43 Prozent stehen auf der Roten Liste. „Da sieht man, welche Dimension die Zerstörung der Natur bei uns bereits angenommen hat.“

Korn weiß, dass er sich mit seiner Arbeit wenig Freunde macht. „Nicht nur im politischen Raum.“ Und das wird sich nicht so schnell ändern. Für den BUND ist er mittlerweile wöchentlich im Einsatz. Immer auf der Suche nach der Dunkers Quellschnecke. Er ist fern der Waldwege unterwegs, erkundet Klippen, erklimmt Hügel, geht dorthin, wo kaum ein Waldspaziergänger je vorgedrungen ist. Findet Korn gefährdete Tierarten, kartiert er sie und informiert die Behörden. Es mache ihn stolz, für die Natur zu kämpfen, sagt Klaus Korn. Auch in den nächsten Wochen wird er unermüdlich die Dunkers Quellschnecke in den Wäldern des Sauerlandes suchen. Und er wird auch beim nächsten Bauprojekt nicht lockerlassen.