Hagen. Mexikaner, Indianer und Co.: Was ist nach den Debatten um kulturelle Aneignung politisch korrekt? Was die Jecken zwischen Hagen und Olpe sagen.

Jörg Spiekermann kommt aus einer Generation, in der Kinder noch Cowboy und Indianer spielten. Und dabei Spielzeugpistolen in den Händen hielten, in denen blass-rote Papierstreifen mit Zündplättchen für dumpfe Knallgeräusche und unangenehm duftende Rauchschwaden sorgten. Ein harmloser Spaß sozusagen.

Anno 2023 muss der erste Vorsitzende der Mendener Karnevalsgesellschaft „Kornblumenblau“ miterleben, dass mancherorts das Indianerkostüm in eine Debatte um politische Korrektheit in der fünften Jahreszeit geraten ist. „Bei uns gibt es keine Diskussionen darüber, welche Verkleidung im Karneval erlaubt ist und welche nicht“, sagt der Sauerländer. „Wir werden bei unserem großen Umzug am Tulpensonntag oder bei unseren Hallenveranstaltungen keinen zurückweisen, der als Indianer – oder auch beispielsweise als Scheich – verkleidet ist.“

Debatte über kulturelle Aneignung

Spätestens seit im vergangenen Sommer ein renommierter Verlag zwei Winnetou-Kinderbücher nach Rassismus-Vorwürfen und „aus Fairness gegenüber anderen Kulturen“ aus dem Verkehr gezogen hat, ist eine Debatte über kulturelle Aneignung entbrannt. Darf man heute noch mit Blick auf indigene Völker Indianer sagen, Bücher und Filme entsprechenden Inhalts vertreiben oder sich gar in närrischen Zeiten in Häuptlings- oder Squaw-Kostüme zwängen?

Eine insbesondere in sozialen Netzwerken emotional geführte Auseinandersetzung, die diverse Stilblüten treibt: Karnevalist Spiekermann erinnert sich an das öffentliche Echo nach der jüngsten TV-Show des häufig im Trachtenlook verkleideten Unterhalters Florian Silbereisen. Der Bayer hatte aus der Schlagerzeile „Erinnerst du dich, wir ham’ Indianer gespielt“ das Wort Indianer gekappt und durch „zusammen“ ersetzt.

Jecken mit Nachholbedarf

„Wir haben diese Geschichte in unserem Verein eher belächelt“, sagt Spiekermann, Indianerkostüme jedenfalls kommen in Menden nicht auf den Index: „Karneval ist bunt“, sagt der Vorsitzende, „es gehört zu seinem Wesen, dass die Menschen sich selbst und anderen den Spiegel vorhalten und alles nicht so bierernst nehmen.“

Spiekermann und seine Mit-Jecken von „Kornblumenblau“ haben in dieser Karnevalssession schon einige närrische Veranstaltungen besucht. „Man spürt regelrecht, dass nach zwei Pandemie-Jahren ohne Karneval großer Nachholbedarf besteht“, sagt der Mendener, „die Leute wollen einfach nur mal wieder unbeschwert feiern.“ Und lassen sich offenbar ihre Stimmung nicht von Indianer-Diskussionen vermiesen.

Großer Wert auf närrischer Freiheit

Sebastian Springob, Mitglied des Elferrats der Attendorner Karnevalsgesellschaft „Die Kattfiller“, kann dem nur beipflichten: „Wir legen großen Wert auf närrische Freiheit und werden daher kein Indianerkostüm untersagen.“ Jecken hätten ein „feines Sensorium“, wie er findet: „Man nimmt sich und andere aufs Korn und ist dabei entspannt in aller Verschiedenheit unterwegs. Aber: Wir leben Toleranz, bei uns werden keine Menschen diskriminiert.“

Herbert Geiss leitet den deutschen Marktführer in Sachen Kostümhandel, Deiters. Sein Unternehmen beherbergt am Stammsitz in Frechen das nach eigenem Bekunden „größte Karnevalskaufhaus der Welt“ und bestückt 30 Filialen im ganzen Bundesgebiet. Selbst in der bislang nur Insidern bekannten Karnevalshochburg Berlin. Spürt er mit Blick auf Indianerkostüme eine Kaufzurückhaltung? „Im Gegenteil“, sagt der Rheinländer, der sich in diesem Jahr unter anderem als verrückter Hase aus Alice im Wunderland verkleidet und die Themen Herz sowie 80er und 90er Jahre als aktuelle Kostüm-Trends bezeichnet: „Die Nachfrage nach Winnetou & Co. ist groß. Für uns und andere Karnevalisten, die Spaß an der Verkleidung haben, sind Indianer Helden.“

Karl-May-Gesellschaft

Nachfrage bei der Karl-May-Gesellschaft: Steffen Rinkefeil, Mitglied aus Westfalen, schüttelt angesichts der Diskussion um Indianerkostüme im Karneval den Kopf: „Was soll das? Das Verkleiden ist doch wirklich etwas Harmloses.“ Er spricht davon, dass Winnetou-Autor Karl May ein „durchaus romantisches Indianer-Bild geprägt“ habe und zitiert die Antwort seiner Gesellschaft auf die Frage, ob man heute noch Indianerbücher lesen könne: Es werde die „pauschale Geringschätzung anderer Kulturen (…) in Mays populären Abenteuererzählungen unmissverständlich verurteilt“, heißt es. Und: „Sein Spätwerk ist ein engagiertes Plädoyer für Toleranz und Völkerverständigung.“

Kein Thema auf der Prunksitzung

Der Cobbenroder Carnevals Verein (CCV) hat am vergangenen Wochenende nach zwei Jahren Pause endlich wieder zu seiner Prunksitzung einladen können. Die Stimmung war prächtig, Indianerkostüme waren kein Gesprächsthema. „Wenn wir eine Kleiderordnung einführen“, sagt Thomas Funke vom CCV-Präsidium, „können wir gleich alles absagen. Wo wollten wir denn da eine Linie ziehen?“