Hagen. Sie sind Klassiker der Alltagsgegenstände, aber so langsam aus der Zeit gefallen: Telefonzellen, Jukeboxen, Videotheken und Kaugummiautomaten.
Wenn man Günter Haumann fragt, was er am 31. Dezember um 14 Uhr macht, ob er womöglich mit einem Gläschen Sekt auf das Ende von Dortmunds letzter Videothek – sein „Videoplanet“ – anstößt, dann sagt er ganz trocken: „Das weiß ich noch nicht.“ Es war noch einiges zu tun in den letzten Tagen des Räumungsverkaufs, und dann ist da noch das Silvester-Feuerwerk, das er nach zwei Jahren Böllerverbot in seinen Geschäftsräumen wieder verkauft.
Der 70 Jahre alte Westfale klingt nicht sentimental, auch wenn womöglich in einer stillen Stunde sein Berufsleben mit den 41 Jahren als Videotheken-Besitzer an ihm wie ein Film vorbeilaufen wird. Das Aus für seine letzte von einst 20 Videotheken war absehbar: „Die Zeit der Videotheken ist einfach abgelaufen“, sagt er. Die Verleih-Geschäfte für Spielfilme aller Art sind nicht die einzigen liebgewonnenen Alltagsgegenstände, Klassiker aus alten Zeiten, die aus dem Blickfeld verschwinden.
Die Telefonzelle
Als die Deutsche Telekom am 21. November damit begann, die Münzzahlung an den öffentlichen Fernsprechern bundesweit schrittweise zu deaktivieren, und fast zeitgleich darüber informierte, dass ab Ende Januar 2023 auch die Telefonkarten ihre Wirkung verlieren und überhaupt alle Rest-Geräte im Magenta-Ton nach und nach – bis voraussichtlich Anfang 2025 abgebaut werden, kamen bei vielen Bundesbürgern nostalgische Erinnerungen hoch.
Wie oft hatte man mitten in einem besonders wichtigen Gespräch gebangt, ob der Groschen nach dem Münzeinwurf in die richtige Rille fiel und nicht krachend durchrutschte. Wie oft hatte ein junges Glück unmittelbar vor den drei berühmten Worten die fehlenden Münzen in der Geldbörse verflucht, die für ein abruptes Ende des gefühligen Wortwechsels sorgten. Oft zur Freude der ungeduldig Wartenden vor der Glasscheibe.
Irgendwie hatten die öffentlichen Fernsprecher bereits mit dem Aus für die gute alte gelbe Telefonzelle ihre Seele verloren. Mit den Magenta-Säulen begann der Tod auf Raten, jetzt erfolgt die Beerdigung: „Von den ehemals über 160.000 öffentlichen Telefonen in Deutschland“, so Telekom-Sprecher Pascal Kiel zu dieser Zeitung, „wurden in den letzten Jahren bereits über 90 Prozent abgebaut, weil sie niemand mehr nutzte.“
Thema Unwirtschaftlichkeit: An einem Drittel der noch 12.000 öffentlichen Telefone sei im vergangenen Jahr kein einziges Gespräch geführt worden, so Kiel.
Der Kaugummiautomat
Wenn es nicht schon das Internet-Lexikon Wikipedia gäbe, man müsse es erfinden. „Ein Kaugummiautomat“, so heißt es dort, „ist ein Verkaufsautomat mit dem ursprünglichen Zweck, Kaugummi zu verkaufen.“ Donnerwetter!
„Groschenglück“ wurde im vergangenen Jahr ein Artikel bei „Zeit online“ überschrieben, der messerscharf den „Zauber“ der meist roten und vergitterten Kästen beschreibt: „Eine analoge Bastion der Unberechenbarkeit in einer durchdigitalisierten Welt der vermeintlichen Gewissheit. Münze rein, drehen, hoffen. Kommt heraus, was ich wollte? Vielleicht sogar ein Kaugummi mehr? Welche Farbe?“ Oder vielleicht gar kein Kaugummi, so dass der junge Mensch das „blöde Ding“ mit seiner Faust so bearbeitete wie ein Schlagzeuger seine Trommeln. Es half in der Regel nicht.
Automatenaufstellern lag immer eine gewisse Pfiffigkeit inne. Sie brachten die roten Geräte an Häuserwände so an, dass man auf dem Schulweg – ja, es gab Zeiten, als das Elterntaxi noch nicht bis direkt vor den Klassenraum fuhr –, nicht daran vorbeigehen konnte, ohne einen Groschen in den Schlitz zu werfen.
Dem Verband der Automaten-Fachaufsteller (Vafa) zufolge gab es vor zwei Jahren noch zwischen 400.000 und 600.000 Kaugummiautomaten. Das Problem: Man bemerkt sie nicht mehr. Und: Der Mensch lässt sich die Großpackung Kaugummis von Amazon bringen.
Die Jukebox
Früher kam die Musik nicht aus Bluetooth-Lautsprechern, sondern bisweilen aus klobigen Kästen, so groß wie ein Bankautomat: Jukeboxen, diese faszinierenden Musikautomaten in Kneipen, die nicht nur etwas für die Ohren, sondern auch etwas für die Augen waren: Man staunte jedes Mal, wenn sich der Greifarm nach erfolgreicher Geldfütterung eine von bis zu 100 Platten holte, sich die Nadel senkte und der ganze bunte Kasten vibrierte.
Die Jukebox wurde 1889 in San Francisco erfunden. Der Legende nach sollte es eigentlich ein Diktiergerät werden. Heute ist es ein Auslaufmodell, dessen Erbe noch von Nostalgikern hochgehalten wird. Der international aufgestellte Musikboxenverein hat seinen Sitz, wie könnte es anders sein, in Westfalen.
Der Partykeller
Irgendwie roch es immer etwas modrig im Partykeller, womöglich lag es an der Nähe zu Heizungsraum und Garage. Der Muff der 70er- und 80er-Jahre ist vielerorts verschwunden, die Räume mit Holzvertäfelung, Bierdeckeln an der Wand, Disco-Kugel unter der Decke und gemütlicher Theke mit Zapfanlage und wackeligen Barhockern davor, werden längst als Rumpelkammern genutzt, wo man die Dinge lagert, die nie mehr benutzt werden.
Die Videothek
Günter Haumann hat während des fünfmonatigen Räumungsverkaufs in seinem „Videoplanet“ im Dortmunder Stadtteil Bodelschwingh 35.000 DVD veräußert, davon 20.000 Werke aus der sogenannten „Erwachsenen-Abteilung“. Hinzu kamen reichlich Spiele für die gleichnamigen Konsolen.
Zusammen mit Sohn Heiko wollte Haumann eigentlich mit einer Verkleinerung der Verkaufsfläche auf 20.000 Quadratmeter das Überleben des Traditionsbetriebs sichern. „Leider sind uns durch Corona einfach zu viele Kunden verloren gegangen“, sagt er. Als der Laden pandemie-bedingt geschlossen war, hätten sich die Menschen „umorientiert“ – zu Streamingdiensten wie Netflix oder zum kostenlosen Angebot in den Mediatheken der öffentlich-rechtlichen TV-Sender.
In der Blütezeit des Film-Ausleihens hat Günter Haumann 20 Videotheken betrieben. Von einst 10.000 Film-Verleih-Häusern im Bundesgebiet, so sagt er, gebe es jetzt vielleicht noch 70: „Die Entwicklung war absehbar. Wir konnten uns darauf einstellen, dass wir eines Tages schließen müssen.“