Hagen. Alle 15 Minuten im Unterricht lüften? Unnötig, sagt CDU-Politiker Peter Liese und will, dass das RKI seine Empfehlung ändert. Er erntet Kritik.

Zum Beispiel hier, am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Winterberg: Es wird gelüftet während des Unterrichts. Alle 15 Minuten, mal durch „Lüftungsbeauftragte“ unter den Schülerinnen und Schülern, mal durch spontane Zuweisung, im Zweifelsfall durch die Lehrer. Der Grund: Das Coronavirus soll sich so schlechter verbreiten können. Natürlich lüfte man, sagt Bernd Figgen, der stellvertretende Schulleiter. „Es gibt die Vorschrift – und daran halten wir uns.“ Ob er selbst auch glaubt, dass das regelmäßige Lüften während des Unterrichts weiter sinnvoll ist? Seine Meinung spiele da keine Rolle, sagt Figgen: „Die Vorgabe des Landes beruht ja auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Und die zählen.“

Doch gerade diese wissenschaftliche Empfehlung will einer hinterfragt wissen: Dr. Peter Liese, einflussreicher CDU-Gesundheitspolitiker aus Meschede, Mitglied des Europaparlaments und selbst Arzt. Liese galt in der Corona-Pandemie lange als Mahner, trat für strenge Regeln ein, der Spiegel nannte ihn gar „Karl Lauterbach von Brüssel“.

Der Europaabgeordnet Peter Liese aus Meschede fordert ein Ende des Dauerlüftens in Schulen.
Der Europaabgeordnet Peter Liese aus Meschede fordert ein Ende des Dauerlüftens in Schulen. © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen

Doch vor gut drei Wochen hatte Liese gegenüber der WESTFALENPOST einen Vorstoß gewagt und weitere entscheidende Lockerungen der Corona-Maßnahmen gefordert. Es ging ihm insbesondere um eine weit weniger strenge Quarantänepflicht und um ein Ende des Dauerlüftens in den Schulen.

Vizepräsidenten des Robert-Koch-Instituts angeschrieben

Und zu letzterem Thema hat Liese nun Lars Schaade, den Vizepräsidenten des Robert-Koch-Instituts (RKI), angeschrieben. Das Ziel: Das RKI solle seine Empfehlung zum Lüften in Schulen überarbeiten. Denn: Es gibt zwar keine direkte Anweisung des NRW-Schulministeriums, alle 15 Minuten während des Unterrichts zu lüften. Doch die Handreichung für die Schulen, die besagt, dass die „regelmäßige gute Durchlüftung“ der Klassenräume „von großer Bedeutung sei“, basiert auf eben jener RKI-Empfehlung.

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Und diese stellt CDU-Mann Peter Liese nun infrage: „Die Empfehlungen, alle 15 Minuten zu lüften, passt nicht in die Zeit. Ich möchte dringend an Sie appellieren, die Empfehlung anzupassen“, heißt es in dem Schreiben, auf das es bislang noch keine Reaktion gibt. Und weiter: „Aus meiner Sicht reicht es schlicht aus, wenn man in den Pausen jeweils kräftig lüftet. Ich glaube nicht, dass es irgendeine Evidenz dafür gibt, dass beim jetzigen Stand der Pandemie häufigeres Lüften signifikant zur Reduktion der Krankheitslast in der Allgemeinbevölkerung beiträgt.“

Der Unterricht werde durch das ständige Lüften gestört, weil immer wieder Lärm in die Klassenräume dringe. Zudem sei Energiesparen angesagt und das ständige Lüften führe zu zu kühlen Temperaturen. Unterm Strich schade das Lüften den Schülerinnen und Schülern mehr als dass es nutze, weil es in dieser Altersgruppe so gut wie keine schweren Verläufe mit der Omikron-Variante gebe.

NRW-Schulministerium will von Lüftungs-Stopp nichts wissen

Mit dieser Position stößt Liese allerdings auf Widerstand. So äußert sich das NRW-Schulministerium, das von Lieses CDU-Parteifreundin Dorothee Feller geleitet wird, ablehnend: „Das regelmäßige Lüften der Klassen- und Kursräume bleibt unverzichtbar – und sollte auch im Winter selbstverständlich sein“, so ein Ministeriumssprecher. Das regelmäßige Lüften stehe auch nicht im Gegensatz zum Energiesparen. In Klassen solle es weiter eine Mindesttemperatur von 20 Grad geben. „Bei einer richtig durchgeführten Stoßlüftung sinkt die Temperatur im Raum nur kurzfristig um 2 bis 3 Grad“, so der Sprecher.

Harsche Kritik kommt auch vom Verband Erziehung und Bildung (VBE). Die Vize-Landesvorsitzende Anne Deimel sagt: „Schlimm genug, dass die Politik es nicht geschafft hat, die Klassenräume mit Luftfilteranlagen auszustatten. Dass in dieser Situation Herr Dr. Peter Liese das Stoßlüften angesichts der Energiekrise auf die Pausen reduzieren will, ist erschreckend.“

GEW: Warum hat man nicht auf Luftfilter gesetzt?

Für Ayla Çelik, Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW NRW, wird mit dem Liese-Vorstoß ein generelles politisches Problem offenbar. NRW setze weiter auf das Lüften und die Eigenverantwortung der Schulen vor Ort. Das bringe die Lehrkräfte und Schulleitungen aber in eine stark belastende Abwägungsentscheidung: Schütze man Schüler und Lehrkräfte durch ständiges Lüften vor Corona-Folgen, auch wenn sich manche Schüler keine adäquate Winterkleidung leisten könnten? Oder lasse man die Fenster zu und hoffe auf das Beste? „Hätte man frühzeitig in der Pandemie in fest installierte Luftfilteranlagen investiert, wäre man nun nicht in der Situation“, so Celik.

Die Landeselternschaft der Grundschulen bewertet ein Dauerlüften ebenfalls kritisch. Sie sieht aber in einem flächendeckenden Einsatz von CO2-Messgeräten das Mittel der Wahl. Nur so könne tatsächlich festgestellt werden, ob genug frische Luft vorhanden sei, da die Klassenräume zu unterschiedlich seien. An dem Winterberger Gymnasium gibt es diese zumindest noch nicht in jedem Klassenraum.

>> HINTERGRUND: Inzidenz in Altersklasse der Schüler nicht höher

  • An der Aussagekraft der Sieben-Tage-Inzidenz (Zahl der Corona-Infektionen binnen einer Woche pro 100.000 Einwohner), die so lange unser Leben bestimmt hat, gibt es heute Zweifel. Viele Infektionen werden den Behörden wohl gar nicht mehr gemeldet. Aber dennoch kann man an den aktuellen Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) in der Grafik erkennen: Die Schulen scheinen aktuell kein Treiber der Pandemie zu sein. Die Inzidenz in der Gruppe der 5- bis 14-Jährigen liegt eher unter dem Durchschnitt.
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  • Dass die Fallzahlen wieder gestiegen sind, nachdem Peter Liese vor gut drei Wochen den Vorstoß zu weiteren Lockerungen unternommen hat, hat ihn nachdenklich gemacht. Er sagt, dass er noch mal in sich gegangen sei, dass er erneut mit Medizinern und weiteren Experten gesprochen habe. Im Ergebnis habe das aber nichts geändert: „Ich bleibe bei meiner Position.“