Hagen. Der renommierte Tanzkünstler Francesco Nappa wird Chefchoreograph in Hagen, nicht Ballettdirektor. Warum es dafür auch Kritik gibt.
Die Neubesetzung der Ballettleitung gehört ebenso zu den Zukunftsthemen des Theaters Hagen wie die Wiedergewinnung des Publikums nach der Corona-Pandemie. Mit dem Italiener Francesco Nappa wird ein international tätiger Tanzkünstler jetzt Chefchoreograph des Hauses. Nach Auskunft von Intendant Francis Hüsers soll Nappa in Hagen residieren und damit dem Ballett nach innen wie nach außen ein Gesicht geben. Hüsers: „Er wird in Hagen wohnen und beginnt bald mit den Proben zu Giselle.“
Neu ist, dass Nappa nur eine Produktion kreieren soll. Für den zweiten Tanzabend der Saison sollen Gastchoreographen verpflichtet werden. „Francesco Nappa wird die Sparte künstlerisch leiten, die organisatorische Leitung liegt wie bisher bei der Ballettmanagerin Waltraut Körver“, so Hüsers. Nach dem Wechsel von Ballettdirektorin Marguerite Donlon nach Osnabrück hat das Theater Hagen Gastchoreographen engagiert. „Das war ein guter Erfolg, dass wir die Compagnie mit verschiedenen Choreographen haben arbeiten lassen.“
Ballett-Karussell
Vom bisherigen Hagener Konzept des Ballettdirektors, wie es besonders erfolgreich durch Ricardo Fernando verkörpert wurde, möchte Hüsers sich verabschieden. „Es ist eigentlich ein Ballettdirektor minus eine Produktion. Deshalb war es mit wichtig, die Position als Chefchoreograph zu bezeichnen. Das bedeutet, dass es noch andere Choreographen am Haus gibt. In anderen Häusern wird mit Ballettdirektor der Manager bezeichnet.“
Seit der Intendanz Hüsers ab 2017/18 geht es an der Spitze des Balletts rund. Ballettdirektor Alfonso Palencia musste nach nur einer Spielzeit gehen, sein Vertrag wurde nicht verlängert; Palencia ist heute Ballettdirektor in Bremerhaven und hat gerade mit „Dornröschen“ die Herzen des Publikums im Sturm erobert. Als Assistent mit an Bord an der Küste: Bobby Briscoe, vorher einer der prägenden Tänzer in der Hagener Compagnie.
Kulturstiftung fördert Projekt in Siegen
Auch Marguerite Donlon hat als Hagener Ballettdirektorin nach nur einer Spielzeit trotz überragender Erfolge das Handtuch geworfen und ist nach Osnabrück gewechselt. Seither ist die Position des Ballettdirektors vakant und wird jetzt umgestaltet. Marguerite Donlon tanzt mit der Dance Compagnie des Theaters Osnabrück übrigens künftig auch im Apollo Theater Siegen zu neuen Ufern. Die Kulturstiftung des Bundes fördert das Projekt, das in sechs Intensivphasen dem Publikum ermöglicht, in die Welt des zeitgenössischen Tanzes einzutauchen, wobei Schulen und Nachwuchstänzer besonders einbezogen werden.
„Der Hagener Intendant spielt mit dem Ballett. Wir blicken mit großer Sorge auf die Entwicklung in Hagen“, kritisiert Adil Laraki als Landesverbandsvorsitzender der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger den Verzicht auf die Position des Ballettdirektors. „Es kommt nicht nur darauf an, wie gut jemand choreographiert. Die Tänzer brauchen einen dauerhaften Ansprechpartner vor Ort, der neben den künstlerischen Kompetenzen auch soziale Kompetenzen hat und strukturiert ist, nicht jemanden, der eine Produktion pro Spielzeit macht und sonst unterwegs ist. Und das Publikum braucht ein Gesicht. Tänzer arbeiten mit Höchstleistung und müssen immer viel liefern. Die Personalie ist nicht unsere Sorge, sondern die Struktur.“
Suche nach einer Industriehalle
Adil Laraki hält die Tanzsparten an vielen deutschen Theatern für gefährdet. Ein Problem sei, dass Intendanten, die nicht vom Fach kommen, Entscheidungen über Ballettdirektoren treffen könnten. Als Beispiel nennt er die Oper Bonn, wo die eigene Tanzsparte abgeschafft wurde, nachdem der Choreograph Hans Kresnik beim Publikum nicht ankam. „Ballett ist ein sehr spezielles Biotop im Theaterkosmos. Es ist eine Kunstgattung, die für sich steht. Man kann sie nicht als Anhängsel betrachten“, erläutert Adil Laraki, der Träger des Deutschen Tanzpreises ist. „Mir fehlt eine Linie für das Ballett als eigenständige Kunstgattung in Hagen.“
Gleichwohl hat Intendant Francis Hüsers in Hagen große Pläne mit dem Ballett. Die Crossover-Produktionen zwischen Oper und Tanz sollen fortgeführt werden. „Francesco Nappa ist sehr offen, spartenübergreifend zu arbeiten.“ Hüsers träumt von einer zusätzlichen Spielstätte in einer Industriebrache für Theaterprojekte, gerade mit dem Ballett. „Dann könnte man diese Produktionen parallel zur Ruhrtriennale aufs Programm setzen.“ Der Intendant sucht ein Kampnagel für Hagen, einen Spielort, der ein junges Publikum anspricht, das sich nicht für die Oper interessiert. „Das Ballett war schon im Museum, und ich kann mir gut vorstellen, kleinere Produktionen auch spartenübergreifend woanders zu machen.“