Dortmund. Heinz-August Happe (73) ist seit über 60 Jahren im Geschäft mit dem Kohle-Handel. Die Nachfrage ist verrückt, doch Happe wartet auf Nachschub.

Jede Menge Kohle? Die Zeiten sind vorbei. Im Ruhrgebiet – und seit ein paar Tagen auch bei Heinz-August Happe in Dortmund. Happe ist, wie sich noch herausstellen wird, eine Institution. Macht in Kohle, Heizöl und Containerverleih.

Die Sonne lacht an diesem Tag, ein bisschen heftig vielleicht. Happe steht gelassen auf dem Hof im Stadtteil Hörde im Schatten eines Heizöltransporters. Aufmunterndes Nicken für den Fremden, der auf ihn zusteuert, mehr oder weniger unangekündigt. Verabredung geht bei Happe so: „Komm‘ einfach vorbei. Ich bin immer da – außer ich bin weg. Vielleicht besser vorher anrufen.“

Nicht so einfach mit dem Anrufen. Bis zum Hörder Meister der Kohle und des Heizöls durchzukommen, ist derzeit ein Problem. „Aha, Zeitung. Der Chef telefoniert. Am besten später noch einmal versuchen“, sagt Happes Bürokraft bestimmend. Eine Viertelstunde später. Wieder die freundliche Frauenstimme: „Ja, so schnell geht das nicht. Der Chef nimmt sich schon Zeit für seine Kunden.“ Also einfach hinfahren. Happe ist ja immer da, und weg zu sein scheint er heute nicht, wenn er in einer Tour telefoniert.

Kohlenhändler aus Dortmund: Bedarf bis nach Xanten

Dieses Jahr ist verrückt, vor allem die vergangenen Wochen. Die Telefone stehen nicht still. Festnetz, Mobiltelefon, Festnetz – sie bimmeln in einer Tour, mal im Wechsel, mal zusammen. „Ich hab‘ jeden Tag 20 Anfragen von Kunden, die Kohle brauchen. Neulich rief eine Frau aus Xanten an.“ Pause. Erwartungsvoller Blick des 73-jährigen Happe. „Xanten. Das muss man sich mal überlegen.“ Stimmt, auf dem Weg zwischen der alten Römerstadt am Niederrhein und Hörde liegt was? Genau: die Kohleherzkammer, das Ruhrgebiet. Mit Städten wie Bottrop, wo Prosper Haniel, die letzte aktive Steinkohlenzeche im Pott, 2019 unter Tränen der Kumpels und mit Staatsbesuch vom Bundespräsidenten dicht gemacht wurde. Die Ära des Grubengolds war beendet.

Entlang der Emscher im nördlichen Ruhrgebiet sollte doch noch jede Menge Kohle auf Halde liegen. Aber die Tage rief sogar einer aus der „verbotenen Stadt“ (Happe) an. Gelsenkirchen. Auch leergefegt. Nur, aus Xanten bei ihm am anderen Ende des Ruhrpotts anzuklingeln – noch verrückter. So sind die Zeiten im Moment. Fast ein bisschen verzweifelt.

Preise für Kohle sind in die Höhe geschossen

Die Energiekrise treibt die Nachfrage nach dem beinahe vergessenen Brennstoff Kohle an. Wenn es hochkommt, werden noch 300.000 Wohnungen in Deutschland mit Kohle geheizt. Überschaubar. Ein Auslaufmodell, das sich viele zurück wünschen würden, wenigstens für den nächsten Winter.

Seit zwei, drei Jahren liegt der Brocken Anthrazit-Kohle auf der Mauer. Die beste Qualität, die Kunden bekommen können – nur jetzt gerade nicht. Der Markt ist leergefegt. Was metallisch schimmert, ist Erdgeschichte. „Das ist das, was vor Jahrmillionen hier im Boden war. Das kommt jetzt raus“, erklärt Heinz-August Happe.
Seit zwei, drei Jahren liegt der Brocken Anthrazit-Kohle auf der Mauer. Die beste Qualität, die Kunden bekommen können – nur jetzt gerade nicht. Der Markt ist leergefegt. Was metallisch schimmert, ist Erdgeschichte. „Das ist das, was vor Jahrmillionen hier im Boden war. Das kommt jetzt raus“, erklärt Heinz-August Happe. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann Funke Foto Services

Happe lächelt: „Die ersten jammern schon, was das für eine schöne Wärme war.“ Jammern nutzt aber nichts. Sein Hof ist eben leer. „Bis vor zwei Monaten habe ich noch Kohle aus Deutschland bekommen“, erzählt er ganz unaufgeregt und zeigt auf eine Mauer, auf der noch einige Stücke Kohle liegen. Verschiedene Sorten. Eierkohle. Briketts. Anthrazit – echtes schwarzes Gold. Die beste Qualität. „Guck mal. Siehste das?“, fragt Happe. Auswaschungen des dicken Brockens bahnen sich den Weg die Mauer hinab. Metallisch glänzend. „Das ist das, was vor Jahrmillionen hier im Boden war. Das kommt jetzt raus. Dass Kohle dreckig ist, ist Quatsch. Fass mal an.“ Natürlich hat Happe recht, ist ja keine billige Grillkohle aus dem Baumarkt, die hier einsam auf der Hörder Mauer liegt.

Die Preise sind in den vergangenen Wochen in die Höhe geschossen. 500 Euro pro Tonne kostete das Grubengold noch vor ein paar Monaten. Dann 650 Euro. „Jetzt verlangen welche 1500 Euro pro Tonne.“ Happe verzieht die Mundwinkel. Kunden über den Leisten ziehen schmeckt ihm nicht.

Die goldenen Zeitenfür Kohle waren in den 1950er Jahren

Seit 52 Jahren ist Heinz-August Happe Chef des Hörder Kohlenhandels, liefert normalerweise von Bochum bis Unna, nach Selm und in den Süden, nach Hagen, seit es dort keinen Kohlehändler mehr gibt. Die Hoch-Zeiten waren die 50er Jahre. „Da kamen die Kinder und haben die Kohle zum Heizen in 8,33 Kilosäcken abgeholt. Lange her.“ Happe spaziert über den Hof und zeigt, wo sonst tonnenweise Kohle lagerte. „Hier lagen früher immer 60, 80 Tonnen Eierkohle.“ Heute ist dort eine kleine, schattige Oase mit Teich, Terrasse, Tisch und Stühlen. Happe wohnt mit seiner Frau auf dem picobello sauberen Hof.

Kohlenhändler Heinz-August Happe hat noch jede Menge Säcke, aber nichts um sie zu füllen.
Kohlenhändler Heinz-August Happe hat noch jede Menge Säcke, aber nichts um sie zu füllen. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann Funke Foto Services

Der sportlich drahtige Kerl ist begeisterter Rennradfahrer, wie man hier und da an Ruhrpott-Reliquien an den Wänden der jetzt leeren Lagerhallen erkennt. Ein Stück Radrennbahn aus der Westfalenhalle vom Sechstagerennen haben ihm Kumpels als Erinnerung an alte Zeiten geschenkt. Ist ein Stehbierklapptisch draus geworden. Kurzes Philosophieren über Bier zu Zeiten, als Dortmund noch Europas Hauptstadt des Gerstensafts war. „Ich nehm‘ immer eine Grüne.“ Brinkhoffs. Auch der BVB ist Thema, natürlich. Vier Dauerkarten hat Happe. Hat ihm einmal ein Kunde geschenkt, der nicht mehr ins Stadion wollte. Eine andere Geschichte.

Spaziergang in die Wiegebude. Ein kleines Häuschen an der in den Boden eingelassenen Waage – die im Moment nichts zu wiegen hat. „Einen Kaffee?“ Gern. „Wie?“ Schwarz. Happe trinkt keinen. Dafür bimmeln wieder die Telefone. Der Geschäftsmann nimmt kurz ab. Hinter ihm eine Korkpinnwand voller Autogrammkarten von Sportgrößen. Boxerlegenden aus der Westfalenmetropole, die Eiskunstläuferin Marina Kielmann, der BVB-Präsident Reinhard Rauball und natürlich Kicker. Mario Götze ist dabei, Patrick Owomoyela und andere. „Alle Kunden von mir“, erzählt Happe zufrieden lächelnd. Nicht, dass die Stars ihre Villen mit Kohle beheizen würden. Die haben Container bestellt. Aber selbst wenn, müssten sie sich im Moment bei ihm genauso gedulden wie Tante Emmi.

Der Heizölpreis sinkt

„Ich bekomme Kohle aus England. Kommt mit dem Lkw. Wann genau, weiß ich nicht. Vielleicht in vier, fünf Wochen. Ist ja alles schwierig mit England.“ Heizöl läuft dagegen gerade wie geschnitten Brot. Happes Schwiegersohn rollt mit einem der Tankwagen auf den Hof, springt zu uns in die Wiegebude. „Wohin jetzt?“ Der Seniorchef reicht ihm einen Zettel. Kaum eine Minute später ist kurz wieder Ruhe – bis das Telefon klingelt. Wieder ein Kunde, der Kohle braucht? „Nee, der Vorlieferant. Der Ölpreis geht zurück.“

Wer statt Gas mit Öl heizt, ist gerade besser dran. Aber wie die Kohle ist auch Heizöl ein endliches Geschäftsmodell. „Ich verliere jeden Tag Kunden beim Öl.“ Bald sind auch diese Zeiten wohl vorbei und die Wiegebude auf dem Hof in Hörde endgültig Geschichte. Happe nickt – gelassen.