Lennestadt. So präzise wie ein Raketenstart: Warum Pyrotechniker Stephan Kieper in Elspe nicht trödeln darf.

Wenn es knallt in Elspe, kann Stephan Kieper nicht weit weg sein. Saloons und Indianertipis explodieren auf seine Handbewegung hin; der Mann lässt Speere zerbrechen, Felsen in die Luft fliegen und Wasserfälle aus dem Nichts hervorsprudeln. Stephan Kieper ist Chef der Pyrotechnik bei den Karl-May-Festspielen. Was für das Publikum aussieht wie spannende spontane Aktion, ist tatsächlich das Resultat sorgfältiger Berechnungen und eines Timings, das so präzise läuft wie ein Raketenstart: ein Blick in das tickende Herz von Elspe.

Das Elspe-Festival im Sauerland ist berühmt für die gewaltigen Finale seiner Stücke, und das Publikum wartet immer gespannt darauf, was wohl diesmal passiert. Beim „Schatz im Silbersee“ jagen 70.000 Liter Wasser den Berg hinunter in ein Becken unterhalb der Bühne, das 340.000 Liter fasst und werden dann rundgepumpt. Gleichzeitig explodiert der ganze Felsen. „Eine Schlussszene wie diese hat es in Elspe noch nie gegeben“, schildert Kieper. „Fünf Minuten dauert allein der Angriff der Indianer auf die Banditen mit den dazugehörigen Schießereien und Detonationen, und dann fliegen auch noch die Steine in die Luft.“ In Wahrheit gibt es sogar zwei Eruptionen. „Die erste ist mit Feuer. Dabei geht es darum, dass der Bösewicht Brinkley alias Sebastian Kolb verschwinden kann. Anschließend explodiert dann der ganze Felsen. Dabei muss ich mit Staub und Trümmerteilen arbeiten.“

Sieben große Spezialeffekte

Insgesamt lernen beim „Schatz im Silbersee“ 35 Einzelgegenstände das Fliegen, aufgeteilt auf sieben Effekte. „Mit Schwarzpulver Explosionen darzustellen, das ist relativ einfach. In diesem Jahr mache ich das anders. Ich mache, dass Dreck durch die Luft fliegt, Staub. Dafür brauche ich weniger Material, aber es ist arbeitsaufwendig und zeitintensiv. Was der Zuschauer als große Explosion sieht, sind in Wahrheit viele kleine Explosionen, die hintereinander gezündet werden. Das ist wie beim Zaubern. Das Publikum blickt gebannt auf die rechte Hand des Magiers und sieht nicht, was der mit links macht.“

Im Theater Hagen stand Stephan Kieper das erste Mal auf einer Bühne, als Statist in der Oper „Zar und Zimmermann“. Da war er 14 oder 15 Jahre alt. Der 53-jährige Pyrotechniker kommt aus Hohenlimburg, war Fallschirmjäger bei der Bundeswehr in Iserlohn und ist durch Glück und Zufall 1993 nach Elspe geraten, zunächst als Stuntman, seit 2000 als Chef der Pyrotechnik. Auch privat hat sich der Wechsel auf die Naturbühne gelohnt, Kieper hat bei der Arbeit seine große Liebe gefunden. 1994 war die Akrobatin Song Liu vom Chinesischen Nationalzirkus für eine Saison in Elspe engagiert. Heute führt Song Kieper-Liu in Lennestadt ein Fitnessstudio und steht in manchen Jahren auf der Bühne. „Ich bin der einzige Pyrotechniker, der seine eigene Frau in die Luft jagen muss.“

Strenge Anforderungen

Pyrotechnik ist kein Ausbildungsberuf, doch die Zugangsvoraussetzungen sind streng. „Es gibt Lehrgänge, die man unter gewissen Voraussetzungen besuchen darf. Man wird erst Bühnen-Pyrotechniker. Hat man das bestanden, darf man den Lehrgang für Spezialeffekte meistern. Alle fünf Jahre muss ich meine Lizenz verlängern lassen, dafür muss ich jeweils bei der Bezirksregierung eine Unbedenklichkeitsbescheinigung beantragen.“

Film und TV überbieten sich mit Spezialeffekten. Die können digital erzeugt sein oder mit so vielen Wiederholungen gedreht werden, bis die Szene sitzt. In Elspe ist alles live. Dadurch wird jede Vorstellung auch zum Wettlauf mit der Zeit. „Der Countdown beginnt, wenn die Mitarbeiter morgens anfangen zu arbeiten. Jeder kennt seinen Ablauf. Wir arbeiten als gesamtes Team in einer Zeitschiene auf die Effekte zu. Der Zuschauer weiß ja nicht, was als nächstes kommt. Aber wir arbeiten wie bei einem Raketenstart auf diesen Punkt hin, wo gewisse Dinge passieren müssen. Da ist nichts dem Zufall überlassen.“

Sicherheit geht vor

Sicherheit geht vor allem anderen. Stephan Kieper überwacht jede einzelne Explosion persönlich. Steht ein Mensch oder ein Tier nicht am vorgeschriebenen Platz, dann zündet er den Effekt nicht. Beim großen Finale befindet sich Stephan Kieper für das Publikum unsichtbar oben auf dem Felsen und hat die ganze Szenerie im Blick. Sebastian Kolb als Bösewicht hält oben das Mädchen Ellen fest und wird von Winnetou niedergeschlagen. „Ich sitze direkt neben Sebastian, wir könnten uns die Hand schütteln. Ich muss sicherstellen, dass Winnetou und Ellen den ersten Sicherheitspunkt erreicht haben und Sebastian aufsteht und auf seinem Sicherheitspunkt steht.“

Dann löst Kieper die Wasserpumpe aus, die exakt sechs Sekunden läuft. In diesen sechs Sekunden kann Sebastian Kolb verschwinden und Winnetou mit Ellen einen zweiten Sicherheitspunkt erreichen. „Das muss ich kontrollieren. Erst dann kann ich die zweite Explosion zünden. Anderthalb Minuten später habe ich auf der Bühne wieder einen Auftritt als Ladenbesitzer.“ Das alles funktioniert ohne Netz und doppelten Boden. „Da müssen alle immer alles richtig machen. Alle müssen immer auf den Punkt genau reagieren.“

Der Speer in der Luft

Die Indianerzelte brennen, der Saloon geht in Flammen auf. Aber das ist gar nicht die große Herausforderung beim „Schatz im Silbersee“. Die besteht vielmehr in einer filigranen kleinen Szene, die viele Zuschauer vielleicht übersehen. Old Shatterhand schießt einen von Häuptling Großer Wolf in die Luft geworfenen Speer in zwei Teile. Die Soll-Bruchstelle löst Kieper über Funk aus. Dabei kann viel schief gehen: „Wenn Old Shatterhand im falschen Moment schießt, zum Beispiel während Großer Wolf den Speer noch in der Hand hält, oder wenn der Speer noch nicht weit genug geflogen ist, zünde ich nicht.“ Allerdings hat die hakelige Stelle bisher immer gut geklappt. „Weil wir so ein gutes Team sind, schießt der nicht zu früh.“ Geschossen wird übrigens ausschließlich mit Platzpatronen, die Waffen sind immer unter Verschluss, außer, wenn sie auf der Bühne zum Einsatz kommen. Es gibt keine Möglichkeit, sie scharf zu laden.

Ein gutes Team

Gute Pyrotechniker sind ausgesprochen gefragt. Die Glitzerwelt von Film und Fernsehen würde sich um Stephan Kieper reißen. Aber auf dem Set herumstehen und warten, bis die eigene Szene endlich dran ist? Und dafür auch noch das Sauerland verlassen? Daran hat Stephan Kieper kein Interesse. „Wir sind in Elspe ein Team. Alle arbeiten Hand in Hand, um den Zuschauern ein tolles Stück zu bieten. Hier ist es sehr stressig, aber es ist genau das, was ich gerne mache und brauche. In Elspe ist alles spannend.“