Hagen. Camping im Sauerland statt All-Inclusive-Urlaub im Süden – das war früher für viele keine Option. Doch dann kamen Corona und das Flugchaos.
Bis zum Einbruch der Dunkelheit war der Löschhubschrauber zu hören, auch jetzt dreht er wieder stundenlang seine Runden. Zusammen mit den aus einem nahe gelegenen Waldgebiet aufsteigenden Rauchschwaden stört er das Urlaubsidyll, das schon vor dem Waldbrand im Hintergrund nichts mit All-Inclusive-Komfort zu tun hatte.
Auf dem Campingkocher stehen Nudeln, Geschirr spült jeder selber. Es gibt kein Servicepersonal, kein exotisches Essen, kein eigenes Badezimmer, auch keinen Pool oder Spa-Bereich. Der Strand kommt ohne Sand aus, ist stattdessen mit Steinen übersät. Abgesehen vom Kontakt zu einigen Holländern, ein paar Kölnern und einem Schwaben (zu dem später mehr) hält sich auch der interkulturelle Austausch stark in Grenzen. Vieles also sprach dagegen, dass Justine Heppner mal auf einem Zeltplatz im Sauerland landet. Und doch ist es passiert. „Wir sind“, sagt die 37-Jährige, „sehr glücklich hier.“
Von der Hotelurlauberin zum Camping-Fan
Hier, das ist am Sorpesee, auf dem Familien-Campingplatz, der seit einigen Jahren boomt, wie Martin Levermann berichtet, der Chef der Sorpesee-GmbH. Früher zog es viele in den Ferien in die Ferne. Seit Corona hat sich nicht alles, aber einiges verändert. Justine Heppner ist dafür ein gutes Beispiel.
„Ich war früher überhaupt kein Camping-Typ, sondern immer eine Hotelurlauberin. Schön bedient werden, all inclusive“, sagt die 37-Jährige. Dann kam erst die Pandemie, brachte Lockdowns, Reisebeschränkungen und Unsicherheit. Es folgten Flugausfälle, lange Wartezeiten am Airport und die Inflation. Ein Blumenstrauß an Argumenten für den Urlaub in der Heimat, der nach und nach anzieht. „Wir sind froh, in der Nähe von Zuhause zu sein“, sagt Heppner, die mit ihrer Tochter Lenia (12) im dritten Jahr am Sorpesee Station macht, diesmal für zwölf Nächte.
Glamouröses Camping wird zum „Glamping“
Die beiden kommen aus Werl, sind in 35 Minuten zu Hause. Am Sorpesee haben sie eine Jurte gemietet. Das ist Zelten plus, „Glamping“ genannt, glamouröses Camping. In der Jurte, die vom Campingplatz-Betreiber gemietet wird und fest auf der Anlage installiert ist, kann man aufrecht stehen, es auch bei Regen aushalten. Geschlafen wird nicht auf einer Luftmatratze, sondern auf einem Bett mit Lattenrost. Strom, Licht und Kühlschrank runden das Paket ab. Gekocht wird auf einer Ceranplatte, die Heppner mitgebracht hat. Die alleinerziehende Mutter schwärmt von der lockeren, entspannten Atmosphäre und dem guten Miteinander auf dem Familien-Campingplatz, der vor allem von Dauercampern bevölkert wird. „Man hat hier so eine Gemeinschaft. Jeder guckt nach jedem, man kann die Kinder laufen lassen“, sagt sie und bekennt: „Wir haben schon darüber nachgedacht, hier einen Stellplatz zu nehmen.“
Dafür braucht es allerdings nicht nur etwas Geld, sondern auch Glück und gutes Timing. Neben 75 Zeltplätzen gibt es circa 250 Dauerstellplätze auf dem Familien-Campingplatz . Derzeit seien alle festen Plätze belegt, sagt Levermann. War Dauercamping vor einigen Jahren noch was für Ältere und „auf dem absteigenden Ast“, wie der Chef der Sorpesee-GmbH formuliert, sei die Nachfrage inzwischen stark gestiegen, auch unter Jüngeren. Heißt oft aber auch: Nur wenn ein alteingesessener Dauercamper seinen Platz räumt, wird was frei. Dann braucht es gute Beziehungen. Und man muss schnell sein. Wie beispielsweise Luise und Robin Römers.
Kein Warten am Flughafen, kurze Wege ins Glück, viel Freiheit für die Kinder
Die beiden entsprechen nicht dem Klischee des Dauercampers. Er ist 29, sie 30, sie kommen aus Plettenberg, pendeln immer mal wieder zu ihrer neuen Bleibe am Sorpesee. Von alleine wären sie wohl nicht auf die Idee gekommen, sich dort einen festen Stellplatz zuzulegen. Aber seine Mutter, erzählt Robin Römers, sei schon seit Jahren vor Ort. Als ein Nachbar seinen Dauerstellplatz abgeben wollte, gab sie ihrem Sohn den Tipp. Nun ist er mit seiner Frau, zwei kleinen Kindern und Hund der Neue unter den Alteingesessenen. „Von hier auf jetzt, das war ein spontaner Kauf“, sagt er und findet: „Wir haben uns hier eine schöne Alternative geschaffen.“
Anders als bei Justine Heppner nennen die Römers Corona nicht als den ausschlaggebenden Faktor für ihre Entscheidung pro Camping. Gemein ist allen aber die Aufzählung der Vorteile: die kurzen Wege, die Freiheit, gerade für die Kinder, denen sich in der Natur viele Freizeitmöglichkeiten bieten, zudem keine Sorgen über eine (Corona-)Erkrankung im Ausland und mögliche Komplikationen bei einem Tripp in die Ferne. Und: kein Warten am Flughafen, was insbesondere mit Kindern anstrengend sein kann. „Was sind wir froh“, entfährt es Justine Heppner, als sie auf die Meldungen über das Chaos an den Flughäfen insbesondere zu Ferienbeginn angesprochen wird.
Gartenzwerge, Expertenrunde – manches Dauercamper-Klischee wird erfüllt
Zwischen dem Zeltplatz der 37-Jährigen und dem Wohnwagen der Römers liegt das Campingplatz-Restaurant, der gesellschaftliche Mittelpunkt der Anlage. Der Weg dorthin führt vorbei am Sanitärhaus – und an einer Kolonie Gartenzwerge. Das eine oder andere Klischee über (Dauer-)Camper wird dann doch erfüllt. Im Eingangsbereich des Restaurants tagen zur Mittagszeit die erfahrenen Experten. Gas, Wetter, Waldbrand, Ukraine, das sind die Themen. Und noch einige mehr. Wer Ratschläge sucht, kann hier fündig werden. Man kennt sich, zum Teil seit Jahren oder gar Jahrzehnten. Zum Inventar gehört beispielsweise Til Stracke, den man vormittags in der Nähe des Restaurants beim Spülen trifft. Er – lange weiß-graue Haare, schwarzes T-Shirt, dazu Rockersonnebrille – gehört schon lange dazu. Und doch ist er eine „seltene Spezies“, wie er anmerkt.
Stracke kommt aus dem Raum Stuttgart und bezeichnet sich als „einzigen schwäbischen Dauercamper am Sorpesee – und vielleicht im ganzen Sauerland“. Seit über 30 Jahren kommt er an den Sorpesee. In den ersten 15 Jahren habe er mit Frau und den drei Kindern noch gezeltet. Heute empfängt der freundliche und gesprächige 67-Jährige standesgemäß auf seinem festen Stellplatz mit Wohnwagen und geräumigem Vorbau. Auch er spricht von Glamping. Bald soll eine Küchenzeile seinen Camper-Vorbau vollenden. WLAN gibt es übrigens auf der ganzen Anlage. Kaltes Bier sowieso. Hier werde schon mal „gebechert“, erzählt Stracke. Auch er berichtet von der großen Freiheit, der entspannten Atmosphäre und dem meist guten Miteinander, auch wenn er mit dem Sauerländer Trinkverhalten nicht jeden Tag mithalten könne und schon mal Pausen brauche...
„Hier ist es schöner als auf Mallorca“
Die nimmt sich der Schwabe, zum Beispiel mit seinem Kanu. In jüngeren Jahren ging er dieser Leidenschaft wohl auch in fließenden Gewässern nach, heute aber darf es etwas ruhiger zugehen. „Stehendes Gewässer“, sagt Stracke, „ist altersgemäß.“ Wenn es bei ihm nicht ums Camping oder Kanufahren geht, dreht sich vieles um Musik. Er war in der Branche tätig, sagt er. Seine Tochter ist es noch, weshalb er auch ein T-Shirt ihrer Band trägt („Die grüne Welle“).
Auf seinem Wohnwagenvorbau ist prominent ein Plakat der verstorbenen Rock-Ikone Lemmy Kilmister platziert, der mit Strackes Style vermutlich sehr zufrieden wäre. Drinnen grüßt Bob Marley, passend zur jamaikanischen Reggae-Legende hat Stracke seinen Camper-Vorbau und eine Tischgarnitur in schwarz-gelb-grün gehalten. Und von der Terrasse wandert der Blick über den Sorpesee.
Bis zum Wasser sind’s von seinem Stellplatz nur gut 15 Meter. Etwas weiter ist es bis zu den Sanitäranlagen. Früher waren die ja oft ein heikles Thema rund ums Camping. Am Sorpesee sind sie modern und gepflegt, also „gar nicht so schlimm, wie ich früher gedacht habe“, sagt Justine Heppner.
Auch das trägt dazu bei, dass ihre Tochter Lenia über den Urlaub vor der Haustür sagt: „Hier ist es schöner als auf Mallorca.“