Herdecke. Halbstarke, Aufmüpfige und Konfliktpotenzial: Auf dem Ruhrtalradweg treffen viele Menschen aufeinander. Unterwegs mit der Fahrradstreife.
Das Funkgerät trägt Guido Wernien links am Revers, rechts die Body Cam, die er jederzeit einschalten kann. Darunter: eine schusssichere Weste, am Gürtel die Dienstwaffe und das Pfefferspray. Einsatzort: Ruhrtalradweg. Denn Fahrrad- und Spaziergehwege sind kein rechtsfreier Raum – auch wenn es einem manchmal anders vorkommt. Die Saison beginnt gerade wieder. Unterwegs in Herdecke mit der Fahrrad-Polizei.
„An Wochenenden ist es hier so voll, da fahren die hier quer durcheinander. Dann geht das Gemeckere los“, sagt Wernien, 54 Jahre alt, freundliches Gesicht, Polizeibeamter im Bezirksdienst, Direktion Gefahrenabwehr. „Der Betrieb hier hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Natürlich kommt es da zu Konflikten, der Raum ist begrenzt.“ Und Regeln gibt es zur Sicherheit aller auch – und genug Menschen, die sie brechen.
Unfallschwerpunkt: Ein Unfall pro Monat an der Brücke in 2020 und 2021
Die Wehrbrücke am Hengsteysee ist berüchtigt. Alte Schienen verlaufen auf ihr, in die man prächtig mit dem Vorderrad hineingeraten kann. Wernien hat dort Stellung bezogen, gut sichtbar, er ist ja nicht hinterlistig. „Endlich kontrolliert mal einer“, sagt ein älterer Herr mit E-Bike. „Was hier immer los ist.“ Wernien lässt sich den Ärger über die Bemerkung nicht anmerken. Er ist ja, sagt er, regelmäßig vor Ort.
Ein Unfallschwerpunkt sei das hier, sagt Wernien. Die Statistik zählt im Schnitt einen schweren Unfall pro Monat in den vergangenen beiden Jahren. Schilder weisen darauf hin, dass Radfahrer abzusteigen haben. Tun halt nur viele nicht.
Nicht abgestiegen? Nicht immer gleich 15 Euro aufrufen
„Schöne Aussicht, ne?“, ruft der Beamte einer Dame zu, die schnell noch absteigt und jetzt aus Unsicherheit und Scham hinaus auf den See blickt. Wernien lächelt, die Dame dann auch. Keine Strafe. So macht er das am liebsten. Freundlich, aber bestimmt. Erklärend, aber nicht belehrend. „Eine mündliche Ermahnung ist aus verkehrserzieherischer Sicht manchmal besser als direkt 15 Euro Strafe aufzuschreiben.“ Alles andere würde vermutlich als Schikane empfunden.
Gibt sie ja eh, die notorischen Nörgler und Besserwisser: Ein Radfahrer echauffierte sich, dass die Polizei gar nicht das Recht habe, zu kontrollieren, weil die Brücke in Privatbesitz sei. Teil zwei stimmt, Teil eins nicht. Wernien schüttelt den Kopf, als er an die Episode zurückdenkt.
Plötzlich rauscht ein älterer Herr an Wernien vorbei, der zwar langsamer wird, aber nicht absteigt. Der Beamte ruft hinter ihm her. Keine Reaktion. Das ist ihm zu dreist. „Halt. Stopp. Polizei!“ Wernien nimmt die Verfolgung auf, stellt den Mann auf der Brücke. Statt Helm trägt der eine Mütze mit Flammen drauf. Ja, hat denn der die Kappe am brennen? Er weiß, dass man absteigen muss, hielt es aber nicht für nötig. Kostet 15 Euro. Wernien nimmt die Personalien auf.
Wenn ältere Radfahrer mit ihren Pedelecs zur Gefahr werden
Was sagt der Übeltäter? „Der Beamte hat recht. Aber ich schwöre, dass ich ihn nicht gesehen habe.“ Und dann erzählt der Mann vom Alltag auf den Wegen, von gedankenlosen Fußgängern und E-Bike-Eskalationen. Denn die Pedelecs sind recht neu im Fun-Fitness-Freizeit-Vollkontakt. Und manchmal schlecht vom Halter erprobt.
+++ Unfälle mit E-Bikes: Immer mehr Fahrer verletzen sich schwer +++
„Viele kaufen sich E-Bikes, mit denen sie gar nicht klarkommen“, sagt Guido Wernien. „Gerade gestern erst hatte ich so jemanden vor mir stehen, der sagte: Ich weiß gar nicht, was ich machen muss.“ Ältere Damen und Herren seien das meist. Ausrichten kann der Beamte in solchen Fällen aber nicht viel. „Ich würde verpflichtende Trainings mit diesen Fahrrädern begrüßen.“
Dorfsheriff? Nein!
23 Jahre lang war Wernien im Wachdienst: Schwelm und Ennepetal sowie Wetter. Seit sechs Jahren macht er den Job des Bezirksbeamten. Als die Stelle frei wurde, hat er sich sofort darum bemüht. „Früher war das vielleicht mal so, dass gerade ältere Beamte in den Bezirksdienst wechselten. Dorfsheriff wurden die nicht selten genannt. Aber die Bezeichnung wird der Tätigkeit nicht gerecht. Wir sind normale Polizeibeamte“, sagt Wernien. Allein ist er unterwegs, nie wissend, was auf ihn zukommt. Immer da und ansprechbar für alle. Das, sagt er, fänden die Leute so gut.
Von der Brücke geht’s am Wasser entlang. Wernien grüßt. „Mahlzeit“, „Hallo“, „guten Tag“. „Achtung, Fahrradweg“, lässt er eine Fußgängerin wissen. Wenn er kleine Kinder auf dem Fahrrad sieht, dann schenkt er ihnen ein neongelbes Armband. Ruhiger Tag heute.
„Achtung, Lebensgefahr“
Die Jünglinge mit dem Bier am langen Arm fragt er, das wievielte das schon ist. Mit dem einen oder anderen Halbstarken, dessen Vater angeblich Anwalt ist, hat er sich schon anlegen müssen. Wer betrunken radelt oder am Ufer raucht, was man nicht rauchen darf, muss mit Kontrolle und Strafe rechnen.
Fahrt Richtung Wetter, wo ein Teilstück wegen Steinschlags gesperrt ist. „Lebensgefahr“ steht auf dem Schild. „Sagen Se ma“, dröhnt ein rotbärtiger Radfahrer: „Wann passiert hier mal was?“ Er habe jetzt die Ausweichroute an der Straße entlang genommen, dabei sei er aber deutlich häufiger in Lebensgefahr gewesen. Wernien weiß nicht, wann die Sperrung aufgehoben wird. Er weiß aber, dass es hilft, Verständnis für den Mann zu haben. Der beruhigt sich wieder – und fährt weiter. Ein bisschen zufriedener, als er vorher war.