Hagen/Sauerland. In Südwestfalen kommt es immer häufiger zu Pedelec-Unfällen mit Schwerverletzten. Das liegt auch an dem E-Bike-Boom.

In einer Rechtskurve hatte er die Kontrolle über sein E-Bike verloren. Der 55-Jährige prallte in Wilnsdorf gegen eine Hauswand und wurde bei dem Sturz schwer verletzt. Genauso wie eine 43-jährige Winterbergerin, die nach ihrem Unfall mit einem Pedelec vor wenigen Tagen mit einem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus gebracht werden musste. Sie war mit dem Rad in einer Senke hängen geblieben und gestürzt.

Die Polizeimeldungen über Unfälle mit E-Bike- und Pedelec-Fahrern häufen sich. Und wie aus den Statistiken der Kreispolizeibehörden in Südwestfalen hervorgeht, nimmt im Vergleich zu Unfällen mit „normalen“ Fahrrädern auch die Schwere der Verletzungen zu.

So ist die Entwicklung

In Nordrhein-Westfalen (NRW) starben vergangenes Jahr 23 Menschen bei Unfällen mit Pedelecs, 20 waren es ein Jahr zuvor. Seit Januar wurden im Hochsauerlandkreis 55 Menschen bei einem Unfall mit einem Pedelec verletzt, mehr als noch 2018, wie die Polizei bestätigt. Ähnliche Tendenz im Märkischen Kreis: Gab es 2019 bis Ende Juni noch 15 E-Bike-Unfälle, waren es in diesem Jahr bereits 24.

Woran das liegt, „ist schwierig abzuschätzen“, sagt Sebastian Held als Pressesprecher der Polizei im Hochsauerlandkreis. „Womöglich geht die gestiegene Zahl der Unfälle darauf zurück, dass es inzwischen viel mehr Pedelec-Fahrer auf den Straßen gibt. Denn wo mehr gefahren wird, da passieren auch mehr Unfälle. Die höhere Geschwindigkeit im Vergleich zu normalen Fahrrädern wird aber auch eine Rolle spielen – zumindest, was die Unfallfolgen angeht.“ Denn die gängigen Pedelecs unterstützen den Fahrer bis zu einem Tempo von 25 km/h, in Kombination mit dem eigenen Tritt sind schnell höhere Geschwindigkeiten erreicht.

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Eindeutig ist: Die Zahl der Schwerverletzten hat sich in NRW drastisch erhöht. 2018 wurden 557 Menschen bei Pedelec-Unfällen schwer verletzt, im Jahr davor waren es nur 346. Die Zahl der Leichtverletzten ist ebenfalls gestiegen: von 1024 auf 1538. Zahlen aus 2019 konnte das Innenministerium bislang nicht vorlegen. Auch in der Region zeichnet sich der Trend ab: Im Kreis Siegen-Wittgenstein ist die Zahl der Unfälle mit Pedelecs im Jahr 2019 von 19 auf 27 gestiegen, 25 Menschen wurden verletzt, 2018 waren es 17. Einer ist bei einem Alleinunfall tödlich verunglückt. Lediglich im Ennepe-Ruhr-Kreis gab es 2019 weniger verunglückte Fahrrad- und Pedelec-Fahrer als 2018. Insgesamt stieg die Zahl über die vergangenen Jahre aber auch dort.

Das sagt die Polizei

In den meisten Fällen handelt es sich um Alleinunfälle, weil die Fahrer die Kontrolle über ihr Pedelec verlieren, so die Polizei. Ein Pedelec „birgt Gefahren“, sagt Meik Scholze von der Polizei Siegen. „Das ist nicht wie ein normales Fahrrad. Viele sind in den Kurven zu schnell, schätzen das falsch ein.“ Aber die Fahrt mit dem E-Bike sei grundsätzlich nicht gefährlicher als die mit dem Fahrrad. Das Plus bei den Unfällen sei vor allem auf die steigende Zahl an Fahrern zurückzuführen, sind sich die Polizeistellen einig.

Das sagen die E-Bike-Fahrer

Rolf Hinkel und Conny Renck legen eine kurze Getränkepause ein. Sie sind mit ihren E-Bikes auf dem Ruhrtal-Radweg am Hengsteysee in Hagen unterwegs. Wo sich Radfahrer und Spaziergänger sonst auf dem schmalen Weg drängeln, sind an diesem heißen Nachmittag nur wenige unterwegs. „Sonst sieht man seit Corona eigentlich nur noch Räder“, erzählen die beiden. Seit knapp zwölf Jahren fahren sie intensiv Rad, seit zwei Jahren nutzen sie E-Bikes für ihre Touren: „Für uns war das ok, wir sind geübt – Neulinge unterschätzen das aber oft.“

Rolf Hinkel und Conny Renck  am Hengsteysee in Hagen: Die beiden sind geübte Radfahrer.
Rolf Hinkel und Conny Renck am Hengsteysee in Hagen: Die beiden sind geübte Radfahrer. © Westfalenpost | Dana Mester

Gefährlich sei das vor allem im Straßenverkehr, sagt Stefan Isken. Der 46-Jährige trampelt heute ohne Unterstützung. Um bald auch E-Bike zu fahren, habe er bereits geübt, denn „das ist schon etwas anderes, wenn das Ding so nach vorne schießt“.

Eine Gefahr durch und für Pedelec-Fahrer im Stadtverkehr sieht auch diese Gruppe: Seit zehn Jahren treffen sich die Freunde aus dem Hagener Raum für Radtouren, „90 Prozent von uns sind auf E-Bikes unterwegs“, erzählen sie. „Das ist einfach eine große Erleichterung, vor allem im Alter – allerdings nur für geübte Radfahrer.“ Viele führen zu schnell, überschätzten sich und beherrschten das Gerät nicht. „Man muss das unbedingt üben.“

Das sagt der Fahrrad-Experte

E-Bikes oder Pedelecs sind gefragt. Doch der Umgang mit ihnen sollte geübt sein, weiß Stephan Behrendt als Fachreferent für Technik und Verbraucher beim Landesverband des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs in NRW (ADFC). Häufig seien es ältere Menschen oder jene, die seit vielen Jahren kein Fahrrad mehr gefahren sind, die ein Pedelec kaufen. Das Problem laut Behrendt: „Ihnen fehlt die Erfahrung. Pedelecs sind nicht viel anders als ein Fahrrad, aber sie sind schneller und etwas schwerer zu handhaben.“

Zwar werden über den ADFC vor allem für Senioren Übungskurse angeboten „viele machen bei sowas aber nicht mit, die wollen das nicht“, sagt Behrendt. Ratsam sei es allerdings: „Man sieht häufig, dass einige nicht ergonomisch auf den Rädern sitzen, was die Fahreigenschaft nicht verbessert. Das Bremsen und Anfahren sollte man unbedingt üben“, um in möglichen Gefahrensituationen mehr Sicherheit zu haben. „Ein Tipp: Anfangs den Motor auslassen und das Fahren mit dem Pedelec auf einer ruhigen Straße üben. Und wer ein Pedelec kaufen will, sollte sich beraten lassen – viele Händler sagen, dass das einige Leute nicht tun und am Ende Probleme haben, weil es gar nicht zu ihnen passt.“