Hagen. Die Sehnsucht nach einer Auszeit ergreift immer mehr junge Menschen: Warum Kneipp-Kuren auch die Generation X ansprechen.

Im Storchengang durch kaltes Wasser? Tobias Eisenhut ist 27 Jahre jung und findet das alles andere als altmodisch. „Kneippkuren“, sagt der Sauerländer von der Tourismus Brilon Olsberg GmbH, „ist modern wie nie zuvor.“ Tatsächlich haben Kneippkuren viele Gesundheitstrends wie den Hanf-Hype oder den Berøring (dänisch Berührung) überlebt. Kneippen ist zum Megatrend geworden. Und die Zielgruppe, die wird immer jünger.

Barfuß auf dem Olsberger Kneippwanderweg

Tobias Eisenhut schwärmt vom Briloner Kneippheilbad, das 2016 seine Tore öffnete – und natürlich von Olsberg, das bereits 1895 Kneippkuren anbot. Er kann Geschichten erzählen, zum Beispiel über Dr. August Grüne, dem gebürtigen Mescheder, der als Schüler von Pfarrer Sebastian Kneipp dessen Fünf-Säulen-Lehre ins Sauerland brachte. Vom Waldbaden bis Heilkräuterführungen – sowohl in Brilon als auch in Olsberg, sagt Eisenhut, fehle es Kneippgästen an nichts. 70 zusätzliche Veranstaltungen zu den allgemeinen Angeboten gebe es allein in Olsberg jedes Jahr. Der Kneippwanderweg in Olsberg mit seinen 39 Kilometern Länge, inklusive Barfußpfade, Bäche und zehn Gaststätten am Wegesrand, sei nicht nur bei Kneippfans legendär. Seit dem Jahr 2000 stiegen die Zahlen der Kneippgäste stark an.

Die kneippsche Lehre, so Eisenhut, schlage zurzeit alle anderen Gesundheitstrends. Dazu beigetragen habe auch die anhaltende Achtsamkeits-Welle.

Durststrecke in den 80er Jahren

Im Zeitalter der Digitalisierung, in Zeiten einer sich immer schneller drehenden Arbeitswelt, bieten Kneippkuren laut Eisenhut eine Auszeit vom Stress, ein Zurück zur Natur an. Danach sehne sich selbst eine Generation X.

„In den 70er und 80er Jahren gab es eine Durststrecke für die Kneippkurorte. Nicht nur im Sauerland, sondern in Deutschland“, berichtet Sabine Risse, Themenmanagerin Wandern und Gesundheit beim Sauerland-Tourismus. Seit den 90ern seien Kneippkuren wieder gefragt, so die 57-Jährige. Auch sie schreibt den Erfolg der Kneippkuren dem Marketing zu: „Man muss Kneipp heute anders verkaufen: Es geht ja um innere Balance, neudeutsch um Work-Life-Balance, das spricht eben jüngere Menschen an.“ Gesunde Ernährung, die Gedanken in der Natur schweifen lassen, all das sei gerade in Pandemie-Zeiten ein aktuelles Thema. Vorbildlich umgesetzt hätten es die Olsberger. „Die leben Kneipp.“

Wiederentdeckung der Heilkräuter

Kneipp, erklärt die 57-Jährige, sei ein Gefühl, „ein gutes Gefühl“, dass sich nach jedem Wassergang und nach jeder Massage wohlig ausbreite. Die Gäste lernten in Kräutergärten, dass jede Pflanze seinen Sinn und Zweck erfüllt. Junge Menschen gingen auf Wiederentdeckungsreise von längst Vergessenem.

Sabine Risse jedenfalls möchte Kneipp nicht mehr missen: „Es ist ein tolles Gefühl, wenn die Füße langsam wieder warm werden.“ Es gebe genügend Studien, die belegten, dass Kneippkuren die Gesundheit förderten.

Kneipp, ganz modern

Dem Trend entsprechend überrascht es nicht, dass immer mehr Kommunen anstreben, Kneipp-Kurort zu werden. So wie der Lennestädter Ortsteil Saalhausen mit seinen 1800 Einwohnern, der am 24. Oktober des vergangenen Jahres von Regierungspräsident Hans-Josef Vogel die Auszeichnung überreicht bekam. „Zurzeit arbeiten wir noch an einem Gesamtpaket, um zu zeigen, wie modern Kneipp sein kann“, berichtet Luisa Möser, die die Tourist-Information in Lennestadt und Kirchhundem leitet. Für die 30-Jährige ist man für die Kneippsche Lehre nie zu jung: „Wir bekommen immer mehr Anfragen für Kneippkuren von Jüngeren.“

Saunagänge und Massagen

Zurzeit arbeiten laut Luisa Möser die Gesundheitsexperten in Saalhausen noch an einem Gesamtpaket. Ende April soll es soweit sein, dann stehe die Infrastruktur für Saunagänge, Massagen, Wanderwege, Kneippanwendungen im 2015 neu eröffneten Kurpark inklusive Tretbecken und Anschluss an die Lenne. All das werde an die bereits bestehenden Angebote von Hotels angebunden, erzählt sie. Die 30-Jährige kann aus eigener Erfahrung eine Kneippkur nur empfehlen: „Auch andere Gesundheitstrends haben oft einen ganzheitlichen Ansatz, aber keiner hat mich so entschleunigt wie Kneipp.“

>>> Hintergrund <<<

In Südwestfalen gibt es sechs Kneippkurorte: Brilon, Olsberg, Bad Fredeburg, Bad Berleburg, Bad Laasphe und Lennestadt-Saalhausen. 53 sind es in Europa.

Die Kneipp-Therapie ist ein nach dem Pfarrer Sebastian Kneipp (1821–1897) benanntes Behandlungsverfahren, das Wasseranwendungen, Pflanzenwirkstoffe, Bewegungs- und Ernährungsempfehlungen beinhaltet. Bei einer Kneipp-Kur geht es um das Zusammenspiel von Belastungen und Ruhe. Insgesamt sollen die Abwehrkräfte gestärkt und das seelische Gleichgewicht wiederhergestellt werden.

Heute ist die Kneippkur von der Schulmedizin bestens erforscht und anerkannt.

Informationen zu Kneipp-Vereinen in NRW finden Sie unter www.kneippbund-nrw.de