Hagen. Angespannte Situation bei den Tafeln: Während mehr Menschen die Hilfe in Anspruch nehmen, kommen nicht mehr so viele Waren an.
Wenn Neu-Kunden das Ladenlokal der Mescheder Tafel am Ittmecker Weg betreten, erzählen sie häufig erst einmal, dass sie nie gedacht hätten, eines Tages auf Lebensmittel oder Hygieneartikel aus der Einrichtung angewiesen zu sein. „Und dann sagen sie: ,Die Situation hat sich verändert. Wir kommen nicht mehr über die Runden, sehen keine andere Möglichkeit’“, beschreibt Michael Rosenkranz, Koordinator bei der Caritas in Meschede.
Preissteigerungen bei Lebensmitteln, Sprit und Energie
Die neue „Situation“ sind die eklatanten Preissteigerungen bei Lebensmitteln, Sprit und Energie. Sie haben dazu geführt, dass mehr Menschen Tafeln aufsuchen. „Auch wir stellen das fest“, bestätigt Michael Rosenkranz.
Julia Schröder von der Caritas berichtet von 10 bis 15 Neuanträgen pro Woche in den beiden Ausgabestellen des Hagener Warenkorbes. Hinzu kommt, dass bundesweit zunehmend Geflüchtete aus der Ukraine die Räume der Tafeln aufsuchen.
172 Tafeln in NRW
Tafeln – alleine in NRW sind es 172 mit 500 Ausgabestellen – verteilen überschüssige Lebensmittel, die nach den gesetzlichen Bestimmungen über das Mindesthaltbarkeitsdatum hinaus noch verzehrt werden können, aber im Wirtschaftskreislauf nicht mehr verwendet werden und andernfalls vernichtet würden.
Wenn man so will, bedienen diese Einrichtungen ein hochaktuelles gesellschaftliches Thema: der Kampf gegen Lebensmittelverschwendung. „Wenn wir von Super- und Drogeriemärkten, Discountern und Bäckern gespendete Lebensmittel wie Obst, Gemüse, Molkereiprodukte, eingeschweißte Wurst und Käse, Brot und Brötchen sowie Hygieneartikel an Berechtigte verteilen, werden weniger Waren weggeworfen“, sagt Martin Dörr, Vorstandsvorsitzender der Bad Berleburg-Erndtebrücker Tafel.
Schlägt der Hang zur Vorratshaltung durch?
Das aktuelle Problem: Es kommen weniger Lebensmittel bei den Tafeln an. Tim Müller von der Siegener Tafel nennt ein plakatives Beispiel: „An guten Tagen können wir Wurst und Käse abgeben, an schlechten nur Wurst oder Käse.“
Die Verantwortlichen in den Tafeln zerbrechen sich seit geraumer Zeit die Köpfe, warum mancherorts das Sachspendenaufkommen aus dem Einzelhandel zurückgegangen ist. Ist es der zunehmende Hang der Bundesbürger nach Vorratshaltung, der dazu führt, dass nicht mehr so viele Waren für Sozialeinrichtungen übrig bleiben?
Knappere Warenkalkulationen
Oder die knapperen Warenkalkulationen in den Filialen im Zuge der Teuerungen? Oder ist es die neu entdeckte Rolle der Discounter und Supermärkte als Lebensmittelretter? „Wir merken schon“, sagt der Mescheder Michael Rosenkranz, „dass Händler abgelaufene Lebensmittel bei Sonderaktionen selbst verkaufen wollen.“
Dabei sind die Tafeln angesichts der zunehmenden Kundennachfrage mehr denn je auf Sach- und Geldspenden angewiesen. Hella Pelz und ihr Team von der Tafel Olpe-Drolshagen und Wenden haben gerade erst Willkommenstaschen für Geflüchtete aus der Ukraine gepackt. Inhalt: Hygieneartikel, Handtücher, Lebensmitteldosen, Pulverkaffee und Kakao für die Kinder. „Wir haben ein Dutzend Familien akut versorgt“, berichtet Hella Pelz.
Warteliste unvermeidlich
Die Arnsberger Tafel hat nach Angaben von Vorstandsmitglied Anni Kuenkenrenken in den vergangenen zwei Wochen 61 Familien aus der Ukraine (gleich 132 Menschen) für die Warenversorgung neu aufgenommen.
Der Vorstand der Bad Berleburg-Erndtebrücker Tafel überlegt derzeit, wie man dem wachsenden Bedarf begegnen kann: „Wir kommen von den Ehrenamtlichen und den Räumlichkeiten her an unsere Kapazitätsgrenzen“, so Martin Dörr. Die Tafel in Meschede musste bereits eine Warteliste anlegen. „Leider“, sagt Michael Rosenkranz, „aber unvermeidlich.“
Gesündere und abwechslungsreichere Ernährung
Der Mescheder Tafel-Koordinator verweist gerne auf den Nutzen der Lebensmittel-Ausgaben für die Empfänger („deren Speiseplan wird abwechslungsreicher und gesünder“). Was ihn umtreibt, sind die Preissteigerungen im Energie-Sektor. „Natürlich müssen wir die Räume heizen, wenn unsere Ehrenamtlichen die Waren für die Ausgabe vorbereiten“, sagt Rosenkranz. „Und dann sind da auch noch die hohen Spritpreise, die uns von den Socken hauen.“
Das Team der Arnsberger Tafel hat soeben ausgerechnet, mit welcher Geldsumme im Monat für das Betanken der fünf Wagen der Einrichtung kalkuliert werden muss. Satte 2000 Euro. „Im Moment“, sagt Anni Kuenkenrenken, „haben wir noch das Glück, alle versorgen zu können. Aber man muss sehen, wie es weiter geht.“