Hagen. Die meisten Flüchtenden aus der Ukraine zieht es in die Städte. Warum Regierungspräsident Vogel sie von kleinen Städten überzeugen will.

Hans-Josef Vogel ist der Arnsberger Regierungspräsident. Seine Behörde ist in ganz NRW für die Zuweisung von Flüchtlingen auf die Kommunen zuständig und hat nach einer Abfrage bei den Städten eine Prognose erstellt, wie viele Menschen aus der Ukraine schon in NRW angekommen sind: Gut 85.000 sind in den Kommunen registriert, hinzu kommen rund 8500 in Landeseinrichtungen.

Herr Vogel, laut den Hochrechnungen aus Ihrem Haus sind bereits jetzt gut 93.000 Geflüchtete aus der Ukraine in NRW registriert. Wie viele werde es noch werden?

Hans-Josef Vogel Bisher haben sich noch längst nicht alle Geflüchteten bei ihrer Kommune gemeldet, so dass auch die aktuelle Zahl nur eine bedingte Aussagekraft haben kann. Und die weitere Prognose ist schwierig. Experten gehen davon aus, dass angesichts der menschenverachtenden Bomben- und Raketenangriffe auf die Zivilbevölkerung rund ein Viertel des Landes nicht bewohnbar ist, dass deshalb mit 10 bis 12 Millionen Menschen auf der Flucht zu rechnen ist. Wenn die Menschen innerhalb der EU verteilt werden, dann müssen wir davon ausgehen, dass 200.000 bis 500.000 Menschen nach NRW kommen. Wie lange sie bleiben werden, hängt von der Dauer des Krieges ab. Viele sagen, sie wollen schnell wieder nach Hause.

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Sie waren zu Beginn des Krieges noch davon ausgegangen, dass ein Großteil der Ukrainer bei Bekannten oder Verwandten privat unterkommt. Hat das Bestand?

Nein, angesichts dieser hohen Zahlen stößt das natürlich an Grenzen. Wir werden nicht um weitere Sammelunterkünfte umhin kommen. Ich weiß, dass sich die Kommunen darauf vorbereiten, zeitweise noch mehr Menschen unterzubringen als es schon 2015/16 gelungen ist.

Damals mussten die die Geflüchtete aus Syrien oder Afghanistan auch ein Asylverfahren durchlaufen, sie wurde dann zentral auf Kommunen verteilt. Das ist nun anders, Ukrainer können sich auf Basis einer in Kraft gesetzten EU-Richtlinie frei bewegen.

Ich begrüße diese EU-Richtlinie ausdrücklich, sie erspart uns und den Menschen bürokratische Asylverfahren. Aber das stellt uns vor Herausforderungen. Derzeit haben viele Ukrainer verständlicherweise große Städte wie Berlin oder auch Dortmund vor Augen, weil sie die Namen kennen. Wir werden mit den Menschen besprechen, auch in die kleineren Städte zu gehen, weil dort Wohnraum oder Schulkapazitäten zur Verfügung stehen und die Aufnahme herzlich ist. Ich bin sicher, das wird auch gelingen. Und es gelingt ja auch schon. Derzeit verteilen wir bereits von den Landeseinrichtungen aus, die als sogenannte Puffereinrichtungen bei der Aufnahme dienen, und berücksichtigen dabei die konkrete Situation in den Kommunen.

Wird unser Schulsystem das verkraften?

Wir gehen davon aus, dass 30 bis 40 Prozent der aus der Ukraine Geflüchteten Kinder und Jugendliche sind. Insofern kommt eine große Herausforderung auf uns zu. Aber ich bin auch überzeugt, dass es – neben dem Wohnraum – unser Hauptaufgabe sein muss, die ukrainischen Kinder in den Schulen zu unterrichten. Deshalb ist mein Appell auch an alle Lehrer, Eltern und Schüler, das pragmatisch möglich zu machen. Aber wir müssen auch als Land und Bezirksregierung dafür sorgen, dass wir mehr Lehrkräfte organisieren. Auch aus der Ukraine. Bei der Registrierung wird schon standardmäßig gefragt, ob es sich um Lehrkräfte handelt, die jetzt hier in den Schulen arbeiten können. mko