Düsseldorf/Brilon. Der Arnsberger Regierungspräsident Vogel (CDU) hat den Kommunen einen Brief geschrieben: Öko-Energie sei wichtig für Frieden und Demokratie.

Der Arnsberger Regierungspräsident Hans-Josef Vogel (CDU) hat vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs alle Landräte und Bürgermeister im Regierungsbezirk gebeten, sich für einen schnellstmöglichen Ausbau der Erneuerbaren Energien einzusetzen. „Die kurzfristige Realisierung sämtlicher Formen Erneuerbarer Energien sollte kommunal ermöglicht bzw. unterstützt werden“, schreibt Vogel in einem Brief an die Spitzen der Kommunen, der dieser Zeitung vorliegt. Bereits „aufgegleiste Projekte“ sollten prioritär zum Abschluss kommen, damit die Anlagen schnellstmöglich errichtet werden können. Der Ausbau Erneuerbarer Energien liege „im überragenden öffentlichen Interesse und diene der öffentlichen Sicherheit“, betonte Vogel.

Regierungspräsident Hans-Josef Vogel.
Regierungspräsident Hans-Josef Vogel. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Wichtig sei, dass die unterschiedlichen Formen der Erneuerbaren Energien nicht gegeneinander ausgespielt würden. Vogel: „Wir brauchen wirklich alles: Windkraftanlagen auch im Wald, auch in Landschaftsschutzgebieten; Solaranlagen (...); Wasserkraftanlagen (...); Biogaserzeugung aus nachwachsenden Rohstoffen (...).“ Es gehe nicht nur um bezahlbare Energie, sondern um Sicherung von Freiheit und Demokratie.

50.000 Hektar in NRW für Windkraft geeignet

Wenn es um Windenergie geht, dann schauen viele Politiker, Energieunternehmer und Klimaschützer gern in Richtung Sauerland. Dort gibt es viel Landschaft, relativ wenige Einwohner und vor allem in höheren Lagen reichlich Wind. Und jetzt, da große Waldflächen der Trockenheit und dem gefräßigen Borkenkäfer zum Opfer gefallen sind, bieten sich viele Gebiete für Windmühlen förmlich an, heißt es. Das ist die Theorie. Die Praxis stellt sich ganz anders dar, und zwar nicht nur im Sauerland, sondern in Nordrhein-Westfalen insgesamt.

Die Landesregierung will die Erzeugung von Windenergie bis zum Jahr 2030 verdoppeln. Aber daraus wird wohl nichts, sollte sich der Wind nicht drehen. Das besagt zumindest eine vom Wirtschaftsministerium in Auftrag gegebene Studie, über die der Westdeutsche Rundfunk berichtet. Demnach kämpfen allein im Sauerland mehr als ein Dutzend Bürgerinitiativen gegen den Ausbau der Windenergie.

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Das Landesamt für Umwelt, Natur und Verbraucherschutz, kurz Lanuv, hat für Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) ausgerechnet, ob das von der Landesregierung formulierte Ziel, bis 2030 hierzulande zwölf Gigawatt Windstrom zu erzeugen, realistisch ist. Das WDR-Magazin Westpol berichtete am Sonntag Abend, dass der Ausbau unter den gegebenen Rahmenbedingungen „bestenfalls theoretisch“ zu erreichen sei.

Der Studie zufolge gibt es in NRW 50.000 Hektar an Flächen, die für Windenergie geeignet sind. Dort wäre Platz für 1916 neue Anlagen mit einer Leistung von 13,6 Gigawatt. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass niemand gegen die Pläne klagt oder alle Klagen scheitern. Doch davon geht das Lanuv angesichts zahlreicher Bürgerinitiativen nicht aus.

SPD: Landesregierung will Ausbau verhindern

Denn der größte Teil der Flächen liege in Landschafts- und Vogelschutzgebieten oder auf Flächen, die die Kommunen gar nicht für Windräder vorgesehen haben. Realistisch seien deshalb 306 statt 1916 Windräder. So wird derzeit im Raum Brilon/Marsberg über die Ausweisung eines 120 Quadratkilometer großen EU-Vogelschutzgebiets gestritten. Das würde nicht nur die Entwicklungsperspektiven der Wirtschaft betreffen, sondern auch die Möglichkeit, Windkraftanlagen zu errichten. Das Gebiet gilt als Rückzugsraum für zahlreiche seltene und bedrohte Vogelarten.

„Die schwarz-gelbe Landesregierung hat in den vergangenen Jahren alles dafür getan, den Ausbau der Windkraft zu verhindern. Jetzt bekommt sie dafür die Quittung und erlebt ein böses Erwachen. Diese Studie ist eine Bankrotterklärung für die Landesregierung“, sagte SPD-Fraktionsvize André Stinka dieser Zeitung zur Studie.

Vernichtend fällt auch das Urteil der Grünen aus. „Das Gutachten ist ein deutlicher Offenbarungseid für das schwarz-gelbe Scheitern beim Ausbau der Erneuerbaren“, sagte Spitzenkandidatin Mona Neubaur. Sie forderte die Landesregierung auf, vor allem die pauschalen Mindestabstände für Windkraftanlagen sofort abzuschaffen.

Öko-Lobbyist Priggen lobt Vorstoß von Regierungspräsident Vogel

Reiner Priggen saß lange für die Grünen im Landtag, war sogar Fraktionsvorsitzender. Heute ist er Vorstandsvorsitzender der Lobbyorganisation Landesverband Erneuerbare Energien NRW (LEE). Für ihn ist die Studie erneut ein Anlass, die Landesregierung zu kritisieren. Sie kündige den Ausbau der Windenergie immer wieder vollmundig an, „macht dann aber nichts“, sagte er dieser Zeitung. Die Regelung, dass der Abstand zwischen Windrädern und Wohnbebauung mindestens 1000 Meter betragen muss, „muss weg“. Seit viereinhalb Jahren drücke sich das Land um Entscheidungen. Für viele von der Borkenkäfer-Plage betroffenen Waldbauern könne die Windenergie zudem eine neue Existenzgrundlage sein. „Wovon sollen die denn leben, wenn die Fichte bald komplett weg ist?“, fragt Priggen. Ja, ein Windrad ändere das Landschaftsbild, räumt er ein. „Aber es benötigt nur 0,4 Hektar Fläche.“ Protest sei legitim, „aber irgendwann muss aber auch entschieden werden“.

Für die „klaren und deutlichen Worte“, die der Arnsberger Regierungspräsident Hans-Josef Vogel in seinem Brief an die Spitzen der Kommunen im Regierungsbezirk geschrieben hat, äußert Priggen „tiefen Respekt“.

Landesregierung: „Daten noch nicht valide“

Nach WDR-Angaben hält Andreas Pinkwart die Studie unter Verschluss. Der Landesregierung widerspricht. Ihren Angaben zufolge ist die Untersuchung noch gar nicht fertig, die genannten Daten seien daher noch nicht valide. Seriöse Aussagen über das Windenergie-Potenzial seien damit nicht möglich. Das Lanuv müsse vor der Veröffentlichung der Studie weitere wissenschaftliche Untersuchungen anstellen und die Ergebnisse neu bewerten, hieß es.

Einen Termin für die Präsentation der Studie hat es allerdings schon gegeben; er wurde kurzfristig abgesagt.